ICF-Pastor Leo Bigger predigt auf der Bühne von Jesus und heteronormativen Familienwerten.
Schweiz

ICF zu Ostern: Homoerotisch oder homophob?

«Take Heart» hiess das diesjährige Oster-Musical des ICF. Es ging um Kreuzigung und Auferstehung. Das wird aber erst zum Schluss aufgelöst. Unklar bleibt weiterhin, wie die Freikirche zu Homosexualität steht.  

Sarah Stutte

Schon in den vergangenen Jahren organisierte die Freikirche ICF in ihrer Veranstaltungs-Arena «The Hall» in Dübendorf zu Ostern Musicals mit religiösem Touch. Auch in diesem Jahr lud sie über die Feiertage zum Mega-Event ein. Je zwei Vorstellungen von «Take Heart» gabs jeweils am Karfreitag, Samstag und Ostersonntag.

Viel Publikum vor dem ICF-Gebäude "The Hall" in Dübendorf.
Viel Publikum vor dem ICF-Gebäude "The Hall" in Dübendorf.

Das zog die Menschen an. Vor Ort, wenige Schritte vom Bahnhof Stettbach entfernt – war es am Ostersonntag übervoll. Die Halle verfügt über etwa 3’000 Sitzplätze, die fast alle besetzt waren.

Viel junges Publikum, aber auch einige ältere Menschen, die meisten davon miteinander bekannt und somit vermutlich regelmässige Worship-Besucherinnen und Besucher. Alle fröhlich und locker, wie es sich für moderne Gläubige gehört. Besonders an Ostern.

Atmosphäre wie im Hallenstadion

Junge Männer und Frauen händigen vor der Halle fleissig rote Tickets aus. Der Eintritt ist gratis, es wird am Schluss eine Kollekte geben. Offiziell für ein Hilfsprojekt in Kambodscha. Innen herrscht Gedränge, die einen holen sich noch Kaffee oder Bier, andere stehen für eine Pizza an. Man könnte fast meinen, zu Besuch an einem Konzert im Hallenstadion zu sein – wenn man es nicht besser wüsste.

Gratis-Eintritt für das ICF-Ostermusical "Take Heart"
Gratis-Eintritt für das ICF-Ostermusical "Take Heart"

Der Saal selbst ist dem Anlass entsprechend dekorativ geschmückt und auf der Leinwand wird als Schriftzug kurz erörtert, um was es in dem nun folgenden Musical geht. Um die Geschwister Maria, Marta und Lazarus aus dem Johannesevangelium. Laut diesem stammten sie aus Betanien, einem Dorf in der Nähe Jerusalems.

Strandbar statt Betanien

Die drei waren eng mit Jesus und den anderen Jüngerinnen und Jüngern befreundet. Er war öfters bei ihnen zu Gast. Während Marta alle bewirtet, hängt Maria an Jesus Lippen und Lazarus ist durch eine Krankheit gezeichnet. Diese kostet ihn am Ende das Leben. Das ist kein Spoiler, sondern durch die Bibel belegt.

Zur Einführung in die biblische Geschichte von Marta, Maria und Lazarus.
Zur Einführung in die biblische Geschichte von Marta, Maria und Lazarus.

So viel Vorwissen, so gut. Leider nützt dieses zum Verständnis der modernen ICF-Fassung nicht viel. Die Handlung wird hier an eine Strandbar in der Südsee verlegt. Betrieben wird sie von Marta, Maria und Lazarus, genannt Laz. Sie versuchen, nach der Pandemie wieder mehr Touristen auf die Insel zu locken.

Homoerotischer Unterton

Doch erstmal beginnt auf der Bühne alles mit einem jungen Mann in Shorts, der mit seinem gut gestählten Körper gerade vom morgendlichen Schnorcheln kommt. Er setzt sich zu einem älteren Herrn, der sich – ebenfalls mit kurzen Hosen – am Strand aufhält.

Die beiden begrüssen sich strahlend, der Ältere rubbelt dem Jüngeren mit einem Handtuch die Haare trocken. Das Ganze hat einen leicht homoerotischen Unterton. Aber nein, wir sind doch beim ICF. Aufs Schwulsein oder Sex vor der Ehe wird hier bewusst verzichtet.

Jesus und Gott sind auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen.
Jesus und Gott sind auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen.

Die beiden Männer verabschieden sich kurz danach voneinander, der Jüngere scheint auf Reisen gehen zu wollen. «Es gibt keine andere Lösung. Du liebst sie ja so fest», sagt der Junge zum Alten. Und der säuselt: «So wie dich», und umarmt den anderen.

Jesus nennt sich jetzt JC

Um was geht es hier genau? Eine Dreiecksgeschichte? Müssen sie sich trennen, weil der Weisshaarige seine Frau mehr liebt als den jungen Kerl? Ganz falsch, aber das versteht man – wenn überhaupt – erst ganz am Schluss. Die Szenerie wechselt zur Strandbar und den drei Geschwistern, die nacheinander vorgestellt werden.

Lazarus hat in dieser Fassung einen Herzfehler, surft aber trotzdem wie ein Beachboy auf den Wellen. Marta putzt allen hinterher und ist damit noch am nächsten an ihrer biblischen Figur. Ihre Schwester Maria denkt, dass sie mit einem Fotoshooting ein grosser Star wird und hängt sich an einen schmierigen Fotografen, der nur das Eine will.

