Muris Begovic ist muslimischer Armeeseelsorger.
Schweiz

Imam und bald Seelsorger in der Armee: «Der Armeedienst lässt sich mit dem muslimischen Leben vereinbaren»

Muris Begovic (41) wirkt bereits als Seelsorger in Spitälern und Asylzentren – und bald auch in der Schweizer Armee. «Dass ich als erster Imam oder Muslim in der Seelsorge tätig sein kann, hat auch einen starken integrativen Charakter», sagt er im Interview. «Muslimische Jugendliche können sich so stärker mit der Schweiz identifizieren.»

Regula Pfeifer

Sie sind in der Ausbildung zum Armeeseelsorger. Haben Sie dabei schon Seelsorge geleistet?

Muris Begovic*: Nein, wir haben noch keine Seelsorge-Einsätze gehabt. Wir machten Rollenspiele anhand von Fallbeispielen. Also jemand spielt den Seelsorger, ein anderer den Ratsuchenden. So übten wir gewisse Situationen.

Sie sind im Kanton Zürich in der Seelsorge für Spitäler und Asylzentren aktiv. Wie unterscheidet sich die Armeeseelsorge davon?

Begovic: Der grösste Unterschied ist: Hier in der Armee bin ich als Armeeseelsorger mit muslimischem Hintergrund für alle da. Ich darf auch Christen und Armeeangehörige mit einem anderen religiösen Hintergrund besuchen. Ich bin während meiner Diensttage da und kann dabei aufsuchende Seelsorge für alle leisten – gleich wie alle anderen Seelsorger.

…und in der institutionellen Seelsorge?

Begovic: In den Institutionen des Kantons Zürich leisten wir Muslime Seelsorge auf Abruf. Wir haben eine Notrufzentrale. Die Institutionen können auf uns zugreifen, wenn es Muslime betrifft. Wir rücken dann aus und betreuen die Musliminnen und Muslime in den Spitälern oder anderen öffentlichen Institutionen. Und dann gibt’s einen weiteren wichtigen Unterschied.

«Es war eine spezielle Herausforderung, mit 40 noch in die RS zu gehen.»

Welchen?

Begovic: Wir tragen alle dieselbe Armeeuniform. Das ist auch ein wichtiger Unterschied. In der institutionellen Seelsorge tragen wir unsere zivilen Kleider.

Haben Sie Militärdienst geleistet vor Ihrem jetzigen Engagement?

Begovic: Ich bin einer jener angehenden Armeeseelsorger, die die dreiwöchige Kurz-RS gemacht haben. Das habe ich letztes Jahr gemacht. Es war eine spezielle Herausforderung, mit 40 noch in die RS zu gehen. Für mich war es bereichernd. Ich konnte miterleben, wie sich das anfühlt, welche Probleme dabei auftauchen können. Dabei fragte ich mich, wie ich das mit meinem Muslim-Sein vereinbaren kann.

Muris Begovic gibt SRF ein Interview.
Muris Begovic gibt SRF ein Interview.

Wo war es schwierig?

Begovic: Eine Nachtübung fing am Abend an. Gleichzeitig haben wir Muslime abends eine bestimmte Zeit vorgegeben, wo wir beten sollten. Ich konnte da natürlich nicht die ganze Truppe stoppen und sagen: So, ich muss das Gebet verrichten, ihr müsst jetzt warten. Die Übung geht weiter und ich muss eine Lösung haben: Wie gehe ich damit um? Da bin ich als muslimischer Theologe gefordert, eine Antwort zu geben.

Welches war Ihre Antwort?

Begovic: Sobald Ausnahmesituationen bestehen, werden die Gebote mit Ausnahme behandelt. Der Militärdienst ist eine Ausnahmesituation und dementsprechend habe ich mich auch verhalten.

Schweizer Armee bei der Näfelser Fahrt.
Schweizer Armee bei der Näfelser Fahrt.

Gab es weitere Probleme?

