Imam in einer Moschee in Kreuzlingen, Aufnahme aus dem Jahr 2010.
Schweiz

Imam-Ausbildung in der Schweiz – «im Prinzip wünschenswert, aber noch unrealistisch»

Zürich, 21.11.15 (kath.ch) Eine «staatliche Imam-Ausbildung» an der Universität Freiburg – das fürchtet die SVP des Kantons Freiburg offenbar wie der Teufel das Weihwasser: Die Partei bekämpft das dort ansässige Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) mit einer Volksinitiative. kath.ch nimmt dies zum Anlass, um bei Wissenschaftlern nachzufragen, ob ein Imam überhaupt eine Ausbildung braucht und wie es um die Ausbildung von Imamen in der Schweiz bestellt ist.

Barbara Ludwig

Was zunächst überrascht: Um als Imam zu fungieren – also das gemeinschaftliche Gebet der Muslime zu leiten -, braucht es gar keine Ausbildung. «Jeder Muslim kann das», sagt der Islamwissenschaftler Abbas Poya, seit September Gastdozent für Islamische Theologie und Bildung an der Universität Zürich.

Ein guter Ruf ist wichtig

Hingegen müssten Imame als Vorbeter einer Moschee traditionell einige Voraussetzungen im «ethisch-moralischen Bereich» erfüllen. Ein Muslim, der das gemeinsame Gebet leiten will, muss «unbescholten» sein, so Poya, «er darf keine grossen Sünden begangen haben». Wichtig ist auch, dass er einen guten Ruf hat und somit die Anerkennung der gläubigen Muslime. Drittens müsse er das «Reifealter» (Pubertät) erreicht haben. Frauen dürfen nicht als Imam wirken, ausser in einer reinen Frauengruppe. Dies sei keine im Koran formulierte Bedingung, sondern die Gelehrten hätten sich in späterer Zeit darauf geeinigt, sagt Poya.

Dass es einen Imam braucht, also jemand, der das Gebet leitet, hängt laut dem Islamwissenschaftler mit der grossen Bedeutung zusammen, die der Islam dem gemeinsam verrichteten Gebet gibt. «Es geht nur darum, das Gemeinschaftliche zu betonen. Das ist der Ursprungsgedanke.» Die Ausbildung des Imam ist zweitrangig.

Höhere Anforderungen an Imame an Freitagsmoscheen

Dennoch ist es nicht so, dass in muslimischen Ländern sämtliche Imame ohne Ausbildung dastehen. Im Verlaufe der Zeit hätten muslimische Gelehrte zusätzliche Voraussetzungen für Imame an Freitagsmoscheen definiert, sagt Poya. Vorbeter an diesen Moscheen, in denen Muslime das Freitagsgebet verrichten, müssen besondere Qualifikationen aufweisen: Sie müssen den Koran gut rezitieren können, ins islamische Recht eingeweiht sein und über rhetorische Qualitäten verfügen. «Das geht nicht ohne Ausbildung an einer Hochschule für islamische Theologie?», so Poya. Der Wissenschaftler erklärt das mit der grossen Konkurrenz in Städten wie Istanbul oder Kairo, wo es viele Gelehrte gebe.

In abgelegenen Dörfern, etwa in Afghanistan, müssen Imame diese Voraussetzungen nicht erfüllen. «Dort hat der Imam vielleicht eine Madrasa besucht.» Das ist eine traditionelle religiöse Lernstätte; sie kann eine Vorstufe der theologischen Hochschule sein, sagt Poya.

Imame in der Schweiz ungenügend vorbereitet

Die Mehrheit der Imame, die fest an einer Moschee in der Schweiz angestellt sind, verfügt über irgendeine Form von Ausbildung im Ausland, sagt Andreas Tunger-Zanetti, Islamwissenschaftler am Zentrum Religionsforschung an der Universität Luzern. Es seien aber auch Personen ohne formale Ausbildung, sprich Autodidakten, darunter. Bei den Moscheen ohne festen Imam komme es oft vor, dass das Amt des Imam interimsmässig von Männern mit einem zivilen Beruf ausgeübt werde. «Diese haben etwa auf dem Balkan eine Medrese, ein Gymnasium mit Schwerpunktfächern im Bereich Religion, besucht.» Dann gibt es laut Tunger-Zanetti auch Moscheen, wo gelegentlich für drei Monate ein Gastprediger aus dem Ausland auftritt und sonst ein einfaches Gemeindemitglied das Gebet leitet.

Nach Ansicht des Wissenschaftlers sind die Imame generell ungenügend auf ihre Tätigkeit in der Schweiz vorbereitet. Das habe sich seit der Untersuchung «Imam-Ausbildung und islamische Religionspädagogik in der Schweiz?», die von 2007 bis 2009 im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» (NFP 58) durchgeführt wurde, nicht wesentlich verändert, so Tunger-Zanetti.

Dies betreffe etwa die Bedürfnisse von Jugendlichen. Tunger-Zanetti forscht in diesem Bereich und hat festgestellt: «Zahlreiche Jugendliche können mit den Imamen nichts anfangen. Ein grosser Teil der Imame redet in einem doppelten Sinne an den Jungen vorbei.» Zum einen beherrschten sie die hiesige Sprache nicht. Zum andern seien die Imame, meist Herren gesetzten Alters, in einer «ganz anderen Sprachwelt» unterwegs als die Jungen. Dann spielt aber auch die unterschiedliche Lebenswelt eine Rolle. «Ein Imam in der Türkei hat auch heute noch ganz anders sozialisierte Moschee-Mitglieder als ein Imam in der Schweizer Konsumgesellschaft.»

