Herrgottskanoniere in Luzern
Schweiz

Fronleichnam in der Nordwestschweiz: Zu viel Verkehr für katholischen Prunk

Basel, 25.5.16 (kath.ch) Das «katholischste aller Feste» hat sich gewandelt – Fronleichnamsprozessionen gibt es in vielen Teilen der Schweiz so gut wie keine mehr. Besonders sichtbar wird das in der Nordwestschweiz, wo sich auch die katholischen Gebiete im Laufental und Schwarzbubenland dem protestantischen Zentrum Basel fügen. Neben der Rücksichtnahme auf die reformierten Nachbarn steht auch ein ganz banaler Grund gegen aufwendige Prozessionen: Die Strassen gehören heute dem Verkehr.

Boris Burkhardt

Fronleichnam gilt als das «katholischste aller Feste»: Noch bis in die Sechzigerjahre zogen in der ganzen Schweiz die Katholiken am heutigen Hochfest durch die Strassen und Plätze der Gemeinde, um die Heilige Hostie, das Zeichen des Abendmahls mit Jesus Christus, zu ehren. Heute sind die prunkvollen Prozessionen mit Fahnen, Monstranz und Musikverein in den überwiegend protestantischen Gegenden aus dem öffentlichen Bewusstsein jedoch weitestgehend verschwunden.

Dies trifft vor allem auch auf die Nordwestschweiz zu, den kleinteiligsten Raum der Schweiz, wo fast jede Gemeindegrenze nicht nur eine Kantons- sondern auch eine Religionsgrenze bildet. Das Laufental ist ein traditionell katholisches Gebiet im Kanton Baselland: Als es noch zum Kanton Bern gehörte, war Fronleichnam dort ein regional arbeitsfreier Feiertag, an dem bis vor etwa 35 Jahren im Bezirkshauptort Laufen Strassen für den Verkehr gesperrt wurden. Vier Umzugsstationen mit Blumenaltären gab es damals im «Stedtli», wie die Herz-Jesu-Pfarrei vor Ort mitteilt.

Doch der zunehmende Verkehr habe die Prozession auf den Strassen immer schwieriger werden lassen. Hinzu kam ab 1994 eben, dass die Laufner mit dem Kantonswechsel an Fronleichnam arbeiten mussten. Die Fronleichnamsfeier wurde, wie in der Liturgie in solchen Fällen vorgesehen, auf den folgenden Sonntag verschoben und mit dem Patronatsfest zusammengelegt. Dabei erweist sich Laufen als Bollwerk des Katholizismus in der Nordwestschweiz: Bis zu 300 Gemeindemitglieder erwartet Gemeindeleiter Christof Klingenbeck nämlich in drei Tagen zum Freiluft-Gottesdienst auf dem Rathausplatz und zur anschliessenden zehnminütigen Prozession zur Kirche.

Selbst das Kloster prozessiert nicht mehr

Aber selbst dort, wo Fronleichnam in der Nordwestschweiz noch ein Feiertag ist wie im solothurnischen Schwarzbubenland, das direkt ans Laufental grenzt, überwiegt das Profane das Hochfest: Wer nicht sowieso in Basel-Stadt oder Baselland arbeiten muss, fährt zum Shoppen dorthin. Entsprechend sind die wenigen verbliebenen Fronleichnamsprozessionen auf kurze Umzüge jenseits der Verkehrsstrassen geschrumpft oder werden im Freien als Gemeinde- und Familienfest gefeiert.

Selbst im Kloster Mariastein, ebenfalls solothurnisch, gibt es seit 20 Jahren keine Prozessionen mehr. Der überalterten Mönchsgemeinschaft ist die Planung und Ausführung einer solchen Veranstaltung zu aufwendig geworden. Der ehemalige Gemeindeleiter der Dornacher Pfarrei St. Mauritius, Tobias Fontein, liess sich noch vor wenigen Jahren sogar zitieren, die Tradition der Fronleichnamsprozessionen sei ihm «nicht nur fremd». Als gebürtiger Westfale halte er sie für eine «provozierende Machtdemonstration gegenüber den Protestanten» und deshalb für «ausgrenzend und störend»: Der Feiertag in der alten Form sei der Ökumene im Weg gestanden.

Ganz so abgrenzend empfindet Wolfgang Müller, Diakon in St. Mauritius, Prozessionen an Fronleichnam nicht. Der gebürtige Neu-Ulmer ist im Gegensatz zu Fontein in traditionell katholischer Gegend aufgewachsen: «Ich finde es schade um die Prozession: Es gibt nicht mehr viele Möglichkeiten, an die Öffentlichkeit zu gehen und seinen Glauben zu zeigen.» In Dornach «fehlt es überhaupt nicht» an Ökumene, versichert er: Da dürfe es auch ein Fest geben, das «nur» römisch-katholisch ist. Zur Pfarrei St. Mauritius gehören die Dörfer Dornach, Gempen und Hochwald: In den beiden ersten gibt es morgens je einen Gottesdienst, in letzterer einen am Abend. Laut Müller sind die Gottesdienste mit 50 Gläubigen so gut besucht wie an jedem Sonntag.

