Hans Zollner verliess die päpstliche Kinderschutzkommission aus Protest.
Vatikan

Hans Zollner: Der Kirche fehlt nach wie vor Mut zu Transparenz und Verantwortung

Der Jesuit Hans Zollner (55) hat die Missbrauchsprävention zu seinem Lebensthema gemacht. Vor zehn Jahren hat er in München ein Institut gegründet, seit 2014 ist er in Rom. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Roland Juchem

Am 1. Januar 2012 haben Sie das Kinderschutzzentrum (CCP) gegründet, das Sie kürzlich zu einem Institut für Safeguarding (IADC) ausgebaut haben. Was trieb Sie dazu, das fürchterliche Thema Missbrauch zu Ihrer Lebensaufgabe zu machen?

Hans Zollner*: Wesentliche Gründe waren sicher das grosse Unbehagen, das anfängliche Chaos, Sprachlosigkeit und Lähmung innerhalb der Kirche. Die Frage: Wie geht man mit dem Leid der Betroffenen um, wie begegnen wir ihnen? Wie bringt man das mit der Ausbildung von kirchlichem Personal zusammen?

«Wir können diesen Weg nur mit Betroffenen gehen.»

Aber es waren doch auch Begegnungen mit Menschen, die Opfer von Missbrauch geworden sind?

Zollner: Als Psychotherapeut begegnen mir menschliche Abgründe in sehr vielen Formen. Sexueller Missbrauch ist nicht die einzige Form. Von daher war mir schnell klar: Wir können diesen Weg nur mit Betroffenen gehen. Nur so erhalten wir für unsere Arbeit ein angemessenes Bild der Wirklichkeiten – im Leben einzelner Menschen wie in einer Institution.

Jesuit Hans Zollner
Jesuit Hans Zollner

2012 fingen Sie in München an, 2014 gingen Sie nach Rom. Wo gab es Rückenwind?

Zollner: Meine Jesuitenoberen, der Generalobere und der Rektor der Gregoriana haben uns unmittelbar unterstützt. Auch die meisten Kurienspitzen haben unsere Arbeit gutgeheissen.

Und wo Gegenwind, Widerstände?

Zollner: Widerstand in direkter und konzertierter Form habe ich nicht erlebt. Was ich schon merke, ist, dass nicht wenige ein grosses Unbehagen mit dem Thema haben. Sie meinen, man solle nicht auf die Kirche schimpfen, sondern sie verteidigen. Mir gegenüber wird das kaum direkt geäussert.

Viel ist von systemischen Ursachen für Missbrauch für Missbrauch die Rede. Welche stehen für die Kirche fest?

Zollner: Systemisch heisst, dass die einzelnen Faktoren sich gegenseitig beeinflussen: Ausbildung, Art und Weise der Amtsausübung, Reformbereitschaft, Ressourcenverteilung und vieles mehr. Ein kleines Beispiel: Wir haben keine Rechtssicherheit, was etwa Verfahren angeht. Warum wird in einem Fall jemand entlassen und in einem anderen Fall nicht? Ungenügend geklärt sind auch die Rechte von Prozess-Beteiligten: Angeschuldigte, Opfer, Vorgesetzte… Wer darf wann was sagen und wissen: dafür gibt es keine Definition.

Da müsste sich im kirchlichen Prozessrecht etwas ändern?

Zollner: Ja, klar. Dann die Gewaltenteilung in der Kirche. Dass im Bischof Legislative, Judikative und Exekutive vereinigt sind, macht Transparenz und Rechenschaftspflicht sehr schwer. Immerhin wurde 2019 ein erster Schritt zur Rechenschaftspflicht von Bischöfen getan. Ausserdem mischt sich Systemisches und rein Persönliches. Vielen, auchnormalen Gläubigen, ist das Bild einer makellosen Kirche sehr wichtig. Der Mut, transparent zu sein, Verantwortung zu übernehmen, offen zu kommunizieren – der fehlt in der katholischen Kirche noch oft.

«Klerikalismus gibt es bei Klerikern und bei Nicht-Klerikern.»

Welche Rolle spielt Klerikalismus?

Zollner: Klerikalismus gibt es bei Klerikern und bei Nicht-Klerikern: Prestigedenken und das Gefühl der Unangreifbarkeit hängt nicht nur an der Weihe. Wie wird Personal ausgewählt und ausgebildet? Wie wird jemand Bischof? Welche Qualitäten spielen tatsächlich eine Rolle? Wie sieht die Ausbildung in den Priesterseminaren aus? Befolgt man päpstliche Dokumente, wonach menschliche Bildung die Basis ist für alles andere ist? Ich sehe das nicht.

