Gabriella Binkert Becchetti ist Gemeindepräsidentin von Müstair.
Schweiz

Gemeindepräsidentin von Müstair: «Donna Leon ist ein Geschenk für unser Tal»

Gabriella Binkert Becchetti (62) ist die Gemeindepräsidentin von Val Müstair GR. Am Mittwoch hat sie mit den Benediktinerinnen von St. Johann den Bundesrat empfangen. Ein Gespräch über die Zukunft des Klosters, die prominente Neu-Bürgerin Donna Leon – und ihr persönlicher Glaube an die Wiedergeburt.

Sarah Stutte

Sie sind in Zürich geboren und im Domleschg und im Tessin aufgewachsen. Was hat Sie nach Müstair verschlagen?

Gabriella Binkert Becchetti*: Zusammen mit meinem damaligen Freund bin ich ins Haus seines Vaters gezogen, weil dieser Unterstützung benötigte. Fast hätte ich das Tal wieder verlassen, weil es in diesem Winter so viel schneite und ich die Kälte nicht mag. 

Danach habe ich mich aber hier eingelebt. Und als die Beziehung auseinanderging, war Müstair schon mein Zuhause geworden. In Santa Maria habe ich dann ein kleines Haus gekauft. Mein jetziger Mann, der Italo-Schweizer ist, hat sich ebenfalls in die Gegend verliebt. 

Gemeindepräsidentin Binkert
Gemeindepräsidentin Binkert

Wie offen und multikulturell ist die Gemeinde?

Binkert Becchetti: Sehr offen. 2006 wurde ich als erste Kreispräsidentin gewählt. Nicht nur als erste Frau, sondern dann auch noch mit einer dunkleren Hautfarbe – ich war davon sehr angenehm überrascht. 

Vielleicht hat diese Offenheit auch mit der Nähe zu Südtirol zu tun. Das Val Müstair ist schon seit vielen Jahrhunderten ein Durchgangstal. Dank des Klosters gab es schon früh viel Bewegung und Austausch. Ich fühle mich hier sehr gut akzeptiert und schätze das enorm. 

Gruppenbild mit der Gemeindepräsidentin: Gabriella Binkert Becchetti (6. von links) im Juli 2021.
Gruppenbild mit der Gemeindepräsidentin: Gabriella Binkert Becchetti (6. von links) im Juli 2021.

Auf Ihrer Website schreiben Sie: «Auf meine afrikanischen sowie schweizerischen Wurzeln bin ich sehr stolz und dadurch habe ich früh gelernt, offen zu kommunizieren.» Wem verdanken Sie die afrikanischen Wurzeln?

Binkert Becchetti: Mein Vater stammt aus Nigeria. Er hat in London und Leipzig studiert und war später einige Jahre Kulturminister in Nigeria.

Waren Sie schon mal in Nigeria?

Binkert Becchetti: Ja, und zwar im Jahr 2009. Eindrücklich war die Herzlichkeit meiner vielen Verwandten. Sie sind auf der ganzen Welt verteilt. Es war schön, die Früchte meines Vaters als Kulturminister zu sehen. Er hat viele international sehr erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler gefördert. Es ist ein schönes Zeichen, dass man in der Politik der Nachwelt konkrete Spuren hinterlassen kann. Nigeria wäre eigentlich ein reiches Land, wenn die Korruption nicht wäre.

Das Kloster St. Johann in Müstair
Das Kloster St. Johann in Müstair

Wie wichtig ist das Kloster St. Johann für die Region?

Binkert Becchetti: Es ist das spirituelle Zentrum für die Einheimischen und für das gesamte Tal. Das Kloster ist fest verankert und imposant. Früher haben die Klosterfrauen eine eminente Rolle im Schulwesen gespielt. Die Ausgrabungen und der wissenschaftliche Austausch, den das Kloster mit der ETH und der karolingischen Forschung führt, sind ebenfalls von grosser Bedeutung. 

