Kerze am Christbaum.
Schweiz

Gregor Emmenegger: «Man weiss nicht, ob die frühen Christen auch privat Weihnachten feierten»

Zu Weihnachten gehört heute der Besuch eines Gottesdienstes. Noch wichtiger dürfte für viele das Fest im Kreis der Familie sein. Bei den Christinnen und Christen der Antike war dies nicht so. Weihnachten wurde zunächst gar nicht gefeiert, weiss Gregor Emmenegger (51). Der Kirchenhistoriker kennt auch die unterschiedlichen Thesen zum Festtermin und erklärt, wie der Christbaum den Weg in unsere Wohnstuben gefunden hat.

Barbara Ludwig

Seit wann feiern Christinnen und Christen Weihnachten?

Gregor Emmenegger*: Das Weihnachtsfest kommt erst in der Mitte des vierten Jahrhunderts auf. Zunächst wohl in Rom, die Quellen sind nicht ganz eindeutig. In den ältesten erhaltenen Weihnachtspredigten etwas später wird darauf Bezug genommen, dass es ein neues Fest ist. Vorher, in den ersten drei Jahrhunderten wurde die Geburt Christi nicht eigens gefeiert.

Gregor Emmenegger, Spezialist für alte Kirchengeschichte.
Gregor Emmenegger, Spezialist für alte Kirchengeschichte.

Wie haben die frühen Christen Weihnachten gefeiert?

Emmenegger: Am 25. Dezember gingen die Gläubigen zur Kirche und feierten einen Gottesdienst zum Gedenken an die Geburt Christi. Der älteste eindeutige Hinweis auf die Feier am 25. Dezember steht in einer Liste für Märtyrergedenktage, die um 337 zusammengestellt wurde. Man hat offensichtlich das Weihnachtsfest ähnlich begangen wie ein Gedenkfest für Märtyrer. Erst viel später wird es zu einem nächtlichen Fest.

Haben sie auch privat Weihnachten gefeiert?

Emmenegger: Das weiss man nicht. Es gibt kaum Hinweise dazu. Die Art und Weise, wie es heute gefeiert wird, dieses bürgerliche Weihnachtsfest im Kreise der Familie, kommt erst viele Jahrhunderte später auf.

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Warum feiern wir am 25. Dezember Weihnachten?

Emmenegger: Darüber gibt es eine langanhaltende Debatte. Zwei Hypothesen werden geltend gemacht, warum das Weihnachtsfest auf den 25. Dezember fällt. Die eine ist die Berechnungshypothese: Informationen aus dem Neuen Testament können so ausgelegt werden, dass Jesus an einem 25. Dezember geboren wurde. Das ist aber nicht eindeutig. In den ersten drei Jahrhunderten wurde eine ganze Serie von Daten – übers Jahr verteilt – vorgeschlagen. Der 25. Dezember setzte sich allmählich im vierten Jahrhundert durch.

«Kaiser Aurelian wollte einen Kult für das Römische Reich etablieren, der breit akzeptiert würde.»

Und die zweite Hypothese?

Emmenegger: Das ist die religionsgeschichtliche These. Sie geht davon aus, dass die Christen Weihnachten an einem Tag feierten, an dem es bereits ein heidnisches Fest gab, welches damit konkurrenziert werden sollte. Dieses Argument von Hermann Usener kam um die Wende zum 20. Jahrhundert auf. Die Erklärung erscheint auf den ersten Blick plausibel – jedoch gab es damals am 25. Dezember kein Fest, das durch Weihnachten hätte ersetzt werden können. Wir wissen nicht eindeutig, warum sich als Festdatum der 25. Dezember etabliert hat. Zur Zeit geht man in der Forschung davon aus, dass verschiedene Faktoren zusammenspielten: Die Nähe zu römischen Feiertagen wie den Saturnalien, der 25. Dezember als möglicher errechneter Geburtstag Christi sowie politische Bestrebungen zur Förderung des Wir-Gefühles.

Christbaum auf dem Basler Münsterplatz.
Christbaum auf dem Basler Münsterplatz.

Was ist mit der Geburtstagsfeier des römischen Sonnengottes? Daran hätten die Christen doch anknüpfen können.

Emmenegger: In der Tat hat Aurelian im Jahr 274 durch einen kaiserlichen Erlass eine Sonnenwendfeier eingeführt, einen Geburtstag des Sol Invictus (Unbesiegter Sonnengott, d. Red.). Hintergrund war ein erfolgreicher Kriegszug gegen Königin Zenobia von Palmyra in Syrien. Kaiser Aurelian wollte einen Kult für das Römische Reich etablieren, der breit akzeptiert würde und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken könnte. Dafür war der Sonnenkult ideal – er entsprach dem Zeitgeist.

Wir feiern am 25. Dezember Weihnachten, weil es an diesem Tag kein heidnisches Fest gibt.

Bischof Maximus von Turin

Jedoch gibt es einige Hinweise dafür, dass diese Feier auf keine breite Resonanz stiess. Als ein Jahrhundert später die ersten christlichen Weihnachtsfeiern begangen wurden, meinte Bischof Maximus von Turin in seiner Predigt: Wir feiern am 25. Dezember Weihnachten, weil es an diesem Tag kein heidnisches Fest gibt. Man geht heute davon aus, dass das für den 25. Dezember stimmt – aber die Nähe zu den Saturnalien eine Woche zuvor dennoch eine Rolle spielte.

