Giuseppe Gracia beim Grabtuch in Wädenswil: Geld stinkt nicht!
Kommentar

Giuseppe Gracia: Erst das Fressen, dann die Moral

Ein Mann, der seine Bekanntheit der Kirche verdankt, kehrt ihr den Rücken. Giuseppe Gracias Abschiedskuss ist vergiftet. Und zeugt von einer moralischen Flexibilität, die tief blicken lässt. Wie kann man katholisch sein – aber den eigenen Bischof verhungern lassen? Anstand sieht anders aus.

Raphael Rauch

Man muss sich die Abschiedsworte von Giuseppe Gracia auf der Zunge zergehen lassen. Da spricht eine Mischung aus «katholischem Hooligan», wie ein Domherr den Krawallmacher nennt, und Pippi Langstrumpf: «Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt.»

Liberal, wenn’s passt

Die Abschiedsworte eröffnet Gracia mit dem nötigen Pathos: «Aufgrund meiner liberalen Grundwerte…» Offenbar eine Reverenz an die NZZ, für die er künftig vermehrt schreiben will, nachdem der «Blick» seine Kolumne eingestellt hat.

Giuseppe Gracia am Podium von Kirche in Not, 2019
Giuseppe Gracia am Podium von Kirche in Not, 2019

Liberal dürfte bei Gracia ein Synonym für moralisch flexibel sein. Liberal ist dann okay, wenn es gegen die Kirchensteuer gerichtet ist, gegen die Konzernverantwortungsinitiative oder gegen geschlechtergerechte Sprache. Bei anderen Fragen wie selbstbestimmtem Sterben passt das liberale Weltbild dann nicht mehr.

«Verbunden mit der eigentlichen, sakramentalen Kirche»?

Weiter betont Gracia in seinen Abschiedsworten, er sei «aus der römisch-katholischen Landeskirche ausgetreten». Das deutet auf einen partiellen Kirchenaustritt hin, den er so nicht nennt, weil der Möchtegern-Macho natürlich keine halben Sachen macht. Partieller Kirchenaustritt würde auch bedeuten, dass er weiterhin Kirchensteuern zahlt – nur direkt an Bischof Markus Büchel und nicht an die Kantonalkirche.

Gracia betont, er fühle sich weiterhin «verbunden mit der eigentlichen, sakramentalen, römisch-katholischen Kirche». Dennoch spendet er sein Geld lieber karitativen Einrichtungen als dem Bischof von St. Gallen.

Die Bischöfe finden: «Wir brauchen einander»

Professor Kurt Koch, der als Bischof von Basel Gracia in Solothurn angestellt und den Studienabbrecher erst salonfähig gemacht hat, betonte erst noch am Donnerstag, wie konstitutiv das Bischofsamt für das Kirchesein ist. In der «Blick»-Sprache Gracias hiesse das: Wie kann man katholisch sein – aber den eigenen Bischof verhungern lassen?

RKZ-Generalsekretär Daniel Kosch
RKZ-Generalsekretär Daniel Kosch

Zurecht betont RKZ-Generalsekretär Daniel Kosch: Der Bischof von St. Gallen sieht das duale System nicht als Problem, sondern als Segen, und die Kantonalkirchen als «key partner». «Wir brauchen einander», betonte Markus Büchel erst kürzlich mit seinen Mitbrüdern in Einsiedeln.

Giuseppe Gracia hatte Einnahmen aus Kirchensteuern

Auch sei die Frage erlaubt, warum Giuseppe Gracia nicht öfter bei Priesterweihen und Pontifikalämtern zu sehen war, wenn ihm die «eigentliche, sakramentale, römisch-katholische Kirche» doch so wichtig ist (kath.net, can you hear me?).

Seit 2022 stehen keine Priester, sondern Laien auf den mächtigen Positionen unterhalb des Bischofs.
Seit 2022 stehen keine Priester, sondern Laien auf den mächtigen Positionen unterhalb des Bischofs.

«Obwohl mein Lohn nicht aus Kirchensteuergeldern stammte», schreibt Gracia in seinem Abschieds-Statement, und verschweigt zwei Dinge: Woher er seinen Lohn im Bistum Basel bezog – doch nicht etwa aus Kirchensteuern? Und warum Bischof Vitus Huonder es sich leisten konnte, Gracia grosszügig zu vergüten: Weil genügend andere Katholikinnen und Katholiken mit der Kirchensteuer solidarisch die Spitalseelsorge, die Migrantenseelsorge und die Pfarreiarbeit am Laufen halten. So bleibt dem Bischof eine Portokasse mit Geld von partiell Ausgetretenen.

Gracias Gehässigkeiten

Gehört zum Katholischsein nicht auch ein gewisser Anstand? Statt in Demut zu akzeptieren, dass Papst Franziskus Martin Grichtings geplatzte Intrige im Domkapitel genauso wenig abgewinnen kann wie Vitus Huonders Faible für Tridentinisches, kurzum: dass in Chur nun ein anderer Wind weht (doch nicht etwa der Heilige Geist?), tritt Giuseppe Gracia genüsslich mit Gehässigkeiten nach.