Wie weit sind Sie mit Ihren Forschungen zum geistlichen Missbrauch? Wird das eine Ihrer Aufgaben für die künftige Arbeit am Institut für Safeguarding?

Zollner: Natürlich. Für die Kirche ist das ein wichtiges Thema. Erstaunlich, dass dies einer grössere Öffentlichkeit erst in den letzten zwei, drei Jahren bewusst geworden ist.

Was sind sonst massgebliche Ziele für Ihr neues Safeguarding-Institut?

Zollner: Wichtig ist eine Revision unseres Blended-Learning-Programms online. Das ist ein zentrales Vehikel, um in die Fläche hineinzuwirken. Inhaltlich wird es ständig überarbeitet, auch weil neue Themen aufkommen. Dann haben wir einige Forschungsprojekte in der Pipeline, auch um unsere wissenschaftliche Reputation zu festigen. Ein Projekt etwa sind spirituelle Erwartungen von Betroffenen von Missbrauch gegenüber der Kirche. Das hängt mit der von Kardinal Marx gegründeten Stiftung «Spes et salus» zusammen, für die das IADC dieses Vorhaben übernimmt.

Wie sieht es mit der personellen Aufstockung aus?

Zollner: Ich bin endlich nicht mehr der einzige Professor, jetzt ist auch der frühere Münchner Generalvikar Peter Beer mit an Bord. Dann erhalten wir einen weiteren Mitstreiter speziell für die Forschung. Schliesslich haben wir eine ganze Reihe jüngere Leute, die jetzt mit Institutsgründung ihre Karriere weiterführen und zu Professorinnen und Professoren werden können. Das alles wollen wir in zwei, drei Jahren ausbauen.

Ihre personelle Zukunft werden also weitgehend Eigengewächse sein?

Zollner: Nicht nur, immer wieder klopfen qualifizierte Leute von aussen an. Vom Bistum Rottenburg-Stuttgart haben wir eine Finanzierungszusage für Postdoc-Stellen im Bereich Pädagogik des Safeguarding. Ein wichtiges Thema ist die Prävention von Missbrauch im Internet, heute der grösste Risikofaktor für Kinder und Jugendliche. Wir müssen in einer interdisziplinären Anthropologie die Fächer Recht, Kirchenrecht, Psychologie, Psychiatrie, Theologie verbinden lernen. Nur so können wir die Menschenwürde und der Sorge für Schutzbedürftige besser verstehen und bessere Präventionsarbeit leisten.

Aber IT-Experten und Dozenten brauchen Sie nicht?

Zollner: IT-Experten im strengen Sinne nicht, aber Leute, die wissen, was Missbrauch im Internet heisst, welche Schäden angerichtet wird, wie die Entwicklungen im Netz laufen. Vor allem müssen sie wissen, welche Hebel anzusetzen sind, so dass die grossen Social-Media-Anbieter darauf hören.

Wann können Sie die neuen Institutsräume in der Villa Malta einweihen?

Zollner: Wir hoffen auf Ende Mai oder Anfang Juni. Das Okay der italienischen Behörden hat lange gedauert. Jetzt hängt der genaue Termin auch davon ab, wann welche Handwerker zur Verfügung stehen und wann das Material für die Einrichtung geliefert werden kann.

* Der Jesuit Hans Zollner (55) ist Psychologe und Theologe und zählt zu den führenden kirchlichen Fachleuten im Bereich der Missbrauchs-Prävention.

Er leitet das «Institut für Anthropologie – Interdisziplinäre Studien zu Menschenwürde und Sorge für schutzbedürftige Personen» (IADC). Dieses ist aus dem bisherigen Kinderschutzzentrum CCP hervorgegangen, das am 1. Januar 2012 in München gegründet wurde. Das neue Institut übernimmt alle Bereiche des CCP, erhält einen eigenen Lehrkörper und ermöglicht neben den bisherigen Abschlüssen Diplom und Lizenziat auch eine Promotion in Anthropologie. (cic)


Hans Zollner verliess die päpstliche Kinderschutzkommission aus Protest. | © KNA
28. Dezember 2021 | 13:20
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!