Sandro Bucher beim Interview
Vatikan

«Ich war der erste Atheist für viele»

Rom, 22.2.18 (kath.ch) Was hat ein Atheist beim Papst verloren? Diese Woche recht viel: Sandro Bucher, einer der drei Schweizer Jugendlichen an der Vorsynode, ist bekennender Atheist. Er erlebt zusammen mit Jonas Feldmann und Medea Sarbach eine Woche mit so viel katholischen Jungen wie noch nie zuvor.

Francesca Trento

Drei junge Menschen aus der Schweiz, unterschiedlicher könnten sie nicht sein, laufen gemeinsam über der Petersplatz in Rom. Ihnen folgen ein Kamerateam, ein Fotograf und eine Journalistin. Alle wollen von ihnen dasselbe wissen: Was läuft hinter den Türen des Collegio Maria Mater Ecclesiae – dort, wo über 300 Jugendliche aus aller Welt über die Kirche diskutieren.

Endlich frei

Die Woche ist durchgeplant, der Tag durchgetaktet. In der Halbzeit haben sie zum ersten Mal einen freien Nachmittag. «Endlich», sagen alle drei. Denn es sei anstrengend den ganzen Tag zu philosophieren. So nennt es Sandro Bucher, einer der Schweizer. Er vertritt kirchenferne Jugendliche. Als bekennender Atheist ist er perfekt dafür geeignet. Dass er Schweizer ist, ist Zufall.

Im falschen Film

Ganz einfach war der Einstieg für ihn jedoch nicht. «Als ich hier ankam, dachte ich, ich sei im falschen Film», gibt Bucher zu. «Umgeben von so vielen jungen Gläubigen, Priestern und sonstigen Kirchenleuten, war ich etwas überfordert – gelinde gesagt.»

«Die können sich von den Schweizer Bischöfen ein Stück abschneiden.»

Das Blatt habe sich jedoch zum Glück gewendet, und zwar zum Positiven. Es sei nicht nur sehr aufregend so viele Menschen aus verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen Kulturen und Ansichten zu treffen und mit ihnen über Gott und die Welt zu diskutieren, meint Bucher. «Ich habe echt tolle Freundschaften geschlossen.»

Pizza und Bier

Das zeigte sich am freien Abend auch gleich, als er und die beiden anderen Schweizer, Medea Sarbach und Jonas Feldmann, sich mit Leuten aus Griechenland, Amerika und Hongkong zum Feierabendbier und einer Pizza trafen und durch die Altstadt schlenderten.

15 Hashtags

Wenn jedoch gerade nicht geschlendert wurde, haben die Jugendlichen zwischen 19 und 29 Jahren aus aller Welt an einem gemeinsamen Dokument gearbeitet. 15 Fragen gaben den Rahmen der Diskussionen in den vielen Sprachgruppen zu je etwa 15 Jungen Menschen. 15 #hashtags werden die Fragen auch genannt. Auf Facebook konnten nämlich Jugendliche aus aller Welt mitdiskutieren.

«Mir ist es egal, ob Menschen wieder in die Kirche gehen oder nicht.»

Für Sandro Bucher und auch Jonas Feldmann waren die Fragen jedoch nicht nur gut gewählt, sind sich beide im Gespräch mit kath.ch einig. «Etwa fünf Fragen waren für mich nicht zu beantworten», so Bucher. «Diese Fragen waren voll auf Katholiken gerichtet. Ich konnte da gar nichts dazu sagen.» Eine davon war etwa, was die Kirche machen müsste, damit die Jugendlichen wieder mehr in Gottesdienste gehen. «Mich kümmert es als Atheist eher wenig, ob Menschen wieder vermehrt in Kirchen gehen oder nicht.»

Konservative Schiene

Sowohl Sandro als auch Jonas kritisieren an der Vorsynode noch etwas anderes: «Es wurden zu viele Katholiken eingeladen, die auf einer eher konservativen Schiene fahren», meinen beide. Die Bischofskonferenzen aus aller Welt, die Delegierte nach Rom zur Vorsynode geschickt haben, könnten sich von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) «ein Stück abschneiden».

Mit dem Austritt «hadern»

Mit der Theologiestudentin Medea Sarbach, dem Medizinstudenten Jonas Feldmann, der zwar katholisch, aber der Kirche fern ist und immer wieder mit dem Gedanken zum Austritt «hadere», und dem Atheisten Sandro Bucher ist eine grosse Vielfalt an Meinungen aus der Schweiz in Rom vertreten. Während Sarbach offiziell von der SBK als Vertreterin der katholischen Schweizer Jugend in Rom ist, sind Bucher und Feldmann Repräsentanten der distanzierten oder nichtgläubigen Jugend. Dass sie ebenfalls Schweizer sind, ist Zufall. «Ich weiss nicht, wie viel solche Gespräche wirklich bringen mit Leuten, die gleicher Meinung sind wie die Kirche selbst», kritisiert Jonas.

«Ich war völlig geschafft.»

Diskussionen über Themen wie Homosexualität seien sehr nervenaufreibend gewesen. «Am Abend war ich nicht bloss vom Philosophieren und Diskutieren völlig geschafft», so Jonas, «sondern weil die Meinung der restlichen Gruppe für mich völlig unverständlich und konservativ war.»

«Das war schon crazy.»

Für ihn sei Homosexualität völlig ok, er könne sich gar nicht vorstellen, wie man etwas dagegen haben könne. Bucher setzt noch einen drauf: «So viele konservative Junge habe ich noch nie erlebt. Ich wusste gar nicht, dass es die gibt», scherzt er. Diese Überraschung sei jedoch nicht einseitig gewesen. «Nicht wenige haben mir gesagt, ich sei der erste Atheist, mit dem sie je gesprochen hätten. Das war schon crazy.»

Pessimistisch für die Zukunft

Nach der Halbzeit der Vorsynode haben jetzt die einzelnen Gruppen Antworten zu den Fragen in Entwürfen zusammengetragen. Diese werden bis am Samstag zu einem definitiven Dokument zusammengefasst. Sandro Bucher und Jonas Feldmann erhoffen sich davon vor allem eines: «Dass sich in der Kirche etwas verändert.» Glauben tun sie dies jedoch nicht. Das habe die Geschichte der katholischen Kirche gezeigt.

 

Sandro Bucher beim Interview | © Bernard Hallet
22. März 2018 | 17:18
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