Mehr Aufgaben für den Imam im Westen

Tendenziell erweitert sich der Aufgabenbereich von Imamen in Europa im Vergleich zu traditionell islamischen Gesellschaften, heisst es in dem erwähnten Bericht. Poya erklärt dazu: «Im Westen ist der Imam der einzige religiöse Funktionär. In muslimischen Ländern muss er keine weiteren Aufgaben übernehmen, weil es viele andere Ansprechpartner gibt. Dort gibt es zahlreiche Religionsgelehrte, die man aufsuchen kann.»

In muslimischen Ländern werde die Funktion der Moschee «eng auf das Kultische begrenzt», während die christlichen Kirchen in der Schweiz sich in weiteren Bereichen engagierten, etwa in der Jugendarbeit, in der Sozialarbeit oder in der Spitalseelsorge, sagt Tunger-Zanetti. Letzteres gebe es in muslimischen Ländern nicht. «Dort übernehmen die Verwandten diese Funktion.»

Der Luzerner Wissenschaftler erklärt die Tendenz, dass Imame in Europa mehr Aufgaben übernehmen müssen so: «Die Gesellschaft tendiert dazu, alles, was neu hinzukommt, nach bestehenden Modellen zu formen.» Wenn eine neue Religion sich ausbreitet, frage man: Wer ist bei euch der Pfarrer? Was ist euer heiliges Buch? Wie sieht euer Gebetsort aus? «Dann werden Gleichsetzungen gemacht, die zwar grosso modo stimmen, aber meist eben doch nicht ganz.» In Bezug auf die Strukturen von Religionsgemeinschaften finde die Schweizer Umgebung, bei neuen Religionen müsse es ähnlich funktionieren wie bei den Christen. «Die Mehrheitsgesellschaft schreibt ganz spontan den jüngeren Gemeinschaften ähnliche Rollen und Funktionen zu. Übrigens tun dies auch viele Muslime, so sehr sind sie schon Teil der Schweizer Gesellschaft», so Tunger-Zanetti.

Imam-Ausbildung in der Schweiz ist «unrealistisch»

Bislang gibt es keine Ausbildung für Imame in der Schweiz. Eine solche ist auch nicht am SZIG vorgesehen. Aus Sicht von Tunger-Zanetti wäre es zwar im Prinzip wünschenswert, dass «Imame von A bis Z in der Schweiz ausgebildet werden». Der Islamwissenschaftler hält dies aber noch auf längere Zeit für «unrealistisch». Aus verschiedenen Gründen: Einerseits gebe es Zweifel, ob die Nachfrage von Seiten der Muslime gross genug sei, so dass sich die Einrichtung eines Departements für islamische Theologie mit allen Unterdisziplinen finanziell rechtfertigen würde. «Andererseits sehe ich keinen Kanton, der von sich aus ein genügend grosses Interesse an der Einrichtung eines solchen Departements hat. Ganz abgesehen von der Frage, ob das politisch durchgebracht werden könnte.»

Das Angebot, das derzeit am SZIG entsteht, hält der Forscher für eine sinnvolle und realistische Alternative. Dort soll unter anderem ein Weiterbildungsangebot für ein breites Publikum entstehen. Imame sind laut Tunger-Zanetti eine Zielgruppe unter vielen. «Für sie wäre es eine Weiterbildung, die ihnen hilft, ihre Arbeit auf das gesellschaftliche Umfeld abzustimmen.» (bal)

 

 

 

Imam in einer Moschee in Kreuzlingen, Aufnahme aus dem Jahr 2010. | © Barbara Ludwig
21. November 2015 | 10:13
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Freiburger SVP bekämpft Zentrum für Islam und Gesellschaft

Das Schweizer Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) an der Universität Freiburg wird voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 2016 eingeweiht. Das Zentrum, das bereits im Januar seinen Betrieb aufgenommen hat, befindet sich noch in der Aufbauphase. Es soll der wissenschaftlichen Reflexion über den Islam im Umfeld der schweizerischen und europäischen Gesellschaft dienen. Gegründet wurde es auf Anregung des Bundesrates.

Die SVP des Kantons Freiburg kündigte bereits im vergangenen Jahr Widerstand gegen das Projekt an. Dabei operiert sie mit dem Begriff «staatliche Imam-Ausbildung». Im Juli 2015 reichte sie eine kantonale Volksinitiative gegen das Zentrum ein. Das Volksbegehren will die Verfassung so ändern, «dass es eine einzufügende Rechtsgrundlage nicht erlaubt, das geplante ‹Zentrum Islam und Gesellschaft› und somit jegliche staatliche Imam-Ausbildung einzuführen», heisst es im Initiativtext.

Guido Vergauwen, der frühere Rektor der Universität Freiburg, hatte gegenüber Medien wiederholt klargestellt, dass es nicht um eine Imam-Ausbildung gehe. «Die Ausbildung richtet sich an ein breites Publikum. Wir denken an Betreuungspersonen von muslimischen Gemeinschaften, das sind Imame, aber auch Sozialarbeiter, Lehrkräfte in den Schulen oder Spitalmitarbeitende», sagte Vergauwen letztes Jahr gegenüber der Presseagentur Kipa.

Imame seien beispielsweise angesprochen, wenn sie sich kundig machen wollten über das schweizerische Religionsrecht. «Im Prinzip richtet sich die Ausbildung an alle, auch an Schweizerinnen und Schweizer, die Kenntnisse über den Islam erwerben und beispielsweise wissen wollen, wie sie Menschen muslimischen Glaubens begegnen sollen.» (bal)