Gottfried Locher legt Reformierten mehr Wurst essen ans Herz

Rheinfelden AG, 30.1.17 (kath.ch) Gottfried Locher, Präsident des Rats des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), mahnt die Reformierten, weniger streng mit sich selbst zu sein und katholischer zu werden, um freie Christen im Sinne Zwinglis zu bleiben. Zum Reformationsjubiläum sprach er auf Einladung der evangelisch-reformierten Gemeinde in Rheinfelden.

Boris Burkhardt

In der reformierten Kirche geht es um die Wurst. Genauer gesagt ums Wurstessen. Bei seinem Besuch und Vortrag in der Evangelisch-Reformierten Kirche in Rheinfelden am 20. Januar nutzte der SEK-Rastspräsident die wohl populärste Begebenheit der Schweizer Reformation, um bildlich auf seiner Meinung nach nötige Provokationen innerhalb der reformierten Kirche in der Schweiz hinzuweisen.

50 reformierte und katholische Zuhörer folgten seinem Vortrag auf Einladung der Kirchgemeinde Rheinfelden-Kaiseraugst-Magden-Olsberg und diskutierten im Anschluss lebhaft mit dem international erfahrenen Pfarrer.

Heute wäre das Gegenteil ein Skandal: Wenn Sie heute als Reformierte einfach in der Passionszeit mal fasten

Eine buchstäbliche Wiederholung der skandalösen Begebenheit, als die Reformatoren um Zwingli 1522 im Zürcher Haus Froschauer in der Fastenzeit provokant Wurst assen, würde heute keinen Sinn mehr machen, sagte Locher, zeigte anhand dieser Metapher aber, um was es ihm geht: «Heute wäre das Gegenteil ein Skandal: Wenn Sie heute als Reformierte einfach in der Passionszeit mal fasten würden.»

Was Zwingli damals als Einengung empfunden habe, sei nichts mehr, «wovon wir heute befreit werden müssten». Locher unterstellt den heutigen Reformierten «Kleingläubigkeit wie bei Petrus»: «Haben die Menschen auf der Kanzel nicht die Worte verloren, um das Evangelium in unsere heutige Welt zu transponieren?»

Massvolle Provokationen seien ein notwendiges Ausleben der reformatorischen Freiheiten, «weil sie das Gewohnte herausfordern», fuhr Locher fort. Er selbst habe als Pfarrer in Bern für einen Haufen Leserbriefe gesorgt, als er im Gottesdienst das Apostolische Glaubensbekenntnis habe sprechen lassen: «Aber so wurde über dieses Thema gesprochen.»

Weg von den einsamen Berggipfeln

Dem sola scriptura und solus Christus Luthers fügt Locher ein eigenes sola communio hinzu: «Die Reformierten haben einen Glauben entwickelt, der eigentlich keine Kirche mehr braucht.» Der Gottesdienst ist seiner Meinung nach aber der Kern des christlichen Lebens – «nicht nur ein Angebot von vielen». Locher propagiert das Beten in Gemeinschaft: «Frei ist niemand allein.» Hier seien gerade die Kirchenpfleger gefragt, «die Wandergruppen von den einsamen Berggipfeln» zu holen. Locher ermunterte auch dazu, den Pfarrer nach dem Gottesdienst auf die Predigt anzusprechen, wenn etwas unklar geblieben sei.

Viele Eigenarten der Schweizer Reformierten sind nicht «reformiert», sondern «helvetisch»

Lochers Provokationen sind zielgerichtet auf mehr Ökumene: Das Motto der Reformatoren «Ecclesia semper reformanda» sieht er für die reformierten Christen der Schweiz heute in einer Bewegung zurück verwirklicht. Glaubensbekenntnis, Fasten, regelmässiges Abendmahl, Kyrie und Sanctus, Verehrung Marias – Locher sprach von vielen «Kindern», die die Reformierte Kirche in der Schweiz «mit dem Bade» ausgeschüttet habe, sich also in unnötig radikaler Weise von der katholischen Kirche abgegrenzt habe.

Dabei hätten die ursprünglichen Reformatoren, die alle zuvor Katholiken gewesen seien, viele der genannten Liturgie-Bestandteile durchaus nicht abschaffen wollen. Locher ging so weit zu sagen: «Zwingli würde die heutige reformierte Kirche nicht verstehen.»

Nicht reformiert, sondern helvetisch

Locher ist nicht nur der «Oberste Schweizer Reformierte», wie ihn Kirchenpflegepräsidentin Catherine Berger launisch vorgestellt hatte, sondern steht ausserdem als Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa in ständigem internationalen ökumenischen Kontakt.

«Ich weiss nicht, wie ein Kirchenbund funktionieren soll, wenn er möglichst machtlos sein soll»

So wies er auch darauf hin, dass viele Eigenarten der Schweizer Reformierten gar nicht «reformiert», sondern «helvetisch» seien. So hätten die Reformierten in England während seines mehrjährigen Aufenthalts mit höflicher Verständnislosigkeit reagiert, wenn er versucht habe, den Stolz der Schweizer auf ihre Bekenntnislosigkeit zu erklären.

Katholische Reformatoren

«Die Katholiken bräuchten mehr freche Reformatoren; und die Reformierten bräuchten mehr katholische Konstanz», sagt Locher ausserdem. Werde in der Katholischen Kirche zu viel von oben nach unten diktiert, werde in der Reformierten Kirche zu wenig von unten nach oben delegiert. Konkret am Beispiel Abendmahl demonstrierte Locher: «Sie können in Rheinfelden das ökumenische Abendmahl nicht durchsetzen. Das mag mit dem jetzigen katholischen Pfarrer gelingen; aber sein Nachfolger will vielleicht nichts mehr davon wissen.»

Solche Themen könnten auf nationaler Ebene zwischen den Kirchen dauerhafter angegangen werden. «Ich weiss nicht, wie ein Kirchenbund funktionieren soll, wenn er möglichst machtlos sein soll», warb er auf ironische Art dafür, das Subsidiaritätsprinzip mehr zu nutzen.

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30. Januar 2017 | 12:19
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Wurstessen für Vegetarier

Am ersten Sonntag der vorösterlichen Fastenzeit im Jahr 1522, dem 9. März, wurde im Haus des Druckers Christoph Froschauer in Zürich Wurst gegessen. Damit wurde das geltende Fastengebot der katholische Kirche bewusst und in provozierender Weise gebrochen. Beim Treffen mit Gottfried Locher war die Wurst selbstverständlich auch Thema bei den Anfragen aus dem Publikum. Auf den halbernst gemeinten Einwurf, wie er die Metapher des Wurstessens gegenüber Vegetariern rechtfertigen könne, erwiderte Locher, auch Christen sollten zulassen, dass nicht alles politisch korrekt gesagt werde: «Sonst traut sich keiner mehr, etwas zu sagen.» Gefragt nach der Rolle der Diakonie (Dienst am Nächsten), sagte Locher: «Das Evangelium sollte in Wort und Tat verkündet werden.» Er warnte aber gleichzeitig davor, die Kirche allein mit dem Hinweis auf ihre Sozialarbeit zu rechtfertigen: «Dann wird von Kritikern schnell das Argument kommen, dass der Staat diese Aufgabe viel günstiger erfüllen könnte.»