Markus Thürig (links) und Richard Lehner.
Kommentar

«Fidei Donum» und der Missbrauch: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul?

50 Jahre «Fidei Donum» sind ein Grund zum Feiern. Wirklich? Oftmals gingen Priester ins Ausland, um sich Missbrauchsvorwürfen zu entziehen. Die Schweizer Bischöfe stehen in der Verantwortung, die Schattenseiten von «Fidei Donum» aufzuarbeiten. Ein Gastkommentar.

Claus Noppeney*

In dieser Woche feiert «Fidei Donum» sein 50-jähriges Bestehen in der Schweiz. «Fidei Donum» heisst übersetzt «Geschenk des Glaubens» und ist der Titel einer Enzyklika von Papst Pius XII. aus dem Jahre 1957. 

50 Jahre "Fidei Donum": Festakt in Hertenstein bei Weggis.
50 Jahre "Fidei Donum": Festakt in Hertenstein bei Weggis.

«Fidei Donum» als Verschiebebahnhof

Demnach sollten Priester in Missionsgebiete entsandt werden – soweit die Idee. In der Praxis sorgte das Programm «Fidei Donum» dafür, Priester, die in ihren Heimatbistümern auffällig geworden waren, vor Verfolgung zu schützen.

Claus Noppeney
Claus Noppeney

Die Organisation des Missbrauchs und die systematische Vertuschung wäre ohne das Ausland als Verschiebebahnhof und damit ohne «Fidei Donum» in diesem Ausmass kaum möglich gewesen. Das zumindest zeigen einige Studien aus Nachbarländern.

Auch die Schweiz schickte Missbrauchstäter ins Ausland

In Deutschland beispielsweise unterstützte die Koordinationsstelle «Fidei Donum» systematisch Priester vor strafrechtlicher Verfolgung. Gegen den Leiter, der später als Bischof in Ecuador wirkte, liegen zudem zahlreiche Meldungen und Hinweise zu sexuellem Missbrauch vor. 

Emil - Emilio Lorenzo - Stehle, Bischof von Santo Domingo de Los Colorados (Ecuador).
Emil - Emilio Lorenzo - Stehle, Bischof von Santo Domingo de Los Colorados (Ecuador).

Auch bekannte Fälle aus der Schweiz zeigen, wie die katholische Kirche ihre Internationalität für die Vertuschung und die verschleppte Aufarbeitung gezielt zu nutzen weiss. Der Schweizer Kapuzinerpater Joël Allaz beispielsweise hat über 50 Jahre lang dutzende Kinder sexuell missbraucht. Er wurde 1989 nach Frankreich versetzt, um ihn vor einer möglichen Strafverfolgung in der Schweiz zu schützen. Dort missbrauchte der Kapuzinerpater weiter Kinder. 

Bedenkliche Entwicklungen im Erzbistum Vaduz

Die Schweizer Bischofskonferenz siedelte die «Fidei Donum»-Dienststelle 1972 bei der Missionsgesellschaft Bethlehem in Immensee an, wo sie bis 2012 blieb. Auch bei diesen Ortsangaben sollten die Alarmglocken läuten. Schliesslich hielten auch die Immensee-Missionare Hinweise auf Gewalt unter dem Deckel, wie eine Untersuchung im Jahr 2020 ergab

Unter Missbrauchsverdacht: der Priester Thomas Jäger aus dem Erzbistum Vaduz.
Unter Missbrauchsverdacht: der Priester Thomas Jäger aus dem Erzbistum Vaduz.

Der Volksmund weiss: «Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul». Aber gilt das auch für «Fidei Donum»? Oft sind und waren es weniger hehre Motive, die Priester ins Ausland ziehen. Wenn Priesteramtskandidaten in ihrem Heimatbistum abgelehnt werden, bleiben auch heute kritische Nachfragen wie beispielsweise in Liechtenstein oft aus. 

Die Bischöfe stehen in der Pflicht

Auffällig sind aber auch Priester aus Heimatbistümern wie beispielsweise Deutschland, die selbst über Priestermangel klagen. Und nicht immer wird über die Gründe für den Auslandseinsatz offen gesprochen. Vermutlich wirken hier weiterhin nicht nur offensichtliche Pull-Faktoren wie die schönen Berge oder die gute Bezahlung, die Priester in die Schweiz ziehen. Tatsächlich dürften auch heute noch Push-Faktoren wie beispielsweise Missbrauchsvorwürfe dem Einsatz in der Heimat entgegenstehen. 

Richard Lehner ist Generalvikar des Bistums Sitten und Präsident von "Fidei Donum" Schweiz.
Richard Lehner ist Generalvikar des Bistums Sitten und Präsident von "Fidei Donum" Schweiz.

Wenn also aktive und ehemalige Missionarinnen und Missionare von «Fidei Donum» in Hertenstein bei Weggis zusammenkommen, um gemeinsam mit den Generalvikaren Richard Lehner (Sitten), Guido Scherrer (St. Gallen) und Markus Thürig (Basel) sowie Missio-Direktor Erwin Tanner zu feiern, dann sollte auch das dunkle Kapitel Missbrauch und Auslandseinsatz endlich auf die Tagesordnung. Denn auch einem geschenkten Gaul schaut man ins Maul.

* Der Sozialwissenschaftler Claus Noppeney (54) lehrt an der Berner Fachhochschule.


Markus Thürig (links) und Richard Lehner. | © Christian Merz
9. August 2022 | 12:53
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