Begovic: Ungewohnt war auch, mit fast 20 anderen jungen Männern im selben Zimmer zu schlafen. So fragte ich mich, wo ich denn mein Gebet verrichten könnte. Es funktionierte dann wunderbar im Schlafzimmer. Es gibt immer eine Lösung. Man muss es nur pragmatisch angehen. Ich konnte es vereinbaren, nichts sprach dagegen.

Und beim Essen? Das Fleisch müsste ja halal sein.

Begovic: Ich konnte vegetarisch wählen. Ich musste aber im Voraus mitteilen, dass ich das so brauche.

«Meine neue Aufgabe hat sich in der muslimischen Gemeinschaft schon herumgesprochen.»

Haben Sie in Ihrem muslimischen Umfeld gemerkt, dass es Bedarf nach muslimischer Seelsorge gibt?

Begovic: Ja, auf jeden Fall. Das war eine meiner Motivationen, warum ich heute da bin. Es sind immer wieder Anfragen an uns gelangt: Wie soll ich mit dieser oder jener Situation im Militärdienst umgehen?

Dass ich als erster Imam oder Muslim in der Armeeseelsorge tätig sein kann, hat auch einen starken integrativen Charakter. Muslimische Jugendliche können sich so stärker mit der Schweiz identifizieren. Meine neue Aufgabe hat sich in der muslimischen Gemeinschaft schon herumgesprochen. Man sieht mich in diesen Kleidern, wenn ich nach Hause oder zum Freitagsgebet in die Moschee gehe.

Das Ausbildungszentrum der Armee in Luzern
Das Ausbildungszentrum der Armee in Luzern

Sie besuchen die Moschee in Uniform?

Begovic: Ja, genau. Letzte Woche war Ramadan. Da bin ich zur besonderen Nacht Laylat al-Qadr in Luzern in die Moschee gegangen. Die Leute kennen mich als Imam – und jetzt sehen sie mich plötzlich als Soldat (lacht). Da sind Fragen gekommen – und durchaus nur positive Rückmeldungen.

«Will jemand stur sein Ding durchsetzen, wird es schwierig.»

Ist die Armee ein schwieriger, heikler Ort für Muslime?

Begovic: Nein, überhaupt nicht. Vielleicht hätte ich das vor ein paar Jahren gesagt. Aber durch diesen Lehrgang habe ich erfahren: Die Armee ist ein spezieller Ort. Aber es spricht nichts dagegen, Teil davon zu sein. Der Armeedienst lässt sich mit dem muslimischen Leben vereinbaren. Allerdings sollte man seine Bedürfnisse rechtzeitig anmelden, Verständnis für gewisse Situationen haben und die Prioritäten je nachdem anders setzen. Will jemand stur sein Ding durchsetzen, wird es schwierig. Mit Dialog kann man alles lösen und da möchte und kann ich unterstützen.

Wie sehen Sie die religiös erweiterte Armeeseelsorge?

Begovic: Sie widerspiegelt die Vielfalt, die wir in der Gesellschaft haben. Ich bin froh, dass ich ein Teil dieses grossen Teams bin, in dem wir täglich Neues voneinander lernen und ich mit meinem Hintergrund gleichberechtigt am Geschehen teilhaben kann So kann ich der Gesellschaft auch etwas zurückgeben.

Was haben Sie mitbekommen von den anderen Religionen?

Begovic: Da ich sehr verwurzelt bin im interreligiösen Dialog – etwa in der Seelsorge in Zürich – war mir schon einiges bekannt. Ich lerne aber immer wieder Neues kennen. So bei besinnlichen Momenten unserer christlichen und jüdischen Freunde: Das ist ja ähnlich wie bei uns – wenn nicht sogar fast gleich. Da hat einer in einem spirituellen Beitrag über Jonas berichtet. Und der spielt auch eine wichtige Rolle im Islam. So entstehen schöne Momente.

*Muris Begovic (41) ist Imam und Geschäftsführer der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich. Zurzeit absolviert er die Ausbildung zum Armeeseelsorger. Im Kanton Zürich ist er bereits in der Seelsorge für Spitäler und Asylzentren aktiv.


Muris Begovic ist muslimischer Armeeseelsorger. | © Regula Pfeifer
8. Mai 2022 | 12:00
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