Gedanken zum Sonntag: Wunder oder Fake News?

Zum 29.Juli 2018 – 17.Sonntag im Jahreskreis (Johannesevangelium 6, 1-15)

Von Ingrid Grave*

Unlängst hat er einem Gelähmten – fast wie im Vorbeigehen – auf die Beine geholfen. Das war in Jerusalem. Der Mann ist wohlauf und geht umher. Der Heiler aber hat sich durch seine Tat den Argwohn der Behörden eingehandelt. Doch das Volk läuft ihm nach.

Jetzt dasselbe im nördlichen Palästina am See von Tiberias.

Jesus hat die Seeseite gewechselt und sich auf einer Anhöhe niedergelassen. Hier gewinnt er einen Blick über die Menge der Menschen, die ihm gefolgt ist. Allein 5000 Männer sollen es gewesen sein. Zuverlässige Schätzung? Man weiss, der Evangelist Johannes betreibt – nach heutigem Verständnis – alles andere als einen sauberen Journalismus. Aber Fake News sind es trotzdem nicht!

Doch hören wir, was jetzt passiert:

Jesus sieht, die Leute brauchen eine Stärkung, etwas zu essen. Die Jünger sind überfordert mit der Situation, selbst wenn man für eine erste Speisung den gesamten Inhalt der Gemeinschaftskasse hergeben würde. Doch da ist der kleine Junge! Er würde fünf Brote und zwei Fische beisteuern. «Was ist das für so viele!» lässt sich der Jünger Andreas vernehmen. Eine realistische Einschätzung.

Die Überlegungen Jesu scheinen in eine andere Richtung zu gehen: Was suchen die Leute? Wonach verlangt es sie? Worauf ist ihr Sehnen gerichtet? Er weist sie an, sich im Gras niederzusetzen. Sind es nicht immer die Abgehetzten, die Ausgemergelten, die Habenichtse, die nach einem Heilsbringer Ausschau halten? Gerade sie sollen sitzen dürfen, Ruhe finden für ihre Leiber, für ihre Seelen.

In der Erzählung kommt die erste Gabe für den Hunger von einem Kind. Wie ist das doch? Das kleinste Geschenk eines Kindes in die Welt der Erwachsenen hinein verschafft dieser Welt einen Mehrwert an Lebensqualität. Diese kleine Gabe von Brot und Fisch – Jesus segnet sie und beginnt, das Wenige zu teilen und weiterzureichen. Die Geste setzt sich fort unter den Leuten. Das Geben und Nehmen von dem Wenigen, was da ist, schafft Solidarität, Sättigung und Frieden. Fake News?

Einem grossen Event folgt bei uns die Abfallentsorgung. Nicht so bei Jesus! Was an Brotbröcklein übrig geblieben ist, lässt er einsammeln: Zwölf Körbe voll! Eine symbolische Zahl: Einen vollen Korb für jeden der zwölf Stämme Israels. Keine Bevorzugung, keine Benachteiligung! Übersetzt ins Heute: Jede menschliche Gruppierung hat ein Recht auf einen vollen Korb, auf ein volles Leben. Die solidarische Geste des Teilens und Weiterreichens schafft die Voraussetzung für dieses Wunder.

*Ingrid Grave ist Dominikanerin in Zürich, wo sie sich in der Seelsorge engagiert.

Schwester Ingrid Grave | © zVg
28. Juli 2018 | 15:01
Lesezeit: ca. 2 Min.
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