Issa Bandak ist CEO des "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
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Ein echter Jesus leitet das Kinderspital in Bethlehem

Issa Bandak (49) ist CEO des «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem. Issa ist der arabische Name für Jesus. Er findet es «ziemlich cool», aus Bethlehem zu stammen. Ein Gespräch über den Heilungsauftrag Jesu, die Zukunftspläne des Spitals – und warum er keine Macho-Kultur duldet.

Raphael Rauch

Wie ist es, aus Bethlehem zu stammen?

Issa Bandak*: Ziemlich cool (lacht). Ich habe in den USA studiert. Egal, wo ich war: Alle kannten meinen Geburtsort. Dass Jesus aus Bethlehem stammt, ist ein grosses Plus. 

In Weihnachtsstimmung: Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
In Weihnachtsstimmung: Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Sind Sie stolz, aus Bethlehem zu stammen?

Bandak: Selbstverständlich! Ich finde, wir dürfen mit Bethlehem schon ein bisschen angeben. Gott hat von allen Dörfern auf der Welt Bethlehem ausgewählt, um seinen Sohn auf die Welt zu bringen. Natürlich macht uns das stolz!

Eingang zur Geburtskirche von Bethlehem
Eingang zur Geburtskirche von Bethlehem

Was bedeutet Jesus für Sie persönlich?

Bandak: Jesus ist mein Namenspatron. Jesus heisst auf Arabisch Issa. Es ist aber nichts Besonderes, in Bethlehem Jesus zu heissen. Das ist ein ganz normaler Vorname – wie im Spanischen auch. Ich habe viele Cousins, die ebenfalls Jesus heissen. 

Wie lauten andere beliebte Vornamen?

Bandak: Für christliche Jungs: Georg und Andreas. Für christliche Mädchen: Maria. 

Kinder in Bethlehem.
Kinder in Bethlehem.

Und bei den Musliminnen und Muslimen?

Bandak: Bei den Jungs Mohammed, Yusuf, Mahmoud. Und Mädchen heissen Fatima oder Zainab. Je nach türkischer TV-Serie gibt’s andere Namen, die trenden. In den 1990er-Jahren waren lateinamerikanische Serien populär. Auf einmal gab es hier viele Esmeraldas (lacht).

«Ich persönlich bedaure, dass die palästinensischen Christinnen und Christen nicht im orthodoxen Patriarchat vertreten sind.»

Sind Sie katholisch?

Bandak: Nein, ich bin arabisch-orthodoxer Christ. Wir gehören dem griechisch-orthodoxen Patriarchat von Jerusalem an. Ich persönlich bedaure, dass die palästinensischen Christinnen und Christen nicht im orthodoxen Patriarchat in Jerusalem vertreten sind.

Der römisch-katholische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, hat Sie kürzlich gelobt. Wie eng arbeiten Sie zusammen?

Bandak: Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Er war erst vor ein paar Tagen da für die Weihnachtsfeier unseres Krankenhauses. Es ist schön, dass er sich so für unser Spital einsetzt. 

Patriarch Pizzaballa bei der Weihnachtsfeier im Kinderspital Bethlehem.
Patriarch Pizzaballa bei der Weihnachtsfeier im Kinderspital Bethlehem.

Warum haben Sie keine Geburtsabteilung? Für eine richtige Bethlehem-Story bräuchte es doch eine Entbindungsstation! 

Bandak: Wir haben einen anderen Auftrag. Es gibt bereits eine Geburtsklinik in Bethlehem. Warum sollten wir ihr Konkurrenz machen, wenn es im Gesundheitsbereich genügend anderes zu tun gibt? Nur, weil wir für Geburten nicht zuständig sind, heisst das nicht, dass wir nicht mit Neugeborenen zu tun haben. Zu uns kommen Babys, die zum Teil nur wenige Stunden alt sind.

Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Sie heissen «Caritas Baby Hospital». Wie definieren Sie Baby?

Bandak: Wir sind ein Kinderspital. Und laut internationalem Recht ist man erst mit 18 Jahren volljährig. Wir könnten theoretisch auch noch einen 17-jährigen Jugendlichen behandeln. Aber das kommt praktisch nicht vor. Unser jüngstes Baby war ein Frühchen, das in der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt kam. Also knapp drei Monate zu früh. Es wog nur 750 Gramm.

Hat es überlebt?

Bandak: Ja. Glücklicherweise hat es alles überstanden.

Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Was bedeutet es, in der Stadt Jesu ein Krankenhaus zu leiten?

Bandak: Wir fühlen uns den Werten Jesu verpflichtet. Und das sage ich nicht nur als Christ, sondern auch als Bethlehemer. Denn unsere muslimischen Freundinnen und Freunde würden das sofort unterschreiben. Sie sind stolz darauf, in der Stadt Jesu zu leben, schliesslich ist er im Islam ein wichtiger Prophet. In Bethlehem wachsen wir mit den Werten Jesu auf: Nächstenliebe, Solidarität, Hilfsbereitschaft. Diese Werte leiten uns jeden Tag. Ich gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber ich lebe jeden Tag im Geist Jesu.

Eine Down-Syndrom-Patientin im Kinderspital Bethlehem.
Eine Down-Syndrom-