Seit wir das UNESCO-Label haben, kommen mindestens 20’000 Besucherinnen und Besucher im Jahr zu uns. Das Kloster St. Johann hat den nationalen und internationalen Austausch gefördert. Deshalb ist die Klostergemeinschaft der Schwestern sehr wichtig. Auch die Priorinnen haben mit ihren Persönlichkeiten sehr dazu beigetragen. 

Neun Benediktinerinnen leben in Müstair.
Neun Benediktinerinnen leben in Müstair.

Wie wollen Sie das Erbe der Nonnen in die Zukunft führen?

Binkert Becchetti: Das Durchschnittsalter der jetzigen neun Nonnen ist 70+. Jüngere Frauen aus unserem Kulturkreis heutzutage in ein Kloster zu bewegen, gestaltet sich als schwierig. In naher Zukunft wird St. Johann also vermutlich in einen anderen Zweck überführt werden müssen. Wichtig ist, dass das Kloster als Gebäude und als Ort weiterhin Bestand hat. Diese Entscheide sollen aber in erster Linie von den Schwestern getroffen werden. Gerne unterstützen wir gemeinsam mit der Stiftung die Schwestern, das Kloster als spirituellen Kraftort in die Zukunft zu führen.

Die "Himmelsleiter" zum Theresianum in Ingenbohl
Die "Himmelsleiter" zum Theresianum in Ingenbohl

Was haben Sie für einen Bezug zu Religion?

Binkert Becchetti: Wir Mädchen in der Familie sind alle zu den Ingenbohler Schwestern ins Internat gegangen. Deshalb war für mich als Kind die katholische Kirche stets eine grosse Stütze. Meine Eltern standen aber auch anderen Religionen offen gegenüber. 

Die Spiritualität hat mich auf meinem Weg begleitet. Sicher hat die Kirche ihre Schattenseiten, die Menschen an der Basis tun aber sehr viel Gutes. Deshalb wäre es schön, wenn auch jüngere Leute im Glauben eine innere Stärke finden. 

«Persönlich glaube ich an Wiedergeburt.»

Hat die Nähe zum Kloster einen Einfluss auf Ihren Glauben gehabt?

Binkert Becchetti: Ja, ich denke schon. Persönlich glaube ich an Wiedergeburt. Die katholische Religion hat das Münstertal sehr geprägt. Denken wir an die Hexenverfolgungen, vor allem im Kloster Marienberg in Mals und der dortigen Fürstenburg bei Burgeis. Früher wurden die Hexen in Fürstenburg eingesperrt.

Da Sie an Wiedergeburt glauben: Was waren Sie in Ihrem früheren Leben – und was möchten Sie in Ihrem nächsten Leben sein?

Binkert Becchetti: Ein Autorennfahrer in Paris. Und im nächsten Leben: Ferdi – unser Dackel in einer Familie wie bei uns (lacht).

«Donna Leon hat grosse Freude an unserem Dackel Ferdi.»

Sie wohnen in Santa Maria. Wie oft sehen Sie Donna Leon und wie finden Sie es, dass Sie so eine prominente Neubürgerin haben?

Binkert Becchetti: Wir wohnen in derselben Fraktion in Santa Maria. Ich sehe sie oft, sie hat grosse Freude an unserem Dackel Ferdi. Wir tauschen uns immer auf Italienisch aus und ich finde es ist ein Geschenk für unser Tal, Donna Leon bei uns als Bürgerin haben zu dürfen.

* Gabriella Binkert Becchetti (62) ist seit 2021 Gemeindepräsidentin von Müstair. Die geborene Zürcherin mit afrikanischen Wurzeln wuchs im bündnerischen Domleschg sowie im Tessin auf. Seit über 30 Jahren wohnt sie im Val Müstair.


Gabriella Binkert Becchetti ist Gemeindepräsidentin von Müstair. | © Sarah Stutte
14. Oktober 2022 | 14:53
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