Trauer um den Papa emeritus: Ein Foto zeigt Papst Benedikt XVI. und Georg Gänswein.
Vatikan

«Gender-Philosophie», «Resultat von Propaganda»: Benedikt warnte Franziskus vor neuer Sexualmoral

Georg Gänswein schreibt in seinem Buch, Benedikt XVI. habe Franziskus geraten, «Fragen mangelnder Orthodoxie am besten vor Ort» lösen zu lassen – etwa das heisse Eisen Sexualmoral. Allerdings wollten sich die meisten Bischöfe «nicht die Finger verbrennen. Lieber warten sie auf eine Klärung aus Rom.» 

Magdalena Thiele

«Wenn ein homosexueller Mensch guten Willens und auf der Suche nach Gott ist, bin ich niemand, der ihn verurteilt.» Dieser Satz von Franziskus steht für eine Kehrtwende in der katholischen Sexualmoral.

Franziskus bat Benedikt um Feedback

Wie dem Enthüllungs-Buch von Erzbischof Georg Gänswein zu entnehmen ist, tauschten sich Franziskus und Benedikt darüber brieflich aus. Franziskus bat seinen Vorgänger um Rat, dieser gab ihm ein kritisches Feedback – und wurde später nie mehr um Rat gefragt. Diese Anekdote sagt wohl viel aus über das Verhältnis der beiden Päpste.

Kreuz auf Regenbogenfahne
Kreuz auf Regenbogenfahne

Laut Gänswein bat Papst Franziskus den emeritierten Papst Benedikt XVI., ein Interview gegenüber der Zeitung «La Civiltà Cattolica» zu kommentieren. In diesem Interview hatte Franziskus sich überraschend offen zum Thema Homosexualität geäussert: «Wenn ein homosexueller Mensch guten Willens und auf der Suche nach Gott ist, bin ich niemand, der ihn verurteilt.» Gott billige die Existenz von Homosexualität mit Wohlwollen. 

Benedikt schickte Franziskus zwei Anmerkungen

Franziskus schickte Benedikt den Text, dem er zwei leere Seiten anfügte. Dort war Platz für die Meinung seines Vorgängers im Amt. Und Benedikt habe sich diesem Anliegen mit grosser Hingabe angenommen, schreibt Gänswein.

Papst Franziskus (links) und sein emeritierter Vorgänger Benedikt XVI. im Jahr 2018.
Papst Franziskus (links) und sein emeritierter Vorgänger Benedikt XVI. im Jahr 2018.

Demnach stimmte der emeritierte Papst seinem Nachfolger in allem zu – nur zu zwei Dingen habe er etwas anzumerken gehabt: dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Homosexualität. Gänswein berichtet, was Benedikt Franziskus mitteilte: Es sei richtig, dass wenig darüber gesprochen wurde. Auch stimme, dass die pastorale Mission sich nicht in der Tradierung von Lehren erschöpft. 

Kritik an der Gender-Philosophie

Gänswein zitiert den emeritierten Papst: «23 Jahre habe ich an der Seite von Johannes Paul II. seinen leidenschaftlichen Kampf für das Leben begleitet – den Kern unseres kirchlichen Auftrags. Dahinter stand kein Moralismus, sondern die Überzeugung von der Präsenz Gottes in jedem menschlichen Leben. Johannes Paul hat mich gelehrt: Abtreibung, künstliche Fortpflanzungen und jede Manipulation oder Zerstörung menschlichen Lebens sind eine klare Absage gegenüber dem Schöpfer. Vielmehr schwingt sich der Mensch dadurch selbst zu einem Schöpfer auf und zerstört sich damit.»

Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.
Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.

Laut Georg Gänswein war Benedikt XVI. überzeugt, das Thema Homosexualität hänge mit einem «Resultat von Propaganda» zusammen – »der Gender-Philosophie – also die Überzeugung, dass nicht mehr die Natur, sondern jeder selbst darüber entscheidet, ob er Frau oder Mann ist». 

