Sr. Rut.Maria Buschor, Äbtissin des Klosters St. Andreas in Sarnen.
Schweiz

Etwas wie eine Frauenrebellion in Sarnen

Das Frauenkloster Sarnen gedenkt seiner Gründung vor 400 Jahren. Die aktuelle Äbtissin Rut-Maria Buschor führt durch die Jubiläumsausstellung und spricht vom Aufbegehren der Ordensfrauen.

Vera Rüttimann

Im Historischen Museum Obwalden findet die Sonderausstellung «Ein Kloster im Gepäck» statt. Sie ist Teil des Jubiläumsprogramms 900 Jahre Benediktinerkloster Engelberg und Sarnen.

Im Fokus steht das Jahr 1615, als sieben Klosterfrauen aus Engelberg nach Sarnen zogen, um das Kloster St. Andreas zu gründen.

In Eiseskälte unterwegs

Im Historischen Museum Obwalden hängt eine grossformatige Fotografie. So muss die Aussicht gewesen sein, als die sieben Ordensschwestern am 18. Februar 1615 bei Winterwetter auf dem alten Talweg von Engelberg nach Grafenort wanderten. Vermutlich gingen sie durch Morast. Abends um 22 Uhr traf die Gruppe in Sarnen ein.

Mit im Gepäck: Das "Jesuskind"
Mit im Gepäck: Das "Jesuskind"

Die sieben Frauen waren Apollonia Lucia Meyenberg von Zug, Apollonia Funk von Konstanz, Ursula Feierabend von Engelberg, Walburga Viol von Engelberg, Anna Biedermann von Luzern, Margaretha Schwendimann von Luzern sowie Scholastika von Wyl von Altdorf.

Doppelkloster als Stein des Anstosses

Wie kam es dazu? Das Kloster Engelberg ist ab 1615 ein Männerkloster. Fast 500 Jahre war es aber ein Doppelkloster. Das Frauenkloster war in einem schlechten Zustand. Abt Jakob Benedikt Sigerist, dessen Porträt grossformatig in der Ausstellung hängt, wollte das Frauenkloster auflösen.

Doppelklöster, erklärt Museumsleiterin Klara Spichtig, seien seit dem Konzil von Trient in starker Kritik gestanden. Die Klosterfrauen sollten in verschiedene Klöster ziehen. Dagegen wehrten sich die Nonnen. Sie zogen nicht nur aus, sondern gründeten in Sarnen gleich ihr eigenes Kloster.

Rosenkranz, Gebetschnur, Gebäckmodel

Museumsleiterin Klara Spichtig
Museumsleiterin Klara Spichtig

Viel mitnehmen konnten sie dabei wohl nicht. Spannend zeigt die Ausstellung auf, was die sieben Nonnen bei ihrer beschwerlichen Reise nach Sarnen im Gepäck gehabt haben könnten. Eine Bestandesliste existiert nicht.

Schwester Rut-Maria sieht in einer Vitrine ein Rosenkranz-Kästchen aus dem 17. Jahrhundert aus dem Frauenkloster Sarnen, eine Gebetsschnur aus dem 16./17. Jahrhundert, einen Rosenkranz aus dem 17. Jahrhundert sowie ein Gebäckmodel aus Ton.

Kein Ausstellungsstück, aber einer der wenigen Gegenstände, die nachweislich den Weg von Engelberg nach Sarnen gefunden haben, sei, so Schwester Rut-Maria, ein Büchlein aus dem Jahr von Frater Erasmus von Altmanshausen aus dem Kloster St. Gallen, der als Prior in Engelberg wirkte. Gewidmet habe er es dem Frauenkloster.

Abbruch, Aufbruch, Aufschwung

Abt Jakob Benedikt Sigerists Entscheid, das Frauenkloster Engelberg aufzugeben, war wohl Fluch und Segen zugleich. Zum einen, so Schwester Rut-Maria, sei dies für die Frauen katastrophal gewesen. Zum anderen sei dies rückblickend vielleicht «das Beste, was dieser Gemeinschaft passieren konnte.» Wie das?

