«Fratelli tutti» stösst bei Frauen sauer auf

Ja zur neuen Enzyklika von Papst Franziskus, aber Nein zum Titel «Fratelli tutti» sagen viele Frauen. Auch Schweizerinnen wünschen sich eine Anpassung. Manche Schweizer Männer unterstützen ihr Anliegen.

Georges Scherrer

Die Organisation «Catholic Women’s Council” ist ein Zusammenschluss katholischer Frauennetzwerke aus der ganzen Welt. Sie kritisiert in einem offenen Brief an Papst Franziskus den Titel der kommenden Enzyklika «Fratelli tutti». Der Titel sei zu maskulin.

Die Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF), Simone Curau-Aepli, geht jedoch nicht davon aus, dass der Titel noch geändert wird.

Den mündlichen Vortrag anpassen

«Ich wünsche mir aber und fordere alle Mitglieder der Kirche dazu auf, beim Verlesen der Enzyklika auf diesen Mangel hinzuweisen, dass Frauen nicht explizit genannt werden», erklärte sie gegenüber kath.ch. Wenigstens im gesprochenen Wort könne dies korrigiert werden.

Simone Curau-Aepli
Simone Curau-Aepli

«Der Vatikan hat sich sehr wohl mit der Genderfrage auseinander gesetzt, aber verstanden haben nur wenige, worum es dabei wirklich geht», findet Curau.

Engstirnige Vatikan-Männer

Aufgrund einer patriarchalen Kultur werde Gott nach wie vor als Mann dargestellt und der «weisse» Mann als Norm definiert. Aus diesem Grunde würden die «Männer im Vatikan immer noch die Haltung vertreten, dass Frauen beim Wort ‘Brüder’ mitgemeint seien».

Die Frauenbund-Chefin ist überzeugt: Wenn der Name beibehalten würde, hätte dies «grosse symbolische Auswirkungen, da die Sprache ein zentrales Instrument ist, um unser Denken und unsere Haltungen konkret auszudrücken». Es wäre ein «weiteres konkretes Zeugnis der Verantwortlichen, dass sie uns Frauen die gleiche Würde aberkennen».

«Fratelli et Sorelle – buona sera!»

Papst Franziskus

Der Titel ist ein Zitat von Franz von Assisi. Der heilige Franziskus habe in Clara eine Gefährtin, die er entgegen den Gepflogenheiten jener Zeit als gleichwertig achtete. «Ich bin überzeugt, dass es sogar explizit im Sinne von Franz von Assisi ist, zu Brüdern und Schwestern zu sprechen.»

Curau weist zudem auf die ersten Worte von Papst Franziskus hin, die er nach seiner Wahl 2013 äusserte. Und die lauteten: «Fratelli et Sorelle – buona sera!» (»Brüder und Schwestern – guten Abend!»)

Ausgleichender Untertitel

Auch die Priorin des Benediktinerinnen-Klosters Fahr; Irene Gassmann, geht davon aus, dass der Titel  gesetzt ist. «Ich kann mir jedoch vorstellen, dass es einen ergänzenden Untertitel geben könnte. Lassen wir uns überraschen», sagt sie gegenüber kath.ch.

«Dieser Titel hat etwas Klerikales.»

Priorin Irene Gassmann

Die Formulierung zeige jedoch, dass «Genderthemen im Vatikan noch nicht wirklich angekommen sind».

Irene Gassmann, Priorin Kloster Fahr
Irene Gassmann, Priorin Kloster Fahr

Dieser Titel habe etwas Klerikales. Und somit fühlten sich viele Leserinnen und Leser nicht angesprochen «und werden die Enzyklika nicht lesen». Das sei sehr schade und bedauerlich. Denn die Enzyklika könne wichtige Botschaften für die Menschen und das Zusammenleben auf diesem Kontinent für heute und in Zukunft haben.

Verpasste Chance

Mit einem geschlechtergerechten Titel könnte eine breite Öffentlichkeit angesprochen und abgeholt werden. Menschen also, die sich für soziale und ökologische Themen interessierten und engagierten. Diese Menschen könnten entdecken, dass «die christliche Botschaft für diese Themen seit Jahrhunderten einsteht. Schade, dass der Vatikan diese Chance verpasst.»

«Es wäre ganz bestimmt im Sinne des heiligen Franziskus.»

Priorin Irene Gassmann

Die Botschaft der neuen Enzyklika «ist ja bestimmt ganz im Sinne des heiligen Franziskus und so wäre es in seinem Sinne, wenn die Schwestern und Brüder angesprochen würden, also die ganze Menschheit für dieses Thema sensibilisiert wird».

Franziska Driessen-Reding, Präsidentin der Zürcher Exekutive.
Franziska Driessen-Reding, Präsidentin der Zürcher Exekutive.

«Ungeschickter Titel»

Franziska Driessen-Reding

Die Präsidentin des Synodalrates der katholischen Kirche im Kanton Zürich, Franziska Driessen-Reding, bezeichnete den Titel gegenüber kath.ch als «ungeschickt». Es hätte nicht viel «Goodwill» gebraucht, um den Titel in Anlehnung an das ursprüngliche Zitat anzupassen.

Videos auf Facebook – mit Schweizer Männern

So mancher Schweizer Mann unterstützt das Anliegen der Frauen. Auf einem Facebook-Video sind Willi Anderau, Bruno Fluder und Martin Werlen zu sehen. Auch Schweizer Frauen weibeln mit einem Facebook-Video für ihr Anliegen: Irene Gassmann, Franziska Driessen-Reding, Simone Curau-Aepli, Monika Schmid, Regula Grünenfelder und Veronika Jehle.

Aus dem Vatikan war zu hören, der Titel «fratelli» sei inklusiv gemeint. Denn das italienische Wort kann sowohl mit «Brüder» als auch mit «Geschwister» übersetzt werden. Für letzteres gibt es in den romanischen Sprachen kein eigenes Wort.

Männer unter sich | © pixabay/skeeze, Pixabay License
1. Oktober 2020 | 17:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Brief an den Papst

Eine wachsende Zahl von Katholiken und Katholikinnen sei besorgt wegen des Titels für die Enzyklika, heisst es im Brief des Catholic Women’s Council. Und weiter: «Uns ist bekannt, dass der Titel ein Zitat des Hl. Franziskus ist und wir wissen, dass Sie damit alle Menschen meinen. Trotzdem wird das männliche Substantiv viele vor den Kopf stossen.»

In einer Zeit, in der das Bewusstsein für die Macht von Sprache wachse, akzeptierten viele Frauen die Begründung nicht mehr, dass die männliche Form «Fratelli» verallgemeinernd sei und sie mitgemeint seien. Das sei im englischsprachigen Raum so und auch italienische Frauen führten an, dass sie sich mit dem Ausdruck «Fratelli» nicht mit einbezogen fühlten.

Auf Deutsch ist es längst üblich, die «Brüder und Schwestern» anzusprechen. Jetzt schon übersetzen zahlreiche englische Kommentatoren den Titel mit «Alle Brüder», was den Ausschluss von Frauen von den ersten Worten der Enzyklika an explizit mache.

Es wäre einfach, beide Geschlechter im Titel einzubeziehen. Das würde sicherstellen, dass Übersetzungen in allen Sprachen «Schwestern» genauso beinhalten müssten wie «Brüder». Dies würde jeglichem Missverständnis vorbeugen. Mit dieser kleinen Anpassung würden der «Geist des heiligen Franziskus sowie Ihre Intention beibehalten» heisst im Brief an den Papst.