In Basel erhalten nur die Piusbrüder die Tradition aufrecht

Schwieriger wird es für die Katholiken in der «Diaspora»: In der Baselbieter reformierten Kantonshauptstadt Liestal, wo im Staatsarchiv noch ein Normal-8-Film aus den 1940er-Jahren grosse Prozessionen belegt, existiert Fronleichnam im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr: Vor wenigen Jahren wurde in der Pfarrgemeinde Bruder Klaus zuletzt der Abendgottesdienst am Donnerstag gestrichen.

Auch im Kanton Basel-Stadt gibt es laut dem Pressesprecher der Landeskirchen beider Basel, Thierry Moosbrugger, keine Prozessionen mehr; Fronleichnam-Gottesdienste finden ebenfalls am folgenden Sonntag statt. Sogar Moosbrugger als Theologe sagt, bis zu seinem Studium in Luzern sei ihm die Tradition der Fronleichnamsprozessionen überhaupt nicht bewusst gewesen. Grösseren Zulauf hat in Basel nur die Gemeinde der Piusbrüder, zu deren sonntäglicher Prozession durch den Horburgpark nach eigener Angabe bis zu 250 Besucher kommen.

Das Gegenbeispiel: Herrgottskanoniere in Luzern

Alles andere als aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden ist das Fronleichnamsfest in den katholischen Hochburgen der Schweiz, wobei Luzern sicher als eine der ersten zu nennen wäre: Die grosse Prozession durch die Stadt am arbeitsfreien Donnerstag findet zwar nur bei gutem Wetter statt; die «Herrgottskanoniere» feuern ihre Salutschüsse vom Hausberg Gütsch am Vorabend jedoch in jedem Fall. Die offiziell «Societas Sanctissimi Corporis Christi» (Gesellschaft des Heiligsten Leibes Christi) genannte Bruderschaft wurde um 1580 im Zeichen der Gegenreformation gebildet.

Nach ihrem Selbstverständnis geben die Kanoniere «dem Fronleichnamsfest und der Prozession eine herausragende Bedeutung, insbesondere durch den Ehrensalut». Laut dem Kommandanten Bernhard Blättler pflegen die Herrgottskanoniere damit «einen Brauch, der in der Luzerner Bevölkerung sehr wichtig und stark verankert ist». Insbesondere der Auftritt mit rund 24 Pferden erwecke «immer wieder grossen Eindruck und viel Freude bei der Bevölkerung». In der katholischen Innerschweiz also im Gegensatz zur Nordwestschweiz keine Spur eines verschwindenden Fronleichnamsfestes: Damit das so bleibt, wurden die Herrgottskanoniere 2012 vom Bundesamt für Kultur in die «Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz» aufgenommen. (bob)

 

Herrgottskanoniere in Luzern | © zVg
26. Mai 2016 | 08:15
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Fronleichnam: Der Fleck auf dem Mond

Das Fronleichnamsfest (mittelhochdeutsch «Leib [lîcham] des Herrn [vrôn]», umgangssprachlich «Herrgottstag», offiziell «Hochfest des Leibes und Blutes Christi») ist das jüngste der kirchlichen Feste. Der Legende nach sah die 16-jährige Belgierin Juliana im Jahr 1209 in Visionen mehrfach den Vollmond mit einem kleinen Fleck: Ein astronomisches Phänomen, das zuletzt 2012 am Himmel erschien, als sich die Venus zwischen Sonne und Mond schob. Der nächste Venustransit wird erst wieder 2117 stattfinden.

Den Fleck deutete die spätere Klosteroberin als Zeichen dafür, dass im Kirchenjahr, symbolisiert durch den Mond, ein Fest zur Verehrung der Heiligen Hostie fehle. Zuerst wurde sie dafür verspottet; aber bereits sechs Jahre nach ihrem Tod 1258 erhob Papst Urban IV. Fronleichnam zum allgemeinen Kirchenfest. Seither feiert die römisch-katholische Kirche 60 Tage nach Ostern das Sakrament der Eucharistie, traditionell verbunden mit prunkvollen Prozessionen, bei denen die Monstranz mit der geweihten (konsekrierten) Hostie durch Dorf und Stadt getragen wird.

Protestanten, Christkatholiken und Orthodoxe lehnen das Fest ab, weil sie ein anderes Verständnis der Eucharistie haben. Martin Luther bezeichnete den Herrgottstag gar als «allerschändlichstes Jahresfest». Entsprechend wurde die Prozession lange als Machtdemonstration der Katholiken gegen die Protestanten interpretiert; sie war aber in Deutschland auch Zeichen des passiven Widerstands in der NS-Zeit. (bob)