Gedanken zum Sonntag: Hinter Rosensträussen und Romantikferien

Zum 23. Sonntag im Jahreskreis (Mt 18,15–20)

Hinter Rosensträussen und Romantikferien

Jacqueline Keune*

Moritz – Wirt um die 55 – hinterzieht seit Jahren Steuern. Holger – frisch pensionierter Seelsorger – betrügt seine Frau mit anderen Frauen. Charlotte – Chefsekretärin, 49 – lässt jede Woche Büromaterial mitgehen. Linus – Familienvater und Einfamilienhausbesitzer – holt sein Kaminholz Herbst für Herbst von den Stapeln des Bauern im Wald. Und Irma – Mutter und Lehrerin – kauft selten ein, ohne an der Selbstbedingungskasse nicht zwei, drei Artikel ungescannt in ihrer Tasche verschwinden zu lassen.

Die Menschen, die von Moritz’ Lügen, von Holgers Fremdgehen, von Charlottes Mausereien, von Linus Waldfahrten und von Irmas Diebstählen wissen, die sind vor allem eines: peinlich berührt, wollen nichts damit zu tun haben, lassen sich nie etwas anmerken und denken: Das müssen die selber mit ihrem Herrgott ausmachen …

Das ist eine Möglichkeit, mit Schuld unter uns umzugehen – vielleicht die gängigste: Sie zur Privatsache erklären und wegsehen, so als ob nichts gewesen wäre. Eine andere, ungleich unbequemere und ärgerlichere, ist die, die uns der Rabbi aus Galiläa hinhält: «Wenn dein Bruder oder deine Schwester sündigt, weise ihn oder sie unter vier Augen zurecht. Wirst du nicht gehört, nimm Zeugen mit. Wirst du auch dann nicht gehört, bring die Sache vor die Gemeinde.»

Warum will der Rabbi, dass wir genau hinschauen, statt diskret wegsehen? Warum will er, dass wir die Schuld klar benennen, statt taktvoll beschweigen? – Ich glaube, dass es ihm um Gerechtigkeit geht. Und dass es keine geben kann, wo über Schuld hinweggegangen, wo sie unter den Teppich gekehrt oder hinter Rosensträussen und Romantikferien gut verborgen wird. Und ich glaube, dass erst das Benennen des Benutzens, des Belügens und Betrügens von fühlenden Wesen nicht nur das Ende des Unrechts, sondern auch der Anfang der Beziehung sein kann.

*Jacqueline Keune ist freischaffende Theologin und lebt in Luzern.

9. September 2017 | 10:00
Lesezeit: ca. 1 Min.
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