«Hängt euch richtig rein, damit ihr selig werdet!» – Die Playmobil-Bibel

«Peace, everybody, seid alle herzlich willkommen zum Johannesevangelium!» Der deutsche Dramaturg Michael Sommer hat zwischen 2020 und 2021 alle Bücher der Bibel in Alltagssprache zusammengefasst und mit Playmobilfiguren nacherzählt. Das nennt er «verplaymobilisieren».

Natalie Fritz

«Fürchtet euch nicht, denn dies wird ein Bibelvideo, wie es sich gehört – nur wesentlich kürzer!», verkündet der Playmobilengel alias Gabriel. «Wir präsentieren das Evangelium nach Lukas mit Blut, Schweiss, Tränen und… Sandalen.»

Engel Gabriel im Evangelium nach Lukas, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»
Engel Gabriel im Evangelium nach Lukas, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»

So salopp übersetzt Michael Sommer in seinen «Die Bibel to go»- Videos die Bücher des Alten und des Neuen Testaments in heutige Alltagssprache. Der deutsche Literaturwissenschaftler und Dramaturg hat zwischen 2020 und 2021 alle Bücher des Alten und des Neuen Testaments «verplaymobilisiert» und auf seinen Youtube-Kanal hochgeladen.

Die Sprache ist durchsetzt mit Anglizismen und Begriffen aus dem Jugend-Slang. Da sagt Moses auch einmal «Yo, Danke, Digger!» und Paulus nennt Timotheus «Padawan», ein Verweis auf das populäre «Star Wars»-Universum. So gelingt es Sommer, die alten Texte im Hier und Jetzt zu verorten und die komplexen Inhalte der Bibel für junge Digital Natives verständlich und attraktiv aufzubereiten. Aber auch für ein älteres Publikum sind die Interpretationen interessant. Die Bezüge eröffnen die Möglichkeit, die Geschichten mit einem frischen Blick zu entdecken.

Jesus und Johannes der Täufer (mit Giesskanne) im Evangelium nach Markus, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»
Jesus und Johannes der Täufer (mit Giesskanne) im Evangelium nach Markus, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»

Das Brühwürfel-Prinzip: verdichtet, verkürzt und gut verständlich

Sämtliche 66 «Die Bibel to go»-Videos sind unter 15 Minuten und präsentieren den komplexen Inhalt verdichtet und gut verständlich. Die Einführung ins Markusevangelium lautet entsprechend: «Yo, Leute und willkommen zum Evangelium nach Markus – dem Brühwürfel unter den Evangelien. Denn in diesem ungefähr 70 nach Christus entstandenen Bericht geht es nur um die allerwichtigsten Events im Leben Jesu.»

Hipster-Jesus predigt im Evangelium nach Markus,
Hipster-Jesus predigt im Evangelium nach Markus,

Sommers Ensemble besteht aus 1’500 Playmobilfiguren, die er mit Sinn für Ironie und mit einer grossen Portion Schalk einsetzt. Etwa wenn er für Gott eine blauhaarige Hippie-Figur auswählt und ihn/sie im 1. Buch Mose folgendermassen vorstellt: «Mit dabei sind: Gott, der Herr. Ja, die sieht wirklich ein bisschen anders aus, als sie erwartet haben, aber das ist er wirklich… sie. Ach, Personalpronomen sind so bürgerliche Kategorien.» Weshalb er Gott abwechselnd mit männlichem und weiblichem Personalpronomen bezeichnet, erklärt Sommer im Teaser zum Neuen Testament: «Gott hat den Menschen nach seinem Bild erschaffen. Den Menschen und nicht den Mann!»

Gott – in Sommers «Die Bibel to go» ohne lästige Personalpronomen, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»
Gott – in Sommers «Die Bibel to go» ohne lästige Personalpronomen, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»

Bibel to go mit evangelischer Unterstützung

Trotz sozialkritischem Unterton und aller Komik verfremdet Sommer weder den Inhalt der einzelnen Bücher noch banalisiert oder persifliert er sie. Die Komplexität der Materie bleibt bestehen und häufig schliessen die Videos an aktuelle gesellschaftliche und theologische Debatten – wie etwa Klimakrise oder LGBTQIA+ – an. Die Zusammenfassungen sind inhaltlich nah am Original, der deutschen Lutherübersetzung. Beim Grossprojekt unterstützen das Team von evangelisch.de und das evangelische Content-Netzwerk yeet Sommer mit ihrem Fachwissen. Diese Zusammenarbeit nahm ihren Anfang 2018 an der Verleihung des Grimme Online Awards.

