Gerhard Pfister, Nationalrat und Präsident der Mitte-Partei.
Schweiz

Gerhard Pfister zündet ein philosophisches Feuerwerk – Jesuiten staunen

Zum Direktorenwechsel im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn erhielt Mitte-Parteipräsident Gerhard Pfister eine Carte Blanche zum Thema «Zukunft der spirituellen Bildung». Er legte sich philosophisch ins Zeug. Die Credit-Suisse-Krise verband er mit einer «transzendentalen Obdachlosigkeit». Dem neuen Direktor Toni Kurmann und seinem Vorgänger Tobias Karcher verschlug es beinahe den Atem.

Charles Martig

«Vielen Dank, lieber Geri, für dieses Feuerwerk, das mich begeistert hat», bedankte sich Tobias Karcher bei Gerhard Pfister. Und Toni Kurmann pflichtete ihm bei.

Dem ungleichen Paar stand die Freude über den bildungsphilosophischen Höhenflug, der soeben stattgefunden hatte, ins Gesicht geschrieben. Hier der philosophisch-intellektuelle Jesuit, Tobias Karcher.

Toni Kurmann (l) und Tobias Karcher
Toni Kurmann (l) und Tobias Karcher

Dort neben ihm auf dem Podium der pragmatische und bodenständige Toni Kurmann, der neu die Leitung übernimmt. Sie stehen für einen Übergang im Lassalle-Haus, der auch einen neuen Stil der Führung verspricht.

Lost in Translation

Gerhard Pfister erzählte von einem Flug am 16. Februar von Singapur nach London. Im Flugzeug sah er den Film «Lost in Translation» von Sofia Coppola. Er sinnierte über die Formen der Translation im Sinne des Übersetzens nach – sprich über das Ufer setzen und in den Tod gehen.

Aber er meinte damit auch das Vermitteln zwischen den Welten und Kulturen. «Das Jenseits ist zu einem Vakuum geworden», konstatierte Pfister. Und fragte: «Worauf richtet sich dann Spiritualität? Auf jeden Einzelnen, in sein Inneres, radikal individualisiert.» Die transzendente Welt sei dem modernen Menschen fremd geworden, so Pfister. Er lebe deshalb in den Widersprüchen einer globalisierten Welt.

Der Mitte-Politiker Gerhard Pfister berief sich auf ein zweites Erlebnis am 11. April dieses Jahres: der Sondersession im Parlament zur Credit-Suisse-Krise in Bern. «Mehr Materialität und Diesseitigkeit geht nicht.» Heutzutage würden die Menschen in einer Welt leben, die ohne Transzendenz auskomme, so Pfister. Und berief sich mit der «transzendentalen Obdachlosigkeit» auf Georg Lukács und Friedrich Nietzsche.

«Fehlt uns etwas, wenn wir keine Transzendenz mehr haben?», fragte Pfister rhetorisch. «Was kann spirituelle Bildung in dieser Ausgangslage bieten?» Dazu präsentierte er vier Teilantworten: ästhetisch, kulturpessimistisch, philosophisch und generell.

Blick aus der Ewigkeit

Die ästhetische Antwort bezog Pfister aus «Der Himmel über Berlin», dem Filmklassiker von Wim Wenders. Die vollständige Gegenwart sei nur zu erreichen, wenn wir den Blick aus der Ewigkeit auf unser Leben richten würden.

Die Menschwerdung des Engels Damiel zeige aber auch eine radikale Hinwendung zum Diesseits, in den Fluss der Geschehnisse. «Nennt mir die Männer und Frauen und Kinder, die mich suchen werden, mich…», zitierte Pfister eine wichtige Verszeile des Films.

Die nächste Rakete im Feuerwerk dieser Carte Blanche war Peter Strassers «Apokalypse und Advent». Durch die Abwesenheit des Jenseits entstehe ein neuer religiöser Markt: eine Wellness-Industrie, die die Sehnsucht nach einem besseren Leben bediene, aber stets in ein totalitäres Verlangen nach Erlösung münde. «Spiritualität hat nur dann eine Zukunft, wenn sie die totalitäre Sicht verhindert», so Pfister.

Sinnhaftigkeit des Spirituellen

Dann wendete sich Pfister seinem Höhepunkt zu und rekurrierte auf den Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein. Er habe die Grenze zwischen Logik und Sinn gezogen.

«Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.» Das berühmte Diktum aus dem «Tractatus Logico Philosophicus» durfte natürlich nicht fehlen. Doch Gerhard Pfister blieb seinem Auftrag treu, indem er anhob: «Es öffnet sich das weite Feld des Mystischen, der Spiritualität, des Unsagbaren.» Die Sinnhaftigkeit des Spirituellen bekomme einen neuen Wert. Das sei die positive Antwort von Wittgenstein auf eine Welt ohne Transzendenz.

«True Religion»

Pfister kam wieder auf seinen Flug nach London zu sprechen. Nach der Landung begegnete er einem jungen Mann mit einem auffälligen T-Shirt. «True Religion» stand darauf, die Werbung für eine US-amerikanische Jeans-Marke. Mit einem lächelnden Buddha, einer Gitarre im Arm und dem Daumen nach oben.

Das verleitete Gerhard Pfister zu der Aussage: «Denk nicht, sondern schau!» Das ist eine Empfehlung von Ludwig Wittgenstein, die Pfister seinem 200-köpfigen Publikum mit auf den Weg gab.

Rund um den Globus

Zwei Tage vor der öffentlichen Amtsübergabe am 27. April schenkte Tobias Karcher seinem Nachfolger Toni Kurmann ein grosses Paket. Darin befand sich ein Globus. Kurmann war während acht Jahren Missionsprokurator der Jesuiten und reiste um die ganze Welt.

Das Lassalle-Haus in Edlibach
Das Lassalle-Haus in Edlibach

Nun hat er seinen Ort in Menzingen ZG gefunden – dort kann er sich mit Blick auf den Globus an seine viele Reisen zurückerinnern. Als neuer Direktor des Lassalle-Hauses kümmert er sich um die Neuausrichtung des Bildungsangebots. Die Angebote des Hauses wie Kontemplation, Fasten, Zen-Meditation und der Claim «Stille bewegt» sollen weiterentwickelt werden. Wohin die Reise gehen soll, ist noch offen.

(v.l) Toni Kurmann, Tobias Karcher und Dorothee Adrian
(v.l) Toni Kurmann, Tobias Karcher und Dorothee Adrian

Tobias Karcher reist vorerst nach Bogota (Kolumbien) an die grösste Jesuitenuniversität von Lateinamerika. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz wird er sich dem Lassalle-Institut in Zürich widmen. Dieses Institut bietet Dienstleistungen für Führungskräfte an, die unter anderem durch die Spiritualität des Heiligen Ignatius, dem Ordensgründer der Jesuiten, geprägt ist.

Gerhard Pfister, Nationalrat und Präsident der Mitte-Partei. | © KEYSTONE / Peter Schneider
29. April 2023 | 10:00
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