Mit dem Kreuz geschultert geht es durch Zürich.
Schweiz

Fast 1000 Gläubige mit dem Kreuz unterwegs

Volle Kirche am Karfreitag in St. Peter und Paul – an die 800 bis 1000 Personen fanden sich dort ein, um zusammen den Ökumenischen Kreuzweg zu begehen. Diesen gibt es seit 1995. Bei strahlendem Frühlingswetter zog die Menschenmasse im Anschluss betend durch Zürichs Altstadt, um an Ostern an den Frieden zu erinnern.

Sarah Stutte

Kurz vor 12 Uhr strömen die Menschen von überall her in die katholische Kirche St. Peter und Paul in Zürich. Die Bänke sind schnell gefüllt, viele stehen an den Seiten im Gang. Auch hinter dem Eisengitter, das den Vorraum vom Kirchenschiff trennt, drängen sich noch Dutzende ins Innere. Insgesamt füllt sich die Kirche an diesem Karfreitag rasch mit bis zu 1000 Personen – wären die Gotteshäuser doch immer so voll, haben vielleicht einige bei diesem Anblick gedacht.

Um 12 Uhr in der Kirche St. Peter und Paul - volle Sitzbänke so weit das Auge reicht.
Um 12 Uhr in der Kirche St. Peter und Paul - volle Sitzbänke so weit das Auge reicht.

Mit einem Gongschlag, der das Murmeln in den Reihen unterbricht, kehrt Stille im Raum ein. Es wird erklärt, dass im Anschluss das grosse Holzkreuz aus der Kirche getragen wird und alle während des ganzen Weges geschlossen hinter dem Kreuz herlaufen sollen – orientieren könne man sich dabei an den beiden Männern mit einer Signalweste. Eine Gebärdendolmetscherin übersetzt die Informationen und Predigten.

Wissen nicht, was wir tun

Dann spricht der Seelsorger der römisch-katholischen Kirche, Martin Conrad: «Wissen wir immer, was wir tun? In einer Welt, die immer komplexer und vielschichtiger ist. Eine Welt, die nicht einfach in Gut und Böse aufgeteilt werden kann. Eine nicht einfache Welt, in der wir nicht nur nicht wissen, was wir tun, sondern oft gar nicht wissen, was wir tun sollen.»

Ein Mann mit einer Israelflagge an der Prozession.
Ein Mann mit einer Israelflagge an der Prozession.

Klar ist danach – das diesjährige Thema des Kreuzwegs ist den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen gewidmet. Den Gedanken an die Menschen, die dort leiden. Mehrere Rednerinnen und Redner greifen im Verlaufe der nächsten zwei Stunden in ihren Worten die Konflikte auf.

Diverse Beteiligung

Der Weggottesdienst ist der grösste ökumenische Anlass in Zürich und wird seit 1995 durchgeführt. Organisiert wird er vom Arbeitskreis Ökumenischer Zürcher Kreuzweg. An jeder Station wird kurz innegehalten und ein bis zwei Seelsorgende richten sich mit ihren Worten an die Menschen. Dabei spüren sie dem Kreuzweg Jesu nach und bauen eine Brücke zum Zürcher Leben damals und heute.

Ob mit dem Velo oder zu Fuss - viele Menschen machten den Kreuzweg durch Zürich.
Ob mit dem Velo oder zu Fuss - viele Menschen machten den Kreuzweg durch Zürich.

Alt und Jung, Migrantinnen und Migranten, Schweizerinnen und Schweizer, Queere Menschen, Flüchtlinge – Personen jeglicher Konfessionen – sind dabei gemeinsam zu insgesamt sieben Stationen in Zürich unterwegs, um dem Leidensweg Jesus zu gedenken und ein Zeichen für ein friedvolles Miteinander zu setzen.

Worte, die berühren

Wenige Minuten später schultert ein Mann das Kreuz und macht sich durch das Mittelschiff auf den Weg. Hinter ihm die Seelsorgerinnen und Seelsorger verschiedener christlicher Kirchen der Stadt. Dahinter schliesst sich die Menschenmenge an. Mit Kindern, Hunden und Velos. Die Strecke führt von St. Peter und Paul über den Stauffacherquai und der Sihlbrücke zum ersten Halt – der Gessnerallee vor dem Theater.