Weihnachtsgeschenke.
Weihnachtsgeschenke.

Wie kam es dazu, dass man sich an Weihnachten Geschenke macht?

Emmenegger: Der Brauch, sich in dieser Zeit zu beschenken, existiert schon in der Antike. Ab dem 17. Dezember wurden im Römischen Reich die Saturnalien gefeiert. Das ist ein Fest zu Ehren des Gotts Saturn, das mit einer Prozession, mit Lichtern, mit Geschenken und mit grossen Gelagen begangen wurde. Am 1. Januar folgte die Feier der Kalenden. An diesem Tag war es ebenfalls üblich, einander etwas zu schenken. An diesen Feierlichkeiten haben auch Christinnen und Christen teilgenommen – zum Missfallen mancher Priester und Bischöfe, die in ihren Predigten vor einer Teilnahme warnten.

«Mit der Etablierung eines bürgerlichen Weihnachtsfestes wandelte sich das Christkind zu einem geschlechtsneutralen Fabelwesen mit Flügeln.»

In späteren Jahrhunderten übernahmen verschiedene Festtage für Heilige diese Funktion. Etwa das Fest des Heiligen Nikolaus am 6. Dezember, der Heiligen Drei Könige am 6. Januar, oder im orthodoxen Raum die Feier des Basilius des Grossen am ersten Januar. Dann gesellten sich weitere Figuren dazu: die Hexe Befana, die in Italien Geschenke bringt, Väterchen Frost in Russland sowie der unvermeidliche Weihnachtsmann. Im deutschsprachigen Raum hat sich das Christkind als Überbringer der Geschenke durchgesetzt. Damit war ursprünglich das Jesuskind in der Krippe gemeint. Mit der Etablierung eines bürgerlichen Weihnachtsfestes im 19. Jahrhundert wandelte es sich allmählich zu einem geschlechtsneutralen Fabelwesen mit Flügeln.

Wann hielt das Weihnachtsfest Einzug in die Wohnstuben der Menschen?

Emmenegger: Bis Ende des 18. Jahrhunderts ist Weihnachten ein Fest, das in den Kirchen, auf den Strassen und in grossen Gesellschaften begangen wurde. Ab 1800 kam ein Prozess in Gange, in dem sich Weihnachten zu einem Anlass wandelte, der zuhause in der Familie gefeiert wird. Dabei wurden Bräuche aus unterschiedlichen Regionen aufgenommen und adaptiert.

«In vielen Gegenden der Schweiz kannte man bis zum Ersten Weltkrieg keine Weihnachtsbäume.»

Zum Beispiel?

Emmenegger: In vielen Gegenden der Schweiz kannte man bis zum Ersten Weltkrieg keine Weihnachtsbäume. Mein Grossvater kam aus dem Entlebuch und wurde als junger Soldat an der elsässischen Grenze stationiert. Er und viele seiner Kameraden lernten erst in der Armee den Brauch kennen, ein Tännchen mit Kerzen zu schmücken und in die Stube zu stellen – und er brachte dies mit nach Hause. So breitete sich der Weihnachtsbaum in der Schweiz aus und wurde schnell zur Tradition. Bräuche wandeln sich, werden adaptiert oder schwinden. Das hat sich mit den neuen Medien noch verstärkt: Das Christkind hat gegen den Weihnachtsmann einen schweren Stand.

Adam und Eva, Orvieto.
Adam und Eva, Orvieto.

Ist das Elsass die Heimat des Christbaums?

Emmenegger: Erste Hinweise auf einen Weihnachtsbaum, den man zuhause aufstellt, stammen tatsächlich aus dem Elsass. Sie datieren aus dem 16. Jahrhundert. Der Brauch blieb zunächst regional. Tannenbäume kamen aber bereits in den mittelalterlichen Mysterienspielen vor. Diese sind eine Art geistliches Theater, das zu grossen Feiern vor oder in der Kirche inszeniert wurde.

«Vor der Darstellung der Geburt Christi wurde die Geschichte von Adam und Eva und dem Sündenfall gespielt.»

Das Spiel sollte den Gläubigen verdeutlichen, worum es bei dieser Feier geht. Für Weihnachten wurde vor der Darstellung der Geburt Christi die Geschichte von Adam, Eva und dem Sündenfall gespielt. Das erinnerte daran, dass Christus geboren wurde, um die Sünde der Urahnen aufzuheben. So kam neben der Krippe ein grüner Paradiesbaum mit Äpfeln zu stehen.

Weihnachtskrippe in der Kathedrale St. Ursen in Solothurn.
Weihnachtskrippe in der Kathedrale St. Ursen in Solothurn.

Der Tannenbaum kommt also aus den Mysterienspielen irgendwann in die Wohnstube?

Emmenegger: Genau – wie auch die Krippe. Die These, wonach der Weihnachtsbaum auf heidnische Baumfeiern zurückgehe, ist unwahrscheinlich: Es ist keine Traditionslinie nachweisbar. Doch eine Winterfeier für Frieden und neues Leben mit Lichtern und immergrünen Bäumen, Kränzen und Girlanden zu gestalten, ist naheliegend – auch ohne eine direkte Abhängigkeit.

*Gregor Emmenegger (51) ist Spezialist für alte Kirchengeschichte. Der Professor ist seit 2009 Lehr- und Forschungsrat am Departement für Patristik und Kirchengeschichte der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz).


Kerze am Christbaum. | © Barbara Ludwig
21. Dezember 2023 | 17:15
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