Christoph Sigrist und Franziska Driessen-Reding
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«Eines Intellektuellen unwürdig»: Driessen-Reding und Sigrist finden Kardinal Kochs Aussagen «unerträglich»

Aussagen des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch sorgen für Empörung: Die katholischen Reformdebatten erinnern ihn an die Nazi-Zeit in Deutschland. Die Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding findet diese Aussage «unerträglich und eines katholischen Kardinals und Intellektuellen unwürdig».

Franziska Driessen-Reding, Synodalratspräsidenten in Zürich

«Den synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland, der Möglichkeiten der Partizipation aller Gläubigen und einer menschengerechten Verkündigung des Evangeliums sucht, mit einer nationalistischen Strömung der protestantischen Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus zu vergleichen, die sich auf die Seite der Diktatur schlug, ist unerträglich und eines katholischen Kardinals und Intellektuellen unwürdig.»

Christoph Sigrist, Reformierter Grossmünster-Pfarrer und Bonhoeffer-Kenner

«Es ist grundsätzlich heikel, wenn man katholische und protestantische Traditionen aus ganz verschiedenen historischen Kontexten vermischt oder gar gegeneinander ausspielt. Wenn Kardinal Koch schon die Barmer Erklärung heranzieht, dann führt die gerade zu einem gemeinsamen Suchen und Ringen um das Verständnis des geoffenbarten Wortes Gottes in einer bestimmten Situation. So wie es Dietrich Bonhoeffer in der Bekennenden Kirche und ganz konkret auch in seiner theologischen Gemeinschaft in Finkenwalde exemplarisch gelebt hat. Insofern kann die Bewegung um Bonhoeffer (und andere) damals sogar ein Vorbild sein für das Ringen der katholischen Kirche heute um eine synodale Gestaltung des kirchlichen Lebens.»

Der reformierte Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist ist ein Kenner der Bekennenden Kirche und Dietrich Bonhoeffers. Letztes Jahr hatte sein Bonhoeffer-Oratorium Welturaufführung im Zürcher Grossmünster. Zu den Sprecherinnen zählt die katholische Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding. «Dietrich Bonhoeffer. Eine politische Messe» ist im Oktober in Bern, Luzern, St. Gallen und Zürich zu sehen.

Driessen-Reding und Sigrist nehmen auf Anfrage von kath.ch zu den umstrittenen Äusserungen des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch in der «Tagespost» Stellung.

Die «Tagespost» hatte den vatikanischen Ökumene-Minister gefragt: «Man kann immer wieder, auch von Bischöfen, hören, dass es angeblich neue Offenbarungsquellen gibt. Der Zeitgeist und das – ich nenne das mal so – Gefühl der Gläubigen spielen da offenbar eine Rolle. Lässt sich denn die Lehre der Kirche auf diese Weise ändern? Ist beziehungsweise wäre das eine Weiterentwicklung?»

Kochs Antwort lautete: «Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht. Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die sogenannten «Deutschen Christen» Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben. Dagegen hat die Bekennende Kirche mit ihrer Barmer Theologischen Erklärung im Jahre 1934 protestiert, deren erste These heisst: «Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle der Verkündigung ausser und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.»

Der christliche Glaube muss stets ursprungsgetreu und zeitgemäss zugleich ausgelegt werden. Die Kirche ist deshalb gewiss verpflichtet, die Zeichen der Zeit aufmerksam zur Kenntnis und ernst zu nehmen. Sie sind aber nicht neue Offenbarungsquellen. Im Dreischritt der gläubigen Erkenntnis – Sehen, Urteilen und Handeln – gehören die Zeichen der Zeit zum Sehen und keineswegs zum Urteilen neben den Quellen der Offenbarung. Diese notwendige Unterscheidung vermisse ich im Orientierungstext des «Synodalen Weges».» (rr)


Christoph Sigrist und Franziska Driessen-Reding | © zVg
29. September 2022 | 13:15
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