Maria auf dem Sterbebett am Portal der Kirche Santa Maria de los Reyes in Laguardia
Schweiz

«Entschlafung» oder «Himmelfahrt»? Ein Fest in Ost und West

Freiburg, 15.8.18 (kath.ch) Am 15. August feiern Christen in Ost und West das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel. In den orthodoxen Kirchen spricht man von der «Entschlafung Mariens» oder «Dormitio». Die Freiburger Theologin Barbara Hallensleben erklärt die unterschiedlichen Traditionen des Festes in West und Ost.

Bernard Litzler

Es beginnt mit der Namensgebung. Katholiken sprechen oft von «Mariä Himmelfahrt». Offiziell heisst das Fest «Aufnahme Mariens in den Himmel» und besagt: Maria gelangt mit Leib und Seele zu ihrem Sohn in den Himmel, ohne der Verwesung im Grab unterworfen zu sein.

Die östliche Christenheit wahrt den frühen Titel des Festes und spricht von der «Entschlafung», um den Tod der Jungfrau Maria und ihre ganzmenschliche Aufnahme in das Leben Gottes zu bezeichnen. Es gibt also einen Unterschied: Wenn Katholiken von der «Entschlafung» sprechen, meinen sie nur den Tod Mariens, während der Aufstieg in den Himmel als «Aufnahme» bezeichnet wird. Für die Kirchen des Ostens könnte der westliche Begriff den Eindruck erwecken, die Jungfrau sei ohne Durchgang durch den Tod in den Himmel aufgenommen worden.

Marias Verbundenheit mit der sterblichen Menschheit

Die Theologin Barbara Hallensleben, Professorin an der Universität Freiburg und Expertin für Ökumene, deutet den Unterschied zwischen Ost und West im Bezug zur Auferstehung Jesu Christi: «Im Westen unterscheiden wir zwischen der ‘Himmelfahrt’ Jesu und der ‘Aufnahme’ Mariens. Damit wird betont, dass Maria nicht aus eigener Kraft vom Tod zum Leben übergeht, sondern durch die Auferstehung ihres Sohnes gerettet wird. Die Ostkirche ihrerseits hebt den Aspekt der ‘Entschlafung’ der Muttergottes hervor und damit die Nähe zur Sterblichkeit des Menschen», so Hallensleben.

«Letztlich geht es immer um unsere Vorstellung von Gott.»

Wie lässt sich der Unterschied zwischen «Dormitio» und Mariä Himmelfahrt verstehen? «Letztlich geht es immer um unsere Vorstellung von Gott», sagt die Theologieprofessorin. «Wenn wir betonen, dass Gott uns von Leid und Tod befreit und uns in sein ewiges Leben führt, dann steht die Aufwärtsbewegung im Mittelpunkt. Doch die Schrift zeigt uns auch die Demut Gottes, der auf sein rein göttliches Leben verzichtet, der herabsteigt, der unser Schicksal teilt, der sich durch die Menschwerdung in Jesus Christus mit seiner Schöpfung verbunden hat.»

Unter diesem Gesichtspunkt stelle die Darstellung der Ostkirche eine notwendige Ergänzung zum Verständnis dieses Festes dar. In der westlichen Entwicklung hätten wir uns daran gewöhnt, die «Autonomie» der Schöpfung und ihrer Gesetze zu betonen und den transzendenten Gott jenseits unserer Welt zu suchen. «Aber auch im Westen haben Mystiker und alternative Denker immer gesagt: Gott ist uns innerlicher, als wir uns selber sind», betont Barbara Hallensleben.

Nachwehen des Zweiten Weltkrieges

In der katholischen Kirche fand die Verkündigung des Dogmas von Maria Himmelfahrt durch Papst Pius XII. 1950 statt, fast ein Jahrhundert nach der Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis durch Papst Pius IX. am 8. Dezember 1854. Die beiden Lehrinhalte gehören zusammen: Maria wird ohne Sünde empfangen und dann auch vor der Verderbnis des Leibes bewahrt. Die Himmelfahrt gründet also in der Unbefleckten Empfängnis Mariens.

«Dogma der Himmelsfahrt will eine Perspektive der Hoffnung geben.»

Aber haben die Katholiken auf diese Weise nicht den Tod der Jungfrau vernachlässigt, um sich auf ihren Aufstieg in den Himmel zu konzentrieren? Barbara Hallensleben antwortet: «Das Dogma von 1950 muss in seinem historischen Kontext verstanden werden. Fünf Jahre zuvor endete der Zweite Weltkrieg, in dem die Würde des Menschen mit seinem Leib millionenfach verletzt, ja völlig vernichtet wurde. In diesem Moment will das Dogma eine Perspektive der Hoffnung geben, die über den geschlossenen Horizont der Welt hinausgeht, die ‹totalitär› geworden ist».

Das Dogma betone, dass der ganze Mensch mit Leib und Seele berufen sei, der Zerstörung zu entgehen und das Leben Gottes zu teilen. In diesem Sinne nimmt laut Hallensleben das Dogma von 1950 den menschlichen Tod besonders ernst, bleibt aber nicht dabei stehen.

Strenges Fasten vor dem Festtag

Für die Theologin zeigt die Verbindung von «Dormitio» und «Aufnahme Mariens in den Himmel» daher, wie sehr sich die Wahrnehmungen der beiden kirchlichen Traditionen gegenseitig «bereichern und vertiefen können». In den Ostkirchen sei das Fest der Entschlafung Mariens das wichtigste der Marienfeste. Es schliesst das liturgische Jahr des byzantinischen Ritus ab. Dem Fest geht in der östlichen Tradition ein strenges Fasten von 14 Tagen voraus. Das unterstreiche die Bedeutung des Festtages für katholische und orthodoxe Gläubige, erklärt Barbara Hallensleben.

Da ein ausdrückliches biblisches Zeugnis fehlt, lehnen die evangelischen Kirchen eine schon vollzogene Aufnahme Mariens in den Himmel ab. Das Leben und Sterben der Mutter Gottes unterscheidet sich aus evangelischer Sicht nicht von demjenigen anderer Menschen. (cath.ch/Übersetzung: ns/bh)

Maria auf dem Sterbebett am Portal der Kirche Santa Maria de los Reyes in Laguardia | © KNA
15. August 2018 | 14:43
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