Fotos junger deutscher Soldaten im Zweiten Weltkriegs. Das kleinere Foto zeigt wahrscheinlich Angehörige der beiden jungen Männer.
Konstruktiv

«Ich bitte für meinen Sohn, der den Bomben ausgesetzt ist»: Soldaten-Fotos unter dem Gnadenmantel der Muttergottes

Söhne, Brüder und Väter sind an der Front und täglich an Leib und Leben bedroht. Wer kann da noch helfen? In den Kriegen des 20. Jahrhunderts setzten viele Menschen ihre Hoffnung auf die Muttergottes in Mariastein. Davon zeugen Fotos und Briefe, die unter ihr Kleid gelegt wurden. Auch heute noch gibt es viele Gebetsanliegen. Etwa wegen Putins Angriffskrieg in der Ukraine.

Barbara Ludwig

In der Grotte der Gnadenkapelle ist es kalt. An der Felswand hängt das Gnadenbild, eine Statue der Muttergottes mit Jesus-Kind. Seit Jahrhunderten ist es das Ziel Tausender Menschen aus der Schweiz, dem Elsass und Süddeutschland auf ihrer Wallfahrt zum Kloster Mariastein im Kanton Solothurn.

Die "Gnadenmutter von Mariastein".
Die "Gnadenmutter von Mariastein".

Platz für Sorgen unter dem Kleid der Gottesmutter

Maria steht auf einer goldenen Wolke und trägt an diesen Tagen im Februar ein weisses mit goldenen Stickereien verziertes Kleid. Darunter hat es viel Platz – für die Sorgen und Nöte geplagter Menschen.

Bis 1984 wurden unter das Gewand der Gottesmutter Briefe und Fotos von Menschen gelegt, die sich mit ihren Anliegen an «Unsere Liebe Frau im Stein» oder «die Gnadenmutter von Mariastein» wandten.

Pater Lukas Schenker in der Gnadenkapelle des Klosters Mariastein.
Pater Lukas Schenker in der Gnadenkapelle des Klosters Mariastein.

Heute lagern die Gebetsanliegen aus jener Zeit in einer Schachtel. Pater Lukas Schenker (86) hat sie 2014 sortiert und in verschiedene Kuverts gesteckt. Der hagere Mönch, der die Journalistin in flottem Schritt durch das Labyrinth der Klosteranlage führt, ist Historiker und im Kloster Mariastein für das Archiv zuständig. Die Briefe und Fotos im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen und dem Algerienkrieg (1954 bis 1962) haben in sechs Umschlägen Platz gefunden.

Angehörige schickten Fotos ans Kloster

Die Fotos sind schwarzweiss, sehr oft winzig oder im Postkarten-Format. Die meisten zeigen junge Männer in Uniform oder in zivil, manchmal auch Familienangehörige. Es hat private Bilder von Familientreffen oder «vom schönsten Tag» im Leben eines Paares. Bei den Fotos uniformierter deutscher Soldaten im Postkarten-Format könnte es sich teils um offizielle Wehrmacht-Fotos handeln.

Fotos von deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg.
Fotos von deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg.

«Die Soldaten habe ich anhand der Uniformen identifiziert. Es sind mehr Deutsche als Franzosen», sagt Pater Lukas. Die Absender der Briefe waren in Deutschland und Frankreich zuhause – und in der Schweiz, wenn die Soldaten Verwandte in der Region hatten. «Die Soldaten schickten ihre Fotos von der Front an Angehörige, die sie dann ans Kloster weitergeleitet haben.» Dass die Fotos direkt von der Front kamen, hält der Klosterarchivar für unwahrscheinlich.

Fränzi Hofmann aus Basel schickte vier Fotos ans Kloster Mariastein.
Fränzi Hofmann aus Basel schickte vier Fotos ans Kloster Mariastein.

Zwei Brüder an der Front

Manchmal begleitet ein Brief die Bilder. Am 6. Dezember 1941 schreibt Karl aus dem Theologen-Konvikt Salesianum in Freiburg i.Ü. an den Superior von Mariastein. «Gestatten Sie bitte, dass ich Ihnen auch die Photos meines zweiten Bruders sende, dass Sie sie unter den Gnadenmantel der Muttergottes legen, dass sie auch ihn behüte wie den andern Bruder», heisst es da in sehr höflichem Ton.

Auch Josef musste an die Front, schreibt ein Mann aus Freiburg (Schweiz) ans Kloster Mariastein.
Auch Josef musste an die Front, schreibt ein Mann aus Freiburg (Schweiz) ans Kloster Mariastein.

Der Brief des Mannes kommt trocken daher, emotionslos. Die Fakten sprechen für sich. «Vor 14 Tagen erhielten wir von ihm (der bereits an der Front ist, Anm. d. Red.) noch Bericht aus der Ukraine, er sei noch gesund u. heil.» Schon über ein Jahr habe ihn Maria beschützt. Nun vertraue er ihn aufs Neue mit seinem Bruder Josef, der an Allerheiligen einrücken musste, dem «mütterlichen Schutze» Mariens an.