Äbtissin Rut-Maria Buschor
Äbtissin Rut-Maria Buschor

Die junge Äbtissin sagt: «Sowohl die Frauen als auch die Gemeinschaft selbst konnten sich danach richtig entfalten.» Nach der Einweihung des Klosterbaus in Sarnen 1617 erlebte die Gemeinschaft Zuwachs. In der Tat: In den nächsten 15 Jahren traten 23 Frauen ins Kloster ein.

Begonnen hatte der Aufschwung mit Scholastika von Wyl. Sie wird 1620 in Sarnen zur zweiten Äbtissin gewählt. Die heutige Äbtissin Rut-Maria steht vor dem grossen Ölbild mit dem Titel «Post-mortem-Bild Scholastika von Wyl» (1650, Leihgabe Kloster St. Andreas). 

Sie liegt in ihrem schwarzen Kleid, schwarzem Schleier mit weissem Innenfutter und einem breiten, gefaltetem Kragentuch auf dem Totenbett. Im Nebenraum findet sich ein grosses Altarbild mit Widmung Scholastika von Wyl und Darstellung des heiligen Benedikt sowie seiner Schwester Scholastika aus dem Jahr 1621.

Widerspenstig, mutig, engagiert

Näher stehen Schwester Rut-Maria jedoch andere Ordensfrauen, wie sie bekennt. Es sind widerspenstige Frauen mit einem sehr eigenen Kopf. Ordensfrauen, die wie sie heute an manchen Fronten kämpfen mussten. Wie Walburga Viol von Engelberg, fünf Jahre Meisterin (1596–1601). 1617 wird sie in Sarnen zur ersten Äbtissin gewählt.

Walburga Viol, weiss Schwester Rut-Maria, wurde zuvor als Meisterin abgesetzt, weil sie sich nicht an die Klausurvorschriften gehalten habe. Sie sei betteln gegangen für den Erhalt des Frauenklosters.

Wachs-Votive des Sarner Jesuskindes
Wachs-Votive des Sarner Jesuskindes

Gefallen findet die Sarner Äbtissin auch an Apollonia Funk von Konstanz, Meisterin von 1608 bis 1615. Sie trat überraschend am Morgen des Umzugs zurück. Zuvor widersetzte sie sich erfolgreich den Plänen des Abts, das Frauenkloster zu schliessen.

Heilende Wunden

Als die Generation, die den Umzug von Engelberg nach Sarnen miterlebte, starb, begann sich das Verhältnis zwischen den beiden Klöstern zu entspannen. Zwischenzeitlich, weiss Schwester Rut-Maria, habe der Kontakt praktisch nur über den Nuntius oder Bischof funktioniert.

Es sei spannend, wie über die Zeit gewisse Wunden heilen konnten. Allerdings, sagt sie, «reden wir heute noch von unten, dem Frauenkloster, und von oben, dem Männerkloster.»


Sr. Rut.Maria Buschor, Äbtissin des Klosters St. Andreas in Sarnen. | © Vera Rüttimann
13. Juni 2020 | 17:14
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Das «Jesuskind» im Gepäck

Mit dabei im Gepäck von Engelberg nach Sarnen war an diesem 18. Februar 1615 auch die gotische Holzfigur des «Jesuskindes». Es hat eine bewegte Geschichte: Erst stellte sich der Abt gegen die Ordensfrauen. Die Engelberger Schwestern mussten sich wehren, damit sie das Kind mitnehmen durften. Schwester Rut-Maria sagt: «Die Schwestern sagten wohl, dass dieses Kind immer zu ihnen gehört habe, und haben es einfach eingepackt.»

Dem «Sarner Jesuskind» sind mehrere Exponate gewidmet. Die junge Äbtissin steht vor einer Glasvitrine und staunt. Darin liegt ein kostbar besticktes Kleidchen aus dem 19. Jahrhundert, das die verehrte Figur trug. Daneben kleine Beinchen aus Wachs, die früher an Gläubige verkauft wurden.

Die Wallfahrt zum Sarner Jesuskind ist bis heute lebendig geblieben. Schwester Rut-Maria sagt: «Für mich ist es heute noch ein Wunder, dass diese Wallfahrt in Sarnen überlebt hat und dass das Jesuskind den Weg von Engelberg nach Sarnen gefunden hat.» (vr)