Für viele ein rotes Tuch: Giuseppe Gracia.
Für viele ein rotes Tuch: Giuseppe Gracia.

Auch ist sich Giuseppe Gracia nicht zu schade, Lügen zu verbreiten. Er habe Journalistenanfragen stets beantwortet, flötete er erst bei «Musik für einen Gast» ins SRF-Mikrophon. Die Liste der Anfragen verschiedener Medien ist lang, die das Gegenteil bezeugen. Auch gestern ging Gracia wieder unangenehmen Fragen aus dem Weg.

Kennt Gracia überhaupt Frankreich?

Stattdessen polterte er, er wolle eine Trennung von Kirche und Staat: Alle Religionsgemeinschaften sollten privat organisiert sein, «wie in den USA, Italien oder in Frankreich». Offenbar hat der selbsternannte Schriftsteller verpasst, dass es erhebliche Unterschiede gibt zwischen den USA, Frankreich und Italien.

Emmanuel Macron bei Papst Franziskus
Emmanuel Macron bei Papst Franziskus

In Frankreich ernennt der französische Präsident den Strassburger Erzbischof. Der französische Steuerzahler kommt für den Unterhalt jeder Kirche auf, die vor 1905 gebaut worden ist. Überhaupt ist die vielbeschworene Laizität im Wandel: Der Katholik Emmanuel Macron war gestern als erster französischer Staatspräsident in Lourdes.

Auch dem Land seiner Vorfahren in Italien wird Gracia nicht gerecht: Wie stark Kirche und Staat hier getrennt sind, zeigt die aktuelle Diskussion um das Anti-Homophobie-Gesetz.

Wer ist illoyal – Kopp oder Gracia?

Als der beliebte Generalvikar Martin Kopp den Allgemeinplatz von sich gab, dass Rom eher auf staatliche denn auf kirchliche Interventionen höre, sprach Gracia von Illoyalität. Wie loyal aber ist ein ehemaliger Arbeitnehmer, der jede Möglichkeit nutzt, gegen seinen früheren Arbeitgeber, die Kirche, Stimmung zu machen?

Martin Kopp im Kampf gegen die frühere Churer Bistumsleitung.
Martin Kopp im Kampf gegen die frühere Churer Bistumsleitung.

Erst gestern gab Gracia indirekt Kopp recht, als er zeterte: «Der Reformwille der Kirche ist leider gering – wer einmal Privilegien besitzt, gibt sie ungern wieder ab.» Deshalb brauche es die Politik, die hier eingreifen müsse. Was bei Kopp gestern noch illoyal war, ist bei Gracia heute «state of the art».

Gracias nächstes Narrativ heisst «Cancel Culture»

Die Kirchgemeinde Wädenswil sollte sich gut überlegen, ob Giuseppe Gracia der richtige Mann ist, um eine Ausstellung zum Turiner Grabtuch im August für mehr als 2500 Franken zu begleiten. Von Pfarrer Markus Dettling darf hier wohl keine Initiative erwartet werden.

Das Grabtuch von Turin im Turiner Dom. Nach Wädenswil kommt eine Kopie.
Das Grabtuch von Turin im Turiner Dom. Nach Wädenswil kommt eine Kopie.

Die Kirchenpflege sollte aber auf die Barrikaden gehen und Giuseppe Gracia ausladen. Schliesslich will er mit dem dualen System nichts zu tun haben. Wenn Gracia die Ausladung dann «Cancel Culture» nennt, passt es zu seiner Hooligan- und Pippi-Langstrumpf-Strategie: sich wahlweise als Täter oder Opfer zu inszenieren. Hauptsache: moralisch flexibel!

Anmerkung vom 20. Juli, 16.30 Uhr: In einer ersten Fassung war zu lesen, dass Pfarrer Markus Dettling «allzu gerne Bischof Vitus Huonder immer wieder zum Mittagessen nach Wädenswil eingeladen» habe. Hierzu teilt Pfarrer Markus Dettling mit:

Erklärung von Pfarrer Markus Dettling

«Erstens habe ich nicht Bischof Vitus Huonder eingeladen. Ein Teammitglied hat das aus einem persönlichen Grund getan.

Zweitens war diese Einladung nicht ‹immer wieder›. Sie war zweimal, soviel ich weiss. Einmal war es nach einer Firmspendung; das ist eine Sache des Anstandes.

Drittens ist es eine reine Spekulation, dass ich die Einladung von Giuseppe Gracia möchte. Ich habe das nicht veranlasst.

Viertens habe ich noch nie mit Gracia Kontakt gehabt.

Fünftens stellt mich die Berichterstattung von kath.ch in eine politische Ecke, wo ich nicht bin. Ich betreibe grundsätzlich keine Kirchenpolitik – weder für die rechte noch die linke Seite.»


Giuseppe Gracia beim Grabtuch in Wädenswil: Geld stinkt nicht! | © Peter Esser
17. Juli 2021 | 13:11
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!