Kirchenhistoriker Hubert Wolf.
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Hubert Wolf: «Nach der Weltbischofssynode wird es viele Enttäuschungen geben»

Hubert Wolf (63) hält die Weltsynode im Rom für Zeitverschwendung. Papst Franziskus nehme Synodalität «faktisch nicht ernst». Die Synodalisten und Synodalitstinnen könnten nichts entscheiden, sondern den «absolutistischen Herrscher nur demütig bitten». Laut Wolf leidet die Kirche bis heute unter den Folgen der Pianischen Reformen.

Michael Jacquemain

Herr Professor Wolf, das entscheidende Mitwirkungsorgan der katholischen Kirche heisst Konzil. Was ist das genau?

Hubert Wolf*: Zunächst ist zwischen zwei Typen von Konzilien zu unterscheiden: monarchische und konziliare. Monarchisch bedeutet, dass ein Monarch die Veranstaltung einberuft und leitet. In der alten Kirche war das der römische Kaiser, später dann der Papst.

«Die Synode ist ein reines Beratungsinstrument.»

Ergänzend entwickelte sich das konziliare Konzil, das sich selbst legitimiert und leitet. Die treffendsten Beispiele dafür sind das Basler (1431-1449) und zuvor das Konstanzer Konzil (1414-1418), das sogar Päpste abgesetzt hat, um die Einheit der Kirche zu retten. Durch das Erste Vatikanische Konzil (1869/1870) und das mit ihm verbundene Dogma der Unfehlbarkeit verschwindet dieser Typus.

Der Papst damals hiess Pius IX. Stimmen Sie der Einschätzung zu, dass die katholische Kirche bis heute unter ihm leidet?

Wolf: In mehrfacher Hinsicht. Nicht nur unter der Lehre der Unfehlbarkeit, sondern vor allem unter der Idee der charismatischen Amtsführung. Neben der traditionell-funktionalen Rolle, als Nachfolger des Apostels Petrus für die kirchliche Einheit sorgen zu müssen, geht es seit Pius IX. immer stärker um die Person, die zur idealen Projektionsfläche wird. Der Papst muss alles können, was die Menschen hoffen, dass er es kann. Diese Hyper-Erwartung muss jeden überfordern.

Pius IX. verhindert bis heute den Gang der Kirche in die Moderne.
Pius IX. verhindert bis heute den Gang der Kirche in die Moderne.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gibt es auch noch das Format Weltbischofssynode. Wie beurteilen Sie dieses Gremium?

Wolf: Es ist ein reines Beratungsinstrument – entschieden wird nichts. Zwar spricht Franziskus den ganzen Tag über Synodalität und Subsidiarität – aber faktisch nimmt er beides nicht ernst.

Siehe Amazonassynode 2019, …

Wolf: … eine Versammlung, die ganz nach seinen Grundsätzen geplant war. Am Ende stimmen vier Fünftel für die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt – und trotzdem übergeht der Papst das in seinem Schlusstext. Ich frage mich: Was hat das mit Synodalität zu tun?

Blick auf den Petersdom in Rom
Blick auf den Petersdom in Rom

Vermutlich versteht so gut wie niemand, was der Papst darunter versteht.

Wolf: Auf jeden Fall weder Demokratie noch Gewaltenteilung. Behauptet wird jetzt, dass Laien und sogar Frauen bei der Weltbischofssynode etwas entscheiden können. Das ist vollkommen falsch. Tatsächlich können sie den absolutistischen Herrscher nur demütig bitten, irgendetwas zu ändern. Es gibt noch nicht mal eine Tagesordnung.

Typisch jesuitisch ist, dass es ein Arbeitspapier gibt und zu dem soll ein Brainstorming stattfinden. Franziskus uminterpretiert Synodalität im Sinne einer jesuitischen Aktivierung. Wir müssen akzeptieren: Franziskus kommt nicht aus einer europäischen, synodalen Tradition.

«Die Weltsynode wird ein weiterer Debattierclub ohne rechtliche Vollmachten.»

Sondern?

Wolf: Sein ganzer Regierungsstil zeigt: Er hält sich nicht an Regeln. Das zeigt etwa der Fall Woelki, wo der Papst laut Kirchenrecht innerhalb von drei Monaten über das Rücktrittsgesuch des Kölner Kardinals hätte entscheiden müssen. Aber ein Papst darf nicht nur Wohlfühlinterviews geben, in denen er betont, dass jeder zur katholischen Kirche gehört, er muss auch entscheiden.

Können Sie in der Weltbischofssynode einen Sinn erkennen?

Wolf: Es braucht weder einen Synodalen Weg noch eine Weltbischofssynode. Das wird ein weiterer Debattierclub ohne rechtliche Vollmachten. Die grossen Streitpunkte sind aus historischer Sicht geklärt – wir haben unser Geschäft erledigt: Es gibt in der Tradition verheiratete Priester – lasst uns sie also wieder zulassen. Es gibt in der Tradition Diakoninnen – lasst uns also wieder welche weihen. Es gibt in der Tradition alternative Leitungsmodelle für Gemeinde – lasst sie uns also praktizieren. Meine Befürchtung ist indes eine andere: Nach der Weltbischofssynode wird es wieder viele Enttäuschungen geben. (kna)

* Hubert Wolf (63) ist der bekannteste katholische Kirchenhistoriker Deutschlands. Er lehrt an der Universität Münster und ist Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart. 2019 erhielt er von der Universität Bern die Ehrendoktorwürde.


Kirchenhistoriker Hubert Wolf. | © KNA
26. September 2023 | 09:00
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