Turm der Kathedrale von Lugano
Schweiz

Entführung, Nötigung, Körperverletzung: Die dunkle Seite des Ex-Generalvikars

Es klingt nach einem schlechten Film. Doch für eine Frau aus Finnland waren es zwölf Jahre Martyrium. Die Tessiner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen ehemaligen Generalvikar von Lugano. Ein Mitbruder ist entsetzt.

Raphael Rauch

Im Fach Fundamentaltheologie geht es ans Eingemachte. Gibt es Gott? Wie können wir ihn beweisen? Was ist Erkenntnis? Komplexe Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.

Frau zwölf Jahre lang festgehalten

Ähnlich verhält es sich nun mit einem Fall, der im Bistum Lugano zu reden gibt: Wie kann es sein, dass ein Priester zwölf Jahre lang eine Ausländerin mutmasslich entführt, nötigt und verletzt – und keiner mag etwas davon mitbekommen haben?

Der Reihe nach: Am Wochenende platzt die Nachricht rein, dass ein ehemaliger Generalvikar des Bistums Lugano sich in Untersuchungshaft befindet. Es handelt sich um den ehemaligen Rektor und Professor für Fundamentaltheologie. Der Vorwurf: Entführung, Nötigung, Körperverletzung. Er soll eine 48-jährige Finnin zwölf Jahre lang in seiner Wohnung gehalten haben.

Tatort direkt neben der Kathedrale

Der Tatort: zentral. Die Wohnung des Ex-Generalvikars befindet sich direkt neben der Kathedrale San Lorenzo in Lugano. «Während die Frau ohne gültige Papiere in der Wohnung gefangen scheint, geht er predigen. In den vergangenen Wochen beginnt sich der Geistliche komisch zu benehmen», berichtet der «Blick».

Der Skandal fliegt auf, weil es ein Problem mit der Elektrik gibt. Die Handwerker kommen aber nicht in die Wohnung – niemand öffnet. Sie drehen den Strom ab und alarmieren die Behörden.

Finnin ohne Aufenthaltspapiere

Die Polizei beschattet die Wohnung und schlägt am Freitag zu. In der Wohnung treffen sie auf eine Frau – »verdreckt und in verwahrlostem Zustand», wie der «Blick» schreibt. Nachbarn berichten von vielen Paketlieferungen.

Laut der Tessiner Sonntagszeitung «Il Caffè» soll die Finnin keine gültigen Aufenthaltspapiere gehabt haben. Der 80 Jahre alte Priester habe sie gegen ihren Willen festgehalten.

Priester lernt Frau in Online-Kurs kennen

Vor Jahren soll er die Finnin als Cousine vorgestellt haben. Die beiden kennen sich aus einem Online-Unterricht. Die Frau soll zunächst als Hausdame nach Lugano gekommen sein.

«Ich bin schockiert. Er war ein offener, sensibler Theologe, sehr pastoral», sagt ein ehemaliger Generalvikar eines Schweizer Bistums zu kath.ch.

Es gilt die Unschuldsvermutung

Am Samstagabend reagiert das Bistum Lugano: «In diesem Fall sind keine Minderjährigen involviert. Die Kurie von Lugano arbeitet mit den Ermittlern zusammen.»

Später sekundiert die Theologische Fakultät: «Er ist ein Kollege, an den wir uns mit Wertschätzung erinnern und der eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Fakultät gespielt hat», teilen die Wissenschaftler mit. «Wir sind zutiefst erstaunt und betrübt darüber. Wir vertrauen darauf, dass die Untersuchung der Justiz bald Licht in den Fall bringen wird.»

Für den Priester gilt die Unschuldsvermutung. Da keine Fluchtgefahr besteht, ist er mittlerweile aus der Untersuchungshaft entlassen. Ob und wann Anklage erhoben wird, ist unklar.


Turm der Kathedrale von Lugano | © Barbara Ludwig
25. November 2020 | 06:11
Lesezeit: ca. 2 Min.
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