Die Schwestern Maria und Marta an der Strandbar.
Die Schwestern Maria und Marta an der Strandbar.

Gut kommt gerade zur rechten Zeit der Schnorchelmann daher, der sich JC nennt und den drei Geschwistern mit wertvollen Tipps unter die Arme greifen kann. Zum Glück ist er auch noch Zimmermann und kann die irgendwann in sich zusammenfallende Bar schnell wieder reparieren. Jetzt dämmert auch so allmählich, wer der alte Herr zu Beginn am Strand gewesen sein könnte.

Kreativität gut, Geschichte mangelhaft

Eine spannende Geschichte ist kaum vorhanden und so hangeln sich die sehr schlechten Dialoge «Gas geben, Cash reinholen» mit platten DJ Bobo-Witzen von einer Pop-Gesangseinlage zur anderen. Trotzdem wird alles euphorisch beklatscht.

Die Tanz- und Gesangseinlagen waren nicht das Schlechteste der Show.
Die Tanz- und Gesangseinlagen waren nicht das Schlechteste der Show.

Dabei sind die Songs von Lady Gaga bis Coldplay noch das Beste an der Show oder die Tanzperformance zu Marias Modelambitionen, die sich irgendwo zwischen Madonnas «Vogue»-Video und «Germany’s Next Topmodel» einpendelt.

Auch die selbst genähten Kostüme und die kreativen Einfälle der vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer beeindrucken. Ob nun mit blauen Tüchern Wellen nachempfunden werden oder Quallengestalten durch die Halle wandern.

Quallenwesen im Ostermusical
Quallenwesen im Ostermusical

Aber schauspielerisch ist das nicht gut, was man hier zu sehen bekommt – und logisch sowieso nicht. Bis zum Schluss hat das sehr wenig mit Ostern zu tun. Jedenfalls bis Laz an einem Herzinfarkt stirbt, weil es auf der ganzen Insel weder einen Arzt noch ein Spital gibt.

Das zerrissene Lavaherz

Und dann legt sich JC auf ein Lavaherz und wird mit Müllsäcken beworfen. Das stellt dann metaphorisch die Kreuzigung und die Auferstehung dar, erklärt ICF-Pastor Leo Bigger, der kurz danach auf der Bühne erscheint.

«Die Herzen der Geschwister wurden zerrissen und Jesus verliess seinen Vater im Himmel, um unter den Menschen zu sein und ihnen zu helfen. Wenn es jemanden gibt, der dich versteht, dann ist es dieser Jesus». Denn er sei es gewesen, der an Ostern unschuldig ans Kreuz genagelt wurde, so Bigger.

Eine Gratis-"Starterbibel* mitsamt Anmeldekarte zur künftigen Gruppenteilnahme gab es zum Musical dazu.
Eine Gratis-"Starterbibel* mitsamt Anmeldekarte zur künftigen Gruppenteilnahme gab es zum Musical dazu.

Darauf folgen ein gemeinsames Gebet und ein Aufruf zum Spenden mit QR-Code. Währenddessen verteilten draussen die Helferinnen und Helfer, die zuvor dem Publikum die Eintrittskarten in die Hände gedrückt hatten, nun Starterbibeln. Damit könnten die Geschichte von Marta, Maria und Lazarus nochmals nachgelesen werden, falls nach dem Musical noch Fragen offen bleiben. Bestimmt.  

Offen für alle?

Ein guter Zeitpunkt, um einem ICF-Helfer nochmals auf den Zahn zu fühlen, wie konservativ die «Church» denn nun wirklich sei, die sich gerne so modern gibt. In einem 20min-Artikel prangerte ein Besucher, der zusammen mit zwei Freundinnen einen ICF-Anlass besuchte, einige homophobe Anspielungen in einer Predigt von Leo Bigger an.

Leo Bigger nach der Show
Leo Bigger nach der Show

In dieser Predigt hiess es unter anderem «Du sollst jeden lieben, aber musst nicht deren Lifestyle gutheissen». Oder Bigger gab den guten Rat, die «Sexualität auch einfach einmal schlafen zu legen».

Der ICF-Mitarbeiter meinte daraufhin: «Die Gruppe, die diese Anschuldigungen machte, ist demonstrativ aus der Predigt rausgelaufen. Natürlich ist unser Glaube auf der Ehe zwischen Mann und Frau begründet, aber das heisst nicht, dass bei uns nicht jeder willkommen ist».

Ein offenes Herz für alle? "Take Heart" in der Mega-Arena des ICF.
Ein offenes Herz für alle? "Take Heart" in der Mega-Arena des ICF.

Ob das so stimmt, kann nicht abschliessend beurteilt werden. Nur so viel: Im gerade zu Ende gegangenen Musical sass auch ein offensichtlich lesbisches Pärchen. Eine der beiden hat die Vorstellung sichtlich mitgenommen. Das kann an der Performance selbst gelegen haben oder daran, dass sie sich nicht wirklich wohl und verstanden gefühlt hat in der heteronormativen Grossfamilie.


ICF-Pastor Leo Bigger predigt auf der Bühne von Jesus und heteronormativen Familienwerten. | © YouTube
11. April 2023 | 17:30
Lesezeit: ca. 5 Min.
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