Raphael Rauch ist Redaktionsleiter von kath.ch.
Kommentar

Für Benedikt XVI. hat am Silvester-Samstag ein ewiger Sonntag begonnen

Benedikt XVI. war ein intellektueller Kirchenführer. Er konnte komplizierte theologische Abhandlungen verfassen – aber auch über einen Song von Monica Morell predigen, die aus dem Aargau stammte. Ein Kommentar über einen herausfordernden Mann und ein schwieriges Pontifikat.

Raphael Rauch

Als Joseph Ratzinger 2005 Papst wurde, gab es die schillerndsten Überschriften der Kirchengeschichte zu lesen. «Wir sind Papst», jubelte die deutsche «Bild»-Zeitung. «Oh, mein Gott!», seufzte die Berliner «taz». «Vom Hitlerjungen zu Papa Ratzi», titelte die englische «Sun». «Vom Rottweiler Gottes zu einem der umstrittensten Päpste der Geschichte», urteilte der «Daily Mirror».

Das Versagen eines Papstes

Keine dieser Überschriften war falsch, keine lag richtig. Die Jubelstimmung war selbst in Benedikts bayerischer Heimat schnell vorüber, als die Verbrechen des kirchlichen Missbrauchs bekannt wurden.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l.) begrüsst Papst Franziskus 2022, dahinter Erzbischof Georg Gänswein.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l.) begrüsst Papst Franziskus 2022, dahinter Erzbischof Georg Gänswein.

Von Regensburg bis Riad sorgten Benedikts gut gemeinte, aber oft missverständliche Äusserungen für Empörung – ob es ums Judentum, den Islam, den Holocaust-Leugner Richard Williamson oder die traditionalistischen Piusbrüder mit ihrer Zentrale in Menzingen ZG ging. Ausserdem war da natürlich noch der Schweizer Theologe Hans Küng, der Joseph Ratzinger scharf kritisierte.

Trotz roter Schuhe erdete Benedikt das Papstamt

Was selbst Küng jedoch dem späteren Papst hoch anrechnete: Benedikt hat 2013 Kirchengeschichte geschrieben – und zwar mit seinem Rücktritt. Er machte das Papsttum dadurch menschlicher. Nicht ein Gott in Weiss amtete da als Stellvertreter Christi auf Erden, sondern ein ganz normaler Mann, dem irgendwann die Puste ausging – und der zurücktrat. Trotz roter Schuhe erdete Benedikt mit diesem seit dem Mittelalter nicht mehr vollzogenen Schritt das moderne Papstamt.

Papst Benedikt XVI. mit seinen roten Schuhen am 22. September 2011 im Olympiastadion in Berlin.
Papst Benedikt XVI. mit seinen roten Schuhen am 22. September 2011 im Olympiastadion in Berlin.

Von sich selbst behauptete Benedikt nie, unfehlbar zu sein – und fehlbar war er. Als Präfekt der Glaubenskongregation trug er den Spitznamen «Panzerkardinal». Er bekämpfte Befreiungstheologen in Lateinamerika und liberale Theologinnen in Europa. Problematische Figuren wie Wolfgang Haas hinderte er weder daran, Bischof von Chur noch Erzbischof von Vaduz zu werden.

Zarte, harmonische Zwischentöne werden oft überhört

Ratzinger hat den Komplex des Missbrauchs in der katholischen Kirche zu spät verstanden und zu spät bekämpft. Und er umgab sich nicht immer mit den richtigen Menschen. Benedikt liess sich instrumentalisieren und hielt sich nicht an sein Versprechen, im Ruhestand zu schweigen.

Trauer um den Papa emeritus: Ein Foto zeigt Papst Benedikt XVI. und Georg Gänswein.
Trauer um den Papa emeritus: Ein Foto zeigt Papst Benedikt XVI. und Georg Gänswein.

Die Äusserungen des Panzerkardinals und jene des «Papa emeritus» unterscheiden sich jedoch in Zwischentönen, die oft überhört werden. Es sind zarte und harmonische Anklänge, für die der Mozart-Fan steht. Er sei in mozartlicher Umgebung aufgewachsen, sagte Benedikt – und spielte damit auf seine bayerische Heimat an, unweit von Salzburg.

Predigt über Monica Morells «Ich fange nie mehr was an einem Sonntag an»

Doch Joseph Ratzinger hörte nicht nur Mozart, sondern auch die Schweizer Schlagersängerin Monica Morell. Ihren Song «Ich fange nie mehr was an einem Sonntag an» verarbeitete er für eine Predigt am Karsamstag, dem Tag zwischen Tod und Auferstehung. 

Monica Morell
Monica Morell

Ratzinger, der komplexe theologische Themen behandelte, konnte auch ganz einfache Sätze schreiben wie: «Da singt ein junges Mädchen, dessen Freund an einem Sonntag tödlich verunglückte. Hinter diesem Schlagertext steht eine Erfahrung, die viele Menschen gemacht haben.»

«Ich fange immer wieder sonntags an!»

Bei Monica Morell steht der Sonntag «für Harmonie, für Glück und für Freude». Weil der geliebte Freund just an einem Sonntag umkam, ist jeder Sonntag für sie «unerträglicher als der Alltag» geworden, predigte Ratzinger. 

Durchgang ins Licht
Durchgang ins Licht

Doch auf jeden Karsamstag folgt der Ostermorgen. Die Auferstehung haucht den Jüngern Jesu neuen Lebensmut ein. «Aber nicht nur junge Leute, sondern jeder von uns darf hoffen, dass das Leben weitergeht, ja, dass es eigentlich erst auf uns zukommt.» Ratzinger war überzeugt: «Ich fange immer wieder sonntags an!»

Nicht der Karsamstag hat das letzte Wort, sondern Ostern

Benedikt XVI. hinterlässt eine zerrissene Kirche, die mit den Trümmern seines Wirkens hadert – zugleich aber um seine Verdienste weiss.

«Jeder von uns darf hoffen, dass das Leben weitergeht» – dieser Satz aus der Monica-Morell-Predigt bleibt sein Vermächtnis. Im wörtlichen Sinn – die Kirche geht auch ohne ihn weiter – und im übertragenen: Nicht der Karsamstag hat das letzte Wort, sondern Ostern. Für Benedikt XVI. hat am Silvester-Samstag 2022 um 9.34 Uhr ein ewiger Sonntag begonnen.


Raphael Rauch ist Redaktionsleiter von kath.ch. | © Christian Merz
31. Dezember 2022 | 18:53
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!