Screenshot von «Die Bibel to go»-Erfinder und Dramaturg Michael Sommer beim Online-Interview mit Sonntagsblatt – 360° Evangelisch
Screenshot von «Die Bibel to go»-Erfinder und Dramaturg Michael Sommer beim Online-Interview mit Sonntagsblatt – 360° Evangelisch

Michael Sommer erhielt damals den Grimme Online-Preis für seine Youtube-Videos «Sommers Weltliteratur to go», in denen er Klassiker der Weltliteratur ebenfalls mit Playmobilfiguren zusammenfasst. Ein Youtube-Traum für Gymnasiasten, die sich auf die Matura vorbereiten! An besagter Verleihung traf Sommer auf den Portalleiter von evangelisch.de und die Idee, das «Buch der Bücher» zu «verplaymobilisieren» nahm langsam Gestalt an. Sommer hatte zwar die Bibel noch nie «von Deckel zu Deckel», wie er es nennt, gelesen, war aber von ihrer kulturellen Bedeutung überzeugt. «Wer sich mit Literatur und Kultur beschäftigt, kommt um die Bibel nicht herum», erklärt er im Online-Interview mit Sonntagsblatt – 360° Evangelisch im Herbst 2020.

Jesus am Kreuz im Evangelium nach Matthäus, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»
Jesus am Kreuz im Evangelium nach Matthäus, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»

Von wegen säkular! Die Auseinandersetzung mit der Bibel fördern

Im Herbst 2020 veröffentlichte Sommer die erste Folge von «Die Bibel to go», das 1. Buch Mose. Zuoberst in der Kommentarspalte findet sich ein Warnhinweis: «Diese To-Go-Version ersetzt nicht die Lektüre des Originals. Selber lesen macht glücklich!» Die individuelle Auseinandersetzung mit einem Werk ist für den Literaturwissenschaftler eine Herzensangelegenheit. Man muss sich an Texten reiben können, um sie wirklich zu verstehen und daran zu wachsen.

Jesus als Elvis-mässiger, weisser Ritter und der Teufel in Drachengestalt in der Offenbarung des Johannes, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»
Jesus als Elvis-mässiger, weisser Ritter und der Teufel in Drachengestalt in der Offenbarung des Johannes, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»

Manchmal, frage er sich schon: «Was zum Teufel hat sich Gott dabei gedacht?», erklärt Michael Sommer im Online-Interview. Im Abschlussvideo im Herbst 2021 erklärt er, dass er mit verschiedenen Bibelstellen hadere, etwa wenn es um Frauen- oder Fremdenfeindlichkeit gehe. Aber diese Stellen kämen halt vor. Es gehe darum, wie er mit den Passagen umgehe und sie umsetze.

Jesu Geburt in Betlehem im Evangelium nach Lukas, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»
Jesu Geburt in Betlehem im Evangelium nach Lukas, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»

Sommer ist der Meinung, dass die persönliche Beschäftigung mit schwierigen Passagen wichtig sei, weil man davon profitiere. Als Literaturwissenschaftler ist der Grimme-Preisträger mit der Macht von Mythen und ihrer Zeitlosigkeit vertraut. Die biblischen Geschichten prägen unsere Kultur bis heute nachhaltig und eine Auseinandersetzung mit diesem Text kann helfen, sich selbst und die Welt etwas besser zu verstehen. Sommer will mit seinen Interpretationen nicht provozieren, aber die Leute etwas zu irritieren, gefällt ihm ganz gut. Vielleicht, hofft der Dramaturg, rege er sein Publikum dadurch zum Nachlesen an!

Die Bergpredigt im Evangelium nach Matthäus, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»
Die Bergpredigt im Evangelium nach Matthäus, Screenshot Youtube «Die Bibel to go»

Kinderspielzeug und literarische Klassiker – das scheint ein Erfolgsmodell zu sein, denn mittlerweile hat Sommers Youtube-Kanal 154’000 Abonnentinnen und Abonnenten – eine hohe Zahl für einen Kultur-Kanal. Und die Videos kommen an, bei Religionslehrpersonen, Kindern und Erwachsenen. Für die Lehre gibt es die Videos ohne Werbeeinblendung. Eine nicht-repräsentative Umfrage im Familienkreis kam zum Ergebnis: «So cool, wusste gar nicht, dass die Stories so spannend sind. Da will man Binge-Schauen!»


Adam und Eva im 1. Buch Mose, Screenshot Youtube «Die Bibel to go» | © Michael Sommer «Die Bibel to go»
28. Mai 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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