«Die Jünglinge schützen an Leib und Seele»

Auf der Rückseite des Fotos eines Wehrmachtssoldaten sind die Namen von fünf Männern aus süddeutschen Ortschaften aufgeführt. Sie alle kämpfen an der Ostfront. Dann folgt das Anliegen: «Bitte noch für mein (sic!) Sohn (…) der ebenfalls in einem kriegführenden Land den Bomben ausgesetzt ist + in Gefahr lebt.» Man möge die Bilder der heiligen Mutter zu Füssen legen – «mit der flehentlichen Bitte, sie möge die Jünglinge beschützen an Leib + Seele».

Foto eines Vater von vier kleinen Kindern, der in den Krieg ziehen musste.
Foto eines Vater von vier kleinen Kindern, der in den Krieg ziehen musste.

Manchmal sind es nur wenige Worte. Kurz und knapp, obschon es um alles geht: «Hermann Pflugmann. geb. 1908. im Januar. zur Zeit in Deutschland. Familienvater von 4 kleinen Kindern. Wir bitten um gesunde Heimkehr.» Viel mehr Platz hat es auch nicht auf der Rückseite des Fotos. Es zeigt einen Mann Mitte 30 in ziviler Kleidung, der mit freundlichem Gesicht in die Kamera schaut. Ein Bild aus besseren Tagen.

Der einzige Sohn in Algerien

Deutlich weniger Post gab es offenbar mit Bezug zum Algerienkrieg. Erhalten ist der aufschlussreiche Brief einer Frau aus Saint-Louis im Elsass vom 7. Mai 1958, deren Sohn seit zwei Monaten als Soldat in Algerien weilt. «Freunde rieten uns, das Bild unseres Sohnes nach Mariastein zu geben», schreibt sie dem Abt. «Wir bitten Sie nun ehrfurchtsvoll, für unseren einzigen Sohn zu beten.» Sie kündigt an, man werde im Verlauf des Sommers nach Mariastein pilgern und ein «Opfer» geben.

Brief einer Familie aus dem Elsass. Der einzige Sohn musste in den Algerienkrieg ziehen.
Brief einer Familie aus dem Elsass. Der einzige Sohn musste in den Algerienkrieg ziehen.

«Es war nicht einfach für die Elsässer, die nach Algerien in den Krieg geschickt wurden. Ich hatte auch einmal einen in der Beichte, der sagte, er sei im Algerienkrieg gewesen», erzählt Pater Lukas Schenker und hüllt sich dann in Schweigen – schliesslich gilt auch in diesem Fall das Beichtgeheimnis. Der Algerienkrieg wurde für Frankreich zum Debakel.

Mariasteiner Mönche von Gestapo verhaftet

Die Weltkriege machten nicht vor der Klosterpforte halt. 1940 traf es die Mariasteiner Mönche im österreichischen Exil. In Bregenz existierte seit 1906 das St. Gallus-Stift. Im Oktober 1940 verhaftete die Gestapo dort German Born und Benedikt Bisig. Sie sollen französischen Flüchtlingen den Weg zur Schweizer Grenze gewiesen haben, lautete der Vorwurf. Die beiden Mönche wurden zu zwei Jahren Gefangenschaft verurteilt.

Brief: "Liebe Gnadenmutter, befreie unsere Mitbrüder German und Benedikt aus der Gefangenschaft."
Brief: "Liebe Gnadenmutter, befreie unsere Mitbrüder German und Benedikt aus der Gefangenschaft."

Auch für sie bat jemand um den Schutz der Muttergottes. «Liebe Gnadenmutter, befreie unsere Mitbrüder German und Benedikt aus der Gefangenschaft», heisst es in einem Briefchen ohne Unterschrift. Es folgt ein Satz in Latein, den Pater Lukas Schenker übersetzt: «Zeige dich als unsere Mutter.» Weiter geht es auf Deutsch: «Denk an den Schmerz der beiden Mütter, wenn sie solches erfahren müssten.»

Pater Lukas Schenker vor der Kirche des Klosters Mariastein.
Pater Lukas Schenker vor der Kirche des Klosters Mariastein.

1942 wurden die beiden Patres aus dem Gefängnis in Deutschland entlassen und konnten in die Schweiz einreisen, wo sie Jahre später der jüngere Mitbruder Lukas Schenker kennenlernen durfte.

Heute gibt es ein Heft für Gebetsanliegen

In dieser Woche, da sich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine jährt, ist die Sehnsucht nach Frieden besonders gross. Post wird nicht mehr unter «Unsere Liebe Frau im Stein» gelegt. Heute können Besucherinnen und Besucher der Gnadenkapelle ihre Gebetsanliegen in einem Heft festhalten.


Fotos junger deutscher Soldaten im Zweiten Weltkriegs. Das kleinere Foto zeigt wahrscheinlich Angehörige der beiden jungen Männer. | © Barbara Ludwig
22. Februar 2023 | 05:00
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