Der Boxenwagen, der die Prozession begleitet hat.
Der Boxenwagen, der die Prozession begleitet hat.

Hier tönt es über den Lautsprecherwagen, der immer hinter der Menge herfährt: «Die Todesstrafe wurde im Kanton Zürich bereits 1941 ganz abgeschafft. Doch immer noch werden Menschen in China, dem Iran, in Saudi-Arabien oder den USA hingerichtet. Niemand sollte jedoch wegen seines Glaubens, seiner politischen Überzeugung oder sexuellen Orientierung verurteilt werden». Eine ältere Frau, die einige Schritte weiter steht, berühren die Worte so sehr, dass sie anfängt zu weinen.

Einsatz gegen Einsamkeit

Weiter zieht die Prozession über den Löwenplatz und die Bahnhofstrasse zum Beatenplatz. Dort hören die Beteiligten: «Wir müssen Verantwortung übernehmen für die Menschen, die uns anvertraut sind, um füreinander zu sorgen. Heute leben in der Stadt Zürich die Hälfte der Einwohner in einem Einpersonenhaushalt. Viele fühlen sich oft einsam. Wir müssen uns fragen, was wir in unserem Umfeld tun können, um uns gegen die wachsende Vereinsamung einzusetzen».

Kathrin Rehmat von der evangelisch-reformierten Kirche Zürich.
Kathrin Rehmat von der evangelisch-reformierten Kirche Zürich.

Die vierte Station ist die Predigerkirche am Zähringerplatz. Dort sagt Kathrin Rehmat von der evangelisch-reformierten Kirche Zürich: «Die Stunde der Finsternis vergeht, wenn Juden in Muslimen, Muslime in Christen, Menschen in Menschen Geschwister finden, die einander leben lassen und sich in Barmherzigkeit üben». Eingeleitet werden die Reden durch die Lesung einer Bibelstelle. Am Schluss jeder Station wir das Kyrie gesungen, um Gott um Erbarmen zu bitten.

Versöhnung durch Zuhören

Über den Hirschengraben vor dem Obergericht geht es weiter zum Zwingliplatz vor dem Grossmünster. Hier seien ganz in der Nähe, unten bei der Wasserkirche, die Stadtheiligen Felix und Regula enthauptet worden. Zwei Christen aus Ägypten, die im 3. Jahrhundert mit einem römischen Heer unterwegs waren. Zwei Menschen, die gegen den Willen der herrschenden Römer an ihrem christlichen Glauben festhalten wollten.

Die 6. Station vor dem Grossmünster.
Die 6. Station vor dem Grossmünster.

Später wurden unter Zwingli in Zürich Frauen, Männer und Kinder wegen angeblicher Hexerei verfolgt und getötet. «Heute werden bei uns Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens von anderen angegriffen. Wir sollten uns die Sicht der anderen anhören. Vielleicht sehen wir uns dann nicht mehr so absolut im Recht wie die Römer oder Zwingli. Vielleicht lassen wir uns bewegen und vielleicht kann so irgendwann auch Versöhnung geschehen», ertönt es über die Lautsprecher.

Regeln den Verkehr - die Polizei und Sicherheitsleute des Organisationskomitees.
Regeln den Verkehr - die Polizei und Sicherheitsleute des Organisationskomitees.

Zum Abschluss der Prozession kehrt die Menge in der Kirche St. Peter ein. «Kein Ort ohne Gott», sagt der lutherische Pfarrer Thomas Risel. Danach rufen die Seelsorgenden zur Kollekte für das israelische Friedensdorf «Neve Shalom/Wahat al-Salam» auf. Hier leben seit 1972 Juden und Palästinenser bewusst zusammen, um zu zeigen, dass eine friedliche Koexistenz möglich ist. Es gibt eine Friedensschule für junge Juden und Palästinenser aus ganz Israel, die dort in Konfliktmanagement ausgebildet werden. Gemeinsam arbeiten sie an Lösungen für die Zukunft. Das gibt Hoffnung. Gerade zu Ostern.

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Mit dem Kreuz geschultert geht es durch Zürich. | © Sarah Stutte
29. März 2024 | 19:08
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