Die liechtensteinische Aussenministerin Dominique Hasler am 27. Oktober 2021 im Vatikan.
International

Günther Boss: Das Erzbistum Vaduz wird nicht aufgelöst

Der Liechtensteiner Theologe Günther Boss (53) ist alarmiert: Erzbischof Wolfgang Haas soll im Priesterrat verkündet haben, dass das Erzbistum Vaduz bestehen bleibe. Günther Boss kritisiert, es gehe zu wenig um die Gläubigen – und zu sehr um Machtpolitik und um finanzielle Interessen.

Jacqueline Straub

Erzbischof Wolfgang Haas feiert im August 2023 seinen 75. Geburtstag. Dann muss er dem Papst seinen Rücktritt anbieten. Wie blicken Sie diesem Ereignis entgegen?

Günther Boss*: Sie erleben mich im Moment ziemlich ratlos. Ich bin im Unklaren, wie es in unserem Erzbistum weitergehen wird.

Günther Boss
Günther Boss

Welche Szenarien könnten eintreten?

Boss: Der Papst könnte den Rücktritt annehmen oder Wolfgang Haas noch länger im Amt lassen. Es könnte sein, dass ein neuer Bischof oder Administrator eingesetzt wird oder dass Liechtenstein wieder mit einem anderen Bistum zusammengeschlossen wird.

«Unsere Regierung meint wohl, dass es ein souveränitätspolitischer Gewinn sei, ein eigenes Bistum im Land zu haben.»

Was dürfte am ehesten eintreten?

Boss: Wer Nachfolger von Wolfgang Haas werden könnte, weiss ich nicht. Doch die wenigen Indizien, die wir im Moment haben, deuten darauf hin, dass der Heilige Stuhl in Liechtenstein das eigene Erzbistum beibehalten will. Wolfgang Haas soll sich jüngst im Priesterrat dahingehend geäussert haben. Niemand kann uns aber etwas Verlässliches sagen, da der Papst auch kurzfristig anders entscheiden kann. Der Nuntius oder die Regierung haben die Öffentlichkeit bisher nicht über die Zukunft des Erzbistums Vaduz informiert, obwohl in wenigen Monaten ein Wechsel ansteht.

Das Erzbistum Vaduz wollte auf Anfrage von kath. dazu keine Stellung nehmen.

Wolfgang Haas ist noch Erzbischof von Vaduz.
Wolfgang Haas ist noch Erzbischof von Vaduz.

Das Erzbistum Vaduz gibt es seit 1997. Erleben Sie gerade ein Déjà-vu?

Boss: 1997 wurde ohne jede Vorabinformation dieses Erzbistum eingerichtet. Damals haben sich Parlament und Regierung empört gezeigt. Die Vorgehensweise des Heiligen Stuhls wurde massiv in Frage gestellt. Immer wieder wurde betont, dass es völkerrechtlich eine Verletzung der Souveränität von Liechtenstein sei. Leider meint unsere Regierung heute wohl, dass es ein souveränitätspolitischer Gewinn sei, ein eigenes Bistum im Land zu haben.

Kathedrale St. Florin in Vaduz
Kathedrale St. Florin in Vaduz

Was macht das mit Ihnen?

Boss: Es enttäuscht mich. Wir haben jetzt 25 Jahre lang erlebt, dass es nicht gut kommt mit einem isolierten Bistum für zehn Pfarreien. Wir haben verschiedene Modelle vorgeschlagen, um wieder eine Verbindung zu finden mit einem grösseren Bistum und mit einer Bischofskonferenz. Etwa das Modell der Personalunion mit Chur, sodass es in Zukunft den «Bischof von Chur und Vaduz» in einer Person geben würde. Scheinbar alles für die Katz – es wird rein machtpolitisch entschieden. Pastorale oder theologische Erwägungen scheinen zweitrangig zu sein. Insider sagen mir, dass es im Hintergrund sogar um handfeste finanzielle Interessen gehe.

