Yasmina Mark hat ihre Maturaarbeit über Adoption und Rassismus geschrieben.
Schweiz

«Ich will auch, dass die Leute meine Hautfarbe sehen»: Yasmina Mark über Adoption und Rassismus

Ihre «Bauchmama» hat sie nie kennengelernt. Mit fünf Monaten wurde Yasmina Mark (18) in Äthiopien von einem Schweizer Elternpaar adoptiert. In der Schweiz fühlt sie sich seit Jahren sehr wohl – auch wenn Rassismus zu ihrem Alltag gehört. Jüngst wurde ihre Matura-Arbeit über Adoption und Rassismus ausgezeichnet.

Wolfgang Holz

Es ist für sie noch immer das Horrorerlebnis pur. «In einem Bus wurde ich vor Jahren von einem Mann angesprochen, der mich fragte, ob er mit mir ausgehen könne», erzählt Yasmina Mark. Der Mann sei um die 40 Jahre alt gewesen. «Er hat mich betatscht und zu mir gesagt, schwarze Frauen seien doch gut im Bett.»

Glücklich in der Schweiz

Eine schreckliche Erinnerung für die junge Frau. Denn eigentlich fühlt sich die 18-Jährige schon lange sehr wohl und glücklich in der Schweiz. Dank ihrer Schweizer Adoptiveltern sei sie hierher gekommen. «Meine Bauchmama hat mich im Alter von fünf Monaten in Äthiopien zur Adoption freigegeben.»

Yasmina als Baby mit ihrer Adoptivmutter: Ihre äthiopische "Bauchmama", wie sie sagt, kennt sie nicht.
Yasmina als Baby mit ihrer Adoptivmutter: Ihre äthiopische "Bauchmama", wie sie sagt, kennt sie nicht.

Aus welchem Grund ihre leibliche Mutter sich zu diesem Schritt entschloss, hat sie nie erfahren. «Ich habe meine Mutter und meinen Vater nie kennen gelernt», erzählt Yasmina Mark.

«Ich habe damals kein Heimweh empfunden.»

Yasmina Mark, 18

Auch nicht, als sie im Alter von zehn Jahren zusammen mit ihren Adoptiveltern nach Äthiopien gereist sei, um auf Spurensuche zu ihrer persönlichen Identität zu gehen.

«Ich habe damals kein Heimweh empfunden – mein Leben findet hier in der Schweiz statt», ist sie froh. Sie fühlt sich sehr gut aufgehoben und geliebt in ihrer Adoptivfamilie in Uster. Sie hat sogar noch eine Schwester bekommen: Melanie (15). «Wir verstehen uns bestens und stehen füreinander ein.»

Maturaarbeit zu Adoption und Rassismus

Und doch hat Yasmina Mark ihre Lebensgeschichte und ihre Herkunft so beschäftigt und geprägt, dass sie sich entschied, ihre Matura-Arbeit darüber zu schreiben. «Durch Adoption zur Familie. Adoptionsgeschichten und Unterstützung von Adoptivkindern bei Rassismus» – so lautet der Titel ihrer Arbeit, die sie am Zürcher Literargymnasium Rämibühl verfasste.

Yasmina als Kleinkind bei ihrem Vater.
Yasmina als Kleinkind bei ihrem Vater.

«Mein Betreuungslehrer hat mich aufgefordert, mit meiner Arbeit doch am Churer Maturapreis für Religion und Ethik teilzunehmen», berichtet die 18-Jährige und lächelt. Die Jury fand ihren Beitrag so interessant, dass sie mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. «Es ist ein sehr persönliches Thema, und ich kann zu 100 Prozent hinter der Arbeit stehen.»

«Möchte gerne Psychologie studieren»

Im Rahmen ihrer 25-seitigen Arbeit hat die junge Frau, die später gerne Psychologie studieren möchte, zum einen ihre persönliche Lebensgeschichte eingebaut. Zum andern führte sie mehrere Interviews mit anderen Adoptivfamilien und -kindern, die ein ähnliches Leben wie sie führen.

Über den Dächern von Zürich: Yasmina Mark mag das grosse kulturelle Angebot in der Stadt.
Über den Dächern von Zürich: Yasmina Mark mag das grosse kulturelle Angebot in der Stadt.

Ihr positives Fazit lautet: «Es ist eigentlich egal, wie Familie zu einem kommt. Ob per Adoption, ob per Familie mit eigenen Kindern – Familie ist immer ein Geschenk», ist Yasmina Mark überzeugt. Auch Freundinnen und Freunde könnten für sie die Funktion einer Familie innehaben.

«Letztendlich ist das Kind der oberste Richter.»

Yasmina Mark, Maturandin

Das zweite Fazit ihre Arbeit mündet in eine Art «Rassismus-Ratgeber für Adoptiveltern». Aus der Sicht von Yasmina Mark müsse man nämlich von der Idee wegkommen, dass Eltern das jeweilige Kind im Fall von erlebtem Rassismus unbedingt verstehen müssen. «Letztendlich ist das Kind der oberste Richter oder die oberste Richterin», sagt sie. Man könne als Kind noch so viel über solche Probleme erzählen, «die Eltern werden es nie ganz verstehen können».

