Hängende Glocken.
Religion anders

Hells Bells und Scheintodklingel: Glocken in Religion und Gesellschaft

Nachts informiert uns ihr Klang über die Uhrzeit, sie läutet Gottesdienste ein oder alarmiert uns. Glocken sind allgegenwärtig in unserer Kultur, oft nehmen wir sie gar nicht mehr bewusst wahr. Doch wer genauer hinschaut, erkennt, dass die Glocke ein faszinierendes Produkt ist, in dem sich religiöse Vorstellungen und Alltagspraxis vermischen.

Natalie Fritz

Glocken, insbesondere Kirchenglocken waren in der christlichen Welt stets ein zentrales Element der Glaubensausübung. Zeit wurde bis zum Ende des Mittelalters nämlich vor allem akustisch vermittelt. So strukturierte das Glockengeläut nicht nur der Tagesablauf der Ordensgemeinschaften, sondern auch die Bevölkerung richtete Arbeits- und Ruhezeiten nach ihm aus. Feiertage und spezielle Rituale wurden durch spezifisches Geläut als ausserordentlich hervorgehoben und die Gläubigen durch den Glockenklang zu entsprechenden Handlungen aufgefordert.

Ausserdem symbolisiert der harmonische Klang einer gut gemachten Glocke in vielen Kulturen den Einklang zwischen Menschen und Transzendenz. Unser «So geht katholisch»-Video fasst die Fakten zur Kulturgeschichte der Glocke knapp zusammen.

Glocken zum Schutz vor allerlei Bösem…

Berliner Rimonim (Aussenteile der Tora-Rollstäbe) mit Glöckchen, 19. Jh., Kölnisches Stadtmuseum.
Berliner Rimonim (Aussenteile der Tora-Rollstäbe) mit Glöckchen, 19. Jh., Kölnisches Stadtmuseum.

Glocken dienen aber längst nicht nur der zeitlichen Information oder der musikalischen Begleitung ritueller Handlungen, sondern haben auch eine besondere Stellung, wenn es etwa ums Alarmieren und Beschützen geht. Bereits in vorchristlicher Zeit verwendete man Glocken nicht nur als Musikinstrumente, sondern auch als Schutzgegenstände – im religiösen und im säkularen Bereich. Glocken um den Hals eines Tiers gebunden, erleichterten seine Ortung und vertrieben je nachdem sogar allfällige Fressfeinde – oder das Böse…

Bereits im Alten Testament wird der Glocke eine schützende Wirkung gegen böse Mächte zugeschrieben. Ihr Klang sollte Böses fernhalten, wie Vers 28, 35 des 2. Buch Mose belegt. Der Historiker Flavius Josephus (37/38 – 100 n. u. Z) bezeichnete den Klang der Glocke offenbar als donnerähnlich und verstand dies als eine mögliche Erscheinungsform Gottes. Glockengeläut symbolisiert in dieser Denkweise dann die Präsenz Gottes im Augenblick.

Insofern macht es durchaus Sinn, wenn Glocken – im religiösen, aber auch im säkularen Bereich – als Instrumente der Erinnerung und Vergegenwärtigung eingesetzt werden.

… im säkularen wie im religiösen Umfeld

Der heilige Antonius mit Glocke, Santuario Madonna del Carmine, San Felice del Benaco, Italien.
Der heilige Antonius mit Glocke, Santuario Madonna del Carmine, San Felice del Benaco, Italien.

Der heilige Antonius (252–356 n.u.Z.) wird auf Bildern häufig mit einer Handglocke dargestellt. Als Eremit in der Wüste vertrieb er Teufel und Dämonen damit, die ihn von seinem gottesfürchtigen Leben abbringen wollten.

Als Signalinstrument, das über weite Distanzen hörbar war, wurde die Glocke bereits früh als Mittel der Warnung eingesetzt. Insofern dienen auch Alarm-, Feuer- oder Pestglocken dem Schutz vor Bösem – vor allem, wenn sie zuvor entsprechend geweiht oder mit einem Segen graviert worden sind.

Übrigens: Feinster Glockenabrieb wurde in der Medizin gar als probates Mittel gegen Fieber verabreicht.

Glocke am Zeh gegen zu frühe Bestattung

Ab dem 18. Jahrhundert häuften sich die Berichte über Scheintote, die bei lebendigem Leib begraben worden seien. Nach stundenlangen Kämpfen seien die Begrabenen elend erstickt, wovon Kratzspuren an Sargdeckeln und blutverkrustete Hände zeugten. Deshalb griffen die Mediziner und Bestatter auf verschiedene Massnahmen zurück, um ein zu frühes Begräbnis zu verhindern. Im Leichenhaus wurden Finger oder Zehen mit Glöckchen verbunden, die bei einer Regung der Glieder sofort die Wachhabenden alarmieren sollten.