Die Fürstenfamilie beim Papst: Franziskus empfängt die Familie von Fürst Hans-Adam II. und Fürstin Marie von und zu Liechtenstein 2017 im Vatikan.
Die Fürstenfamilie beim Papst: Franziskus empfängt die Familie von Fürst Hans-Adam II. und Fürstin Marie von und zu Liechtenstein 2017 im Vatikan.

An was denken Sie?

Boss: Man müsste einmal recherchieren, welche Summe der Erzbischof von Vaduz vom Mutterbistum Chur herausgefordert hat. Zudem müsste man einmal die kirchliche Stiftung «Mater Fortior» des Erzbistums Vaduz unter die Lupe nehmen. Darin dürften bereits viele Spenden, Legate, Grundstücke und Immobilien liegen. Transparenz gibt es keine – eine kirchliche Stiftung fliegt unter dem Radar der Finanzmarktaufsicht (FMA) durch.

«Wir sind komplett isoliert – und nicht nur wir Gläubigen.»

Was braucht das Erzbistum Vaduz?

Boss: Es braucht eine Öffnung nach aussen, eine stärkere Einbindung in eine Bischofskonferenz und eine Verbindung zu anderen Bistümern und Bischöfen. Wir brauchen Einbindung in ein grösseres kirchliches Ganzes. Ein Bistum mit zehn Pfarreien ist in dieser Kleinheit absurd. Die Tendenz in der katholischen Kirche geht seit Jahrzehnten dahin, kleine Mini-Bistümer wie etwa in Italien aufzulösen. Wir sind komplett isoliert – und nicht nur wir Gläubigen. Auch Wolfgang Haas hat sich zunehmend isoliert. Niemand kommt mehr an ihn heran. Teilweise nicht mal mehr sein eigener Klerus.

Die Schweizer Bischöfe im Jahr 2014 beim Papst
Die Schweizer Bischöfe im Jahr 2014 beim Papst

Haben Sie Hoffnung, dass sich das verbessern wird?

Boss: Wenn dieses Problem der Isolation nicht gesehen wird, wird sich nichts ändern. Es kann sein, dass ein guter Bischof sein Amt antritt, der von sich aus oder im Auftrag von Rom die Verbindung zu Feldkirch, Chur oder St. Gallen sucht – oder auch zur Schweizer Bischofskonferenz. Wenn dies nicht geschieht, sind wir weiterhin unter einer Käseglocke.

«Wolfgang Haas zeigt keinerlei inhaltliches Interesse an der Meinung der Gläubigen.»

Erzbischof Wolfgang Haas hat sich gegen den synodalen Prozess ausgesprochen – und eine Mitwirkung verweigert. Wie wirkt das auf Sie?

Boss: Es ist nicht zum ersten Mal, dass der Erzbischof eine Anweisung von Papst Franziskus nicht befolgt – das war schon öfter der Fall. Dass er das aber öffentlich kommuniziert hat, war neu. Er hat der ganzen Welt verkündet, dass er sich gegen den Papst stellt. Gleichzeitig behauptet er, dass wir in Liechtenstein jederzeit miteinander sprechen können – das ist lächerlich. Er zeigt keinerlei inhaltliches Interesse an der Meinung der Gläubigen. Haas’ Verhalten steht für einen Bruch mit Rom.

Das Logo des synodalen Prozesses.
Das Logo des synodalen Prozesses.

Wie sehen Sie Ihre Rolle im Bistum?

Boss: Unser Verein für eine offene Kirche hat als Oppositionsbewegung begonnen. Heute ist unser Verein näher am Papst als der Erzbischof selbst. Wir sind nicht mehr Opposition, sondern katholisch – also universalkirchlich denkend.

Warum hat Ihr Verein am Erzbistum vorbei einen synodalen Prozess organisiert?

Boss: Wir waren gezwungen, uns selber zu organisieren. Unsere Antworten gingen über den Nuntius direkt nach Rom und sind nun im Synodensekretariat.