Menschen aus Äthiopien und Kolumbien interviewt

Sie interviewte für ihre Arbeit Menschen aus Äthiopien und Kolumbien – keine weissen Kinder. «Alle befragten Betroffenen sind POCs – also Persons of Colour. Und alle haben Momente von Rassismus erlebt», sagt Yasmina Mark.

Sie belegte beim Churer Maturapreis für Religion und Ethik den ersten Platz: Yasmina Mark.
Sie belegte beim Churer Maturapreis für Religion und Ethik den ersten Platz: Yasmina Mark.

Auch die Zürcherin erlebt Rassismus in ihrem Alltag. «Es handelt sich dabei vor allem um Mikro-Aggressionen.» Sagt›s und versucht zu beschreiben, was sie damit meint. «Zum Beispiel werde ich oft auf Englisch oder auf Hochdeutsch angesprochen. Man könnte es ja auch mal auf Mundart versuchen», sagt Yasmina Mark.

Oder man frage sie oft, woher sie ursprünglich stamme. «Ich denke, man kann einer Person, die man kennenlernen möchte, zu Beginn andere Fragen stellen – es geht doch zunächst darum, Gemeinsamkeiten herzustellen.»

Rassistische Diskriminierungen

In der Schule sei sie von Mitschülerinnen und Mitschülern oft auf ihre Hautfarbe angesprochen worden. Nach dem Motto: «Deine Haut hat ja die gleiche Farbe wie Schoggi.» Rassistische Diskriminierungen, die sie schmerzten. Zwar habe sie mit der Zeit Abwehrstrategien entwickelt. «Und deine Haut hat die Farbe von weisser Schoggi», habe sie das eine oder andere Mal erwidert. Doch die Verletzung bleibe.

Yasmina Mark als Kleinkind.
Yasmina Mark als Kleinkind.

Zuhause berichtete sie ihren Eltern immer von solchen Vorfällen. «Sie haben mich immer getröstet und beruhigt», sagt sie. Ich solle mir so etwas nicht zu Herzen nehmen. «Doch für Eltern ist es schwer, sich in Gefühle des Kindes hinein zuversetzen. Ich als Betroffene bin die Richterin.»

Politisch unkorrekte Begriffe ändern

Aus ihrer Sicht könne man Rassismus dauerhaft nur bekämpfen, wenn sich die Menschen gut informierten. Sich entsprechend bildeten. «Es braucht enorm viel Aufklärungsarbeit gegen Rassismus.»

Für Yasmina Mark steht ausser Frage, dass politisch unkorrekte Begriffe wie «M*kopf» oder «N*kuss» heutzutage geändert werden. «Die heutige Generation muss sich anpassen – denn es hat vor allem mit Respekt gegenüber Menschen zu tun, die von solchen Bezeichnungen betroffen sind.»

Gestaltete «NZZ»-Magazin mit

Yasmina Mark, die auch gerne tanzt, liest – unter anderem Bücher mit feministischem Hintergrund – und mit Freunden und Freundinnen Konzerte besucht, hat schon über andere Dinge ausführlich reflektiert. Über Heimat und Nation beispielsweise.

Yasmina Mark spricht fliessend Mundart.
Yasmina Mark spricht fliessend Mundart.

Fürs «Magazin» in der «NZZ am Sonntag» durfte ihre Schulklasse über Begriffe schreiben und auf diese Weise ein ganzes Heft füllen.

«Wenn ich sage, ich bin eine stolze Schweizerin, werde ich zumeist belächelt – obwohl ich fliessend Mundart spreche.»

Yasmina Mark

«Ich wählte den Begriff Nation», sagt sie. Und ergänzt gleich, dass Nationalstolz eine gefährliche Sache sein könne. Etwa zu behaupten, man sei ein stolzer Schweizer. Ein derartiger Nationalstolz könne schnell in Rassismus umkippen. «Wenn ich dagegen sage, ich bin eine stolze Schweizerin, werde ich zumeist belächelt – obwohl ich fliessend Mundart spreche. Wenn man schwarz ist, kommt es einem oft doppelt so schwer vor, sich durchsetzen zu können.»

«Einfach glücklich sein»

Und wie sieht ihr persönlicher Lebenstraum aus? Die sympathische junge Frau lächelt herzlich. «Ich weiss noch nicht, welches berufliche Ziel ich anstrebe. Ich möchte einfach in dem, was ich mache, glücklich sein. Ich kann mir auch gut vorstellen, einmal in ferner Zukunft Kinder haben zu wollen.»


Yasmina Mark hat ihre Maturaarbeit über Adoption und Rassismus geschrieben. | © Wolfgang Holz
6. November 2022 | 17:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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