Der lebendig Begrabene, 1854, Antoine Wiertz, Royal Museums of Fine Arts of Belgium.
Der lebendig Begrabene, 1854, Antoine Wiertz, Royal Museums of Fine Arts of Belgium.

Um ganz sicher zu gehen, keine lebende Person begraben zu haben, liessen manche Familien und Bestatter einen Draht oder eine feste Schnur vom Zeh eines potenziellen Leichnams zur Glocke der Friedhofskapelle spannen. Bei Bewegung Alarm! Schriftsteller wie Edgar Allen Poe oder Gottfried Keller verarbeiteten im 19. Jahrhundert in ihren Werken die gesellschaftlichen Fantasien und ihre persönlichen Ängste in Bezug auf einen Scheintod.

Sicherheitssarg mit Kordel und Glocke. Screenshot «The Safety Coffin».
Sicherheitssarg mit Kordel und Glocke. Screenshot «The Safety Coffin».

Auch hier spielt der Schutzaspekt der Glocke eine zentrale Rolle. Zumal die Totenglocken, die in gewissen ländlichen Gebieten auch heute noch beim Tod eines Gemeindemitglieds geläutet werden, nicht nur die anderen über einen Hinschied informieren, sondern auch das Böse fernhalten sollten – zumindest im Volksglauben.

Gezähmte «Hells Bells»

In der christlichen Musik wimmelt es textlich von Glocken und Glöcklein, die die Ankunft des Herrn verkünden. Aber auch populäre Musikgenres haben sich der Glocke thematisch angenommen. So avancierte der Song «Hells Bells» der australischen Hardrockband AC/DC aus dem Jahr 1980 zu einem ihrer grössten Hits.

Auffällig ist, dass die Band ihr «böses» Image damit unterstrich, dass sie religiöse Anspielungen und Symbole ins Gegenteil verkehrte. Zu Beginn des Lieds hört man vier tiefe Glockenschläge, die dann von einsetzenden Gitarren begleitet werden, bis sie nur noch den Hintergrund bilden. AC/DC deutet die Glocke um zum Signal des Bösen. Es sind die Höllenglocken, die hier erklingen und die Zeit des Bösen ankünden.

Vom höllischen Text des Lieds liess sich 2018 David Drambyan, Glockenspieler vom Roten Turm in Halle an der Saale, jedoch nicht abhalten. Er adaptierte «Hells Bells» für das Carillon, das Glockenspiel des Roten Turms. Der Kirchenmusiker hat metaphorisch die bösen Glocken mit guten Glocken gezähmt.

Schillers Lied von der Glocke als prägendes, literarisches Bild

Illustration zu Friedrich Schillers «Das Lied von der Glocke» von Alexander von Liezen-Mayer.
Illustration zu Friedrich Schillers «Das Lied von der Glocke» von Alexander von Liezen-Mayer.

Friedrich Schillers «Das Lied von der Glocke», das im Jahr 1799 veröffentlicht wurde, hat das deutschsprachige Kulturschaffen nachhaltig geprägt. Bis heute gehört es zum Kanon des Deutschunterrichts, viele geflügelte Wörter, die auch heute noch gebräuchlich sind, stammen aus «Das Lied von der Glocke».

Schillers 425 Verse langes Gedicht verbindet die Kunst der Glockengiesserei mit dem menschlichen Leben, den Freuden und Gefahren desselben. Weil Glocken ein christliches Leben von Anfang bis zum Ende begleiten, ist diese Kombination aus Schillers Perspektive naheliegend. Das Gedicht vermittelt Werte und Normen der bürgerlichen Gesellschaft und kritisiert dabei zeitgenössische Kriegstreiber mit dem Hinweis auf das Geläut, das Frieden verspricht.

Das steht in scharfen Kontrast zu einer Adaption des «Lieds von der Glocke» aus dem Ersten Weltkrieg, wo das Gedicht propagandistisch umformuliert wurde.

Berliner Weltfriedensglocke in Berlin-Friedrichshain, eingeweiht 1989.
Berliner Weltfriedensglocke in Berlin-Friedrichshain, eingeweiht 1989.

Wobei angemerkt werden muss, dass die Glocke in Kriegszeiten stets eine ambivalente Bedeutung hatte: einerseits ist Glockenmetall immer wieder für die Herstellung von Waffen zweckentfremdet worden, andererseits wurden mit Glockengeläut die Menschen vor feindlichen Angriffen gewarnt und der Frieden eingeläutet. Gerade jetzt wünschte man sich wohl mancherorts, dass die Friedensglocken die Dämonen des Kriegs vertreiben mögen.

Hängende Glocken. | © Pexels/Akash Sethi, Public domain
17. Juni 2023 | 07:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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