Hugo Ball
Schweiz

Hugo Ball – Der Bischof vom Cabaret Voltaire

Zürich, 4.2.16 (kath.ch) Berühmt geworden ist er als Mit-Begründer und Ikone der Dada-Bewegung. Hugo Ball trat 1916 in seinem kubistischen Bischofskostüm im Cabaret Voltaire auf und erfand in dieser Sternstunde der Kunst das Lautgedicht. Als Katholik griff er dabei auf Gestaltungsformen seiner religiösen Tradition zurück. Auf der Suche nach den katholischen Spuren in der Dada-Bewegung gibt es überraschende Einsichten. Zum 100-jährigen Jubiläum gibt es «Offizien» zur Feier der dadaistischen Künstler; eine Heiligen-Galerie der besonderen Art. Und mit dada-data.net stiften SRG SSR und ARTE der Kunstbewegung eine interaktive Wiedererweckung.

Charles Martig

Mit dem grossen Jubiläum von Dada vom 5. Februar besinnen wir uns auf die Anfänge und auf den Pionier des Lautgedichts. Hugo Ball trat am 23. Juni 1916 im Cabarat Voltaire auf die Bühne, verkleidet als mythischer Bischof in einem seltsam verfremdeten Kostüm. Dazu lässt sich in seinem Tagebuch «Die Flucht aus der Zeit», das die Jahre 1914 bis 21 abdeckt, Genaueres nachlesen. «Ich habe eine neue Gattung von Versen erfunden, ‹Verse ohne Worte› oder Lautgedichte.» Ausführlich schildert er in seinem Tagebucheintrag den Auftritt an jenem Abend. Zuerst sei es ihm schwergefallen, ernst zu bleiben. Dann habe er aber entdeckt, «dass meine Stimme, der kein anderer Weg mehr blieb, die uralte Kadenz der priesterlichen Lamentation annahm, jenen Stil des Messgesangs, wie er durch die katholischen Kirchen des Morgen- und Abendlandes wehklagt».

Totenmessen und Hochämter

Hugo Ball war in dieser Lebensphase nicht nur Künstler und Anarchist, mit einem starken Impetus gegen die Greuel des Ersten Weltkrieges, sondern auch Mystiker und Zauberer des Wortes. So beschreibt er in «Die Flucht aus der Zeit» seine Erfahrung als religiöses Erlebnis: «Einen Moment schien mir, als tauche in meiner kubistischen Maske ein bleiches verstörtes Jungengesicht auf, jenes halb erschrockene, halb neugierige Gesicht eines zehnjährigen Knaben, der in den Totenmessen und Hochämtern seiner Heimatspfarrei zitternd und gierig am Munde der Priester hängt.» Im verspielten Zertrümmern von Sinn und Sprache erscheint plötzlich eine religiöse Dimension. Einerseits greift Ball unbewusst auf die katholische Liturgie-Tradition zurück. Andererseits rührt er auch an den Aspekt des Nicht-Verstehens und des Geheimnisses, der in allen Religionen eine wichtige Rolle spielt.

Nach der wilden Phase von Dada in Zürich zog sich Hugo Ball mit seiner späteren Ehefrau Emmy Hennings in das Tessin zurück. Er schrieb in den 1920er Jahren Bücher über das byzantinische Christentum und die Auswirkungen der Reformation. Dadurch kam es in seiner Biographie zu einer Wiederannäherung an die katholische Kirche und an die Theologie.

Katholische Ikonen und heilige Dadas

Erstaunlich ist nun aber die Wirkungsgeschichte des Auftritts als ‹mystischer Bischof› in Zürich. Das Bild von Hugo Ball mit Bischofs-Tiara und stilisierter Kleidung gilt bis heute als eine der wichtigsten Ikonen von Dada. Die Fotografie hat am historischen Ort an der Spiegelgasse 1 in Zürich einen prominenten Platz bekommen. Ebenso dient das Bild als Leitmotiv für das grossangelegte, interaktive Projekt der Rundfunkanstalten SRG SSR und ARTE, das am 5. Februar im Internet gestartet wird. Mit einer «Web-Doc» unter dem programmatischen Titel DADA DATA lassen sich verschiedene Aspekte der Kunstbewegung neu entdecken. Dies geht von sogenannten «Hacktionen», über ein multimediales Antimuseum bis zu Interaktionen mit dem Publikum über Instagram und Twitter. Dada kommt damit im 21. Jahrhundert an und scheint nichts von seiner Vitalität eingebüsst zu haben.

Eine weitere Idee lässt aufhorchen: Zum 100. Geburtstag gibt es im Cabaret Voltaire 165 Feiertage, die als tägliche «Offizien» bezeichnet werden. Die Feiertage werden ab 6.30 Uhr veranstaltet und erinnern mit ihrer Bezeichnung an das Stundengebet. Die Zahl 165 beruft sich auf «jede und jeden der 165 DadaistInnen mit Kunst, Akademie und Dadalogie», wie dem Programm des Cabaret Voltaire zu entnehmen ist. Diese Formalisierung auf Zahlen und der Bezug auf  die katholische Heiligenverehrung sind eine Hommage an Hugo Balls Performance, die in die Kunstgeschichte eingegangen ist. (cm)

Eröffnungsfeier und Programm: www.cabaretvoltaire.ch

Interaktive Hommage an Dada von SRG SSR und ARTE: www.dada-data.net

 

 

Hugo Ball | © Wikimedia Commons/Unknown author, Public Domain
4. Februar 2016 | 17:23
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