Nicht das Gleichgewicht verlieren

Für Benedikt XVI. stehen die Gender Studies «im krassen Widerspruch zu der Schöpfung, wie wir sie verstehen. Und sie dient in keiner Weise dem Interesse homosexueller Menschen. Es geht dabei einzig um die bewusste Manipulation des Seins und um eine radikale Verneinung Gottes», soll Benedikt Franziskus geschrieben haben. 

Benedikt XVI. mit seinem Bruder Georg Ratzinger (l.) und seinem Sekretär Georg Gänswein (r.) 2008.
Benedikt XVI. mit seinem Bruder Georg Ratzinger (l.) und seinem Sekretär Georg Gänswein (r.) 2008.

Weiter soll Benedikt XVI. geschrieben haben: «Dem müssen wir uns aktiv entgegenstellen, ohne dabei das Gleichgewicht zwischen der Achtung der Person, der pastoralen Liebe und der Glaubenslehre zu verlieren. Dabei weiss ich, dass viele homosexuelle Menschen nicht damit einverstanden sind, dass ihre Probleme für diesen ideologischen Krieg herangezogen werden.»

Dachte Benedikt XVI. dezentraler als gedacht?

Auch gab Benedikt XVI. folgende Einschätzung: «Ich denke ebenfalls, dass Fragen mangelnder Orthodoxie am besten vor Ort gelöst werden. Allerdings zeigt meine Erfahrung, dass die Bischöfe und die Bischofskonferenzen keine grosse Lust haben, sich der Problematik anzunehmen. Sie wollen sich nicht die Finger verbrennen. Lieber warten sie auf eine Klärung aus Rom.»

Kardinal Joseph Ratzinger (l.) 1992 bei der Präsentation des Weltkatechismus.
Kardinal Joseph Ratzinger (l.) 1992 bei der Präsentation des Weltkatechismus.

Diese Aussagen sind insofern brisant, weil Joseph Ratzinger sowohl als Präfekt der Glaubenskongregation als auch später als Papst Benedikt XVI. alles dafür taten, dass solche Fragen nur von Rom entschieden werden konnten. 

Das Thema Gender ist nach wie vor ein rotes Tuch

Auch wenn Papst Franziskus gegenüber LGBTQ- und Gender-Themen die Tonart gewechselt hat: Die kirchliche Sexualmoral hat er noch nicht umgeschrieben. Und das Thema Gender ist für den Heiligen Stuhl ein rotes Tuch, was sich besonders in UN-Gremien zeigt.

Erzbischof Georg Gänswein (r.) bei der Trauermesse für Benedikt XVI..
Erzbischof Georg Gänswein (r.) bei der Trauermesse für Benedikt XVI..

Trotzdem scheint Franziskus wenig Wert auf Benedikts Feedback gelegt zu haben, legt Gänsweins Deutung nahe: «Nachdem Papst Franziskus die Zeilen Benedikts erhalten hatte bat er mich, dem emeritierten Papst in seinem Namen zu danken. Inwiefern Franziskus sich dessen Gedanken zu eigen machte, kann ich jedoch nicht beurteilen.»

Franziskus bat später nicht mehr um Feedback

Franziskus schickte Benedikt weiterhin seine Veröffentlichungen und schloss immer mit warmen Grussworten. Um seine Meinung bat er fortan jedoch nicht mehr.

Unter dem Titel «Nient’altro che la Verità» erscheint diese Woche Georg Gänsweins Enthüllungsbuch auf Italienisch – wörtlich übersetzt: «Nichts als die Wahrheit». Die deutsche Übersetzung soll wohl im Februar im Herder-Verlag erscheinen. 


Trauer um den Papa emeritus: Ein Foto zeigt Papst Benedikt XVI. und Georg Gänswein. | © Sabine Zgraggen
9. Januar 2023 | 18:32
Lesezeit: ca. 3 Min.
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