«Die Gläubigen in Liechtenstein ticken nicht anders als jene in der Schweiz.»

Wie hoch war die Beteiligung?

Boss: Prozentual haben sich wesentlich mehr Menschen beteiligt als im Bistum Chur. Insgesamt gab es 250 Teilnehmende – aber wir sind ja auch ein kleines Land. Die Schlusspapiere haben gezeigt, dass unsere Forderungen ähnlich sind wie jene aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Die Gläubigen in Liechtenstein ticken nicht anders als jene in der Schweiz.

Was bedeutet das mit Blick auf den synodalen Prozess?

Boss: Das Erzbistum Vaduz ist ein Testfall für den ganzen synodalen Prozess. Wir hören im Moment zwei Botschaften. Zum einen überlegt Papst Franziskus, wie man das Volk Gottes bei einer Bischofswahl beteiligen kann. Zum anderen steht unser Bistum kurz vor einem Bischofswechsel. Nach Beteiligung sieht es nicht aus. Es läuft nach Kirchenrecht ab. Es ist einzig und allein der Heilige Stuhl, der über die Errichtung von Bistümern und die Einsetzung von Bischöfen entscheidet. Wir haben überhaupt kein Mitspracherecht. Das widerspricht sich fundamental. Im Moment spricht die Kurie zu uns mit zwei Stimmen, zeigt uns zwei Gesichter – wie ein schizophrener Patient.

Papst-Meditation zum Start der Weltsynode
Papst-Meditation zum Start der Weltsynode

Was wünschen Sie sich diesbezüglich?

Boss: Es ginge darum, gemeinsam einen Weg zu gehen. Das heisst man müsste gerade bei einer Bischofswahl eine partizipative Struktur schaffen. Dadurch, dass das Erzbistum Vaduz so aus dem Boden gestampft wurde und kein Domkapitel mit verbindlichem Wahlrecht hat, läuft es nach Kochbuch ab. Und im Kochbuch der Kirche heisst es: nur der Papst entscheidet und fertig.

Sie wirken frustriert.

Boss: Ich befürchte, dass der synodale Prozess eine Enttäuschung sein wird. Denn die nötigen partizipativen Strukturen gibt es gar nicht. Die katholische Kirche müsste zunächst eine entsprechende Verfahrensordnung erlassen, müsste das Kirchenrecht von 1983 ergänzen. Solange im Kirchenrecht keine Mitwirkung von Laien in wichtigen Struktur- und Personalentscheidungen vorgesehen ist, wird der synodale Prozess ein Stückweit «l’art pour l’art» bleiben.

«Selbst unter den Bischöfen ist Wolfgang Haas heute isoliert.»

Denken Sie, dass der Nachfolger von Erzbischof Wolfgang Haas beim Thema Synodalität mehr machen wird?

Boss: Das kommt ganz darauf an, wer Bischof wird.

Im Februar kommen die europäischen Bischofskonferenzen in Prag für den synodalen Prozess zusammen. Wird Erzbischof Wolfgang Haas persönlich anreisen – und wer wird ihn begleiten?

Boss: Ich gehe davon aus, dass er nicht anreisen wird. Selbst unter den Bischöfen ist er heute isoliert. Er fährt lieber ins Allgäu nach Wigratzbad zur Petrusbruderschaft. Dort hat er seine eigentliche kirchliche Beheimatung gefunden, ganz ohne lästige Synoden und kritische Laiinnen und Laien.

* Der promovierte Theologe Günther Boss (53) ist Berater des Vereins für eine offene Kirche und Chefredaktor von «Fenster. Magazin des Vereins für eine offene Kirche». Er wohnt in Triesenberg/Liechtenstein.


Die liechtensteinische Aussenministerin Dominique Hasler am 27. Oktober 2021 im Vatikan. | © KNA
26. Oktober 2022 | 15:42
Lesezeit: ca. 5 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!