Der deutsche Historiker Philipp Blom.
International

Historiker Blom: Wir brauchen eine radikale Wiederentdeckung des Menschen als Teil der Natur

Nur wenn die Menschheit sich vom Wahn befreit, über der Natur zu stehen, hat sie noch eine Chance. Davon ist Historiker Philipp Blom überzeugt. Er fordert eine neue kopernikanische Wende.

Christoph Arens

«Macht euch die Erde untertan.» Vor rund 3000 Jahren legte der Autor der biblischen Schöpfungsgeschichte, der Genesis, Gott diese Aufforderung an die Menschen in den Mund. Damit war die Idee geboren, dass der Mensch eine Sonderstellung auf der Erde einnimmt, weit über den Tieren steht und die natürlichen Ressourcen rücksichtslos ausbeuten darf.

Ein Primat, der sich hoffnungslos selbst überschätzt

Diese ursprünglich religiöse, christlich-jüdische Vorstellung wandelte sich dann seit dem 16. Jahrhundert in eine wissenschaftlich-technische Idee: Die biblische Erzählung bekam ein säkulares Kleid. Technik und Wissenschaft, aber auch der Kolonialismus der Europäer bedienten sich daran.

Gott mit Rauschebart: "Die Erschaffung Adams" von Michelangelo
Gott mit Rauschebart: "Die Erschaffung Adams" von Michelangelo

Doch diese Idee ist an ihr Ende gekommen. Glaubt jedenfalls der Historiker und Buchautor Philipp Blom. In seiner gerade veröffentlichten Universalgeschichte der Umwelt «Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur» spricht er von einem «kollektiven Wahn», der die Menschheit heute an den Rand des Abgrunds führt. Der Mensch ist ein Primat, der sich hoffnungslos selbst überschätzt. «Anstatt eines himmlischen Jerusalem erscheinen in der mittleren Distanz ein Sodom und Gomorrha.»

«Jetzt wird die Endzeitrhetorik zum ersten Mal durch fundierte Wissenschaft und Forschung untermauert.»

Blom sieht die Menschheit derzeit in einer einzigartigen Situation: Pandemien und insbesondere der Klimawandel zeigen, dass die bronzezeitliche Illusion vom Menschen als Krone der Schöpfung definitiv an ein Ende gekommen ist. «Endzeitmomente gab es immer wieder. Jetzt wird diese Endzeitrhetorik aber zum ersten Mal durch fundierte Wissenschaft und Forschung untermauert.»

Der Beginn der Schöpfungsgeschichte in der 9. deutschen Bibel vor Luther. Nürnberg: Anton Koberger, 1483.
Der Beginn der Schöpfungsgeschichte in der 9. deutschen Bibel vor Luther. Nürnberg: Anton Koberger, 1483.

Blom räumt ein, dass die Idee der Naturbeherrschung durchaus erfolgreich war. Kultur, Literatur, Wissenschaft und Technik haben – zumindest in manchen Teilen der Welt – grosse Leistungen, Wohlstand und eine liberale Gesellschaft hervorgebracht.

Fossile Brennstoffe und Industrie brachten die Wende

Es sei auch nicht so, dass die Römer oder auch sämtliche Naturvölker behutsamer mit ihrer Umwelt umgegangen seien. «Aber sie hatten schlicht nicht die Mittel, Zerstörungen anzurichten, deren Auswirkungen global spürbar sind.» Diese Möglichkeit ergab sich erst durch die Verwendung fossiler Brennstoffe und die Entwicklung der Industriegesellschaft.

Der Historiker betont: Aus der Perspektive der Natur sei Homo sapiens kein besonders wichtiger Organismus und werde das Schicksal seines Heimatplaneten nur vorübergehend beeinflussen. «Davor und danach regieren die Mikroben, für die Säugetiere wenig mehr sind als Trägerorganismen.»

DNA der Kultur ändern

Blom zeigt sich überzeugt: Nur wenn sich die Menschheit von dem Wahn befreit, über der Natur zu stehen, bleibt ihr die Chance, zu überleben. «Ich glaube, es ist an der Zeit, mit 3000 Jahren Kulturgeschichte Schluss zu machen», schreibt er. «Daher müssen wir die DNA unserer Kultur ändern.» Und verweist auf das Naturverständnis der Griechen und anderer Kulturen: «Was immer der Mensch tat, ob er in See stach oder einen neuen Acker bewirtschaftete, er musste sich mit den zuständigen Göttern arrangieren.» Mit ihnen und den von ihnen beherrschten Kräften der Natur galt es, einen Ausgleich zu finden.

«Wir sind nur ein Teil eines Ganzen – und nicht einmal ein besonders wichtiger Teil.»

Gefordert ist aus Sicht des Autors jetzt eine philosophische Revolution, die «grösser ist als die kopernikanische: die radikale Wiederentdeckung des Menschen als Teil der Natur». Blom weiter: «Wir begreifen langsam, dass wir mitten in der Natur stehen, dass alles miteinander verbunden ist. Wir sind nur ein Teil eines Ganzen – und nicht einmal ein besonders wichtiger Teil.»

Adam und Eva, Orvieto.
Adam und Eva, Orvieto.

Blom sieht die Corona-Pandemie als eine grosse Lernerfahrung: Sie habe gezeigt, dass die Menschen ihrer eigenen Sterblichkeit und existenziellen Unsicherheit wieder ein Stück nähergekommen sind. Vor allem aber hätten die Menschen etwas erlebt, was lange undenkbar war: «Jeder Mensch, der den globalen Hyperkapitalismus mit seinen zerstörerischen Nebenwirkungen kritisiert hat, hat immer zu hören bekommen, dass wir diese Maschine nicht anhalten können. Dann haben wir sie aber angehalten.» Die Tatsache, dass dies möglich war, könne auch zukünftige Debatten prägen.

Gegen Öko-Diktatur

Eine Öko-Diktatur lehnt der Autor ab. «Wir erleben zwar, wie schwierig es ist, einen demokratischen Konsens zu schaffen, um globale und drängende Herausforderungen angehen zu können.» Es komme aber darauf an, die bestehenden Strukturen und Prozesse so zu verändern, dass sie partizipativer, kleinteiliger und unmittelbarer werden.

Ob die Klimakatastrophe noch zu stoppen ist? Die heutigen Generationen müssten zumindest alles tun, um für Kinder und Kindeskinder eine Welt zu bauen, die 2050 oder 2100 ein besserer Ort ist als jetzt. «Dann wissen wir: Wir müssen uns nicht schämen! Wir haben echt versucht, eine grüne Infrastruktur aufzubauen, unsere Wirtschaft ist jetzt auf Carbon null. Wir haben alles getan, was wir tun konnten, um die Grundlagen unseres Lebens zu entgiften, dass ihr auch noch leben könnt auf dieser Welt.» (kna)

Philipp Blom: Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur. Hanser Verlag, München 2022, 365 Seiten, 28 EUR, ISBN-13: 978-3-446-27421-1.


Der deutsche Historiker Philipp Blom. | © Keystone
27. September 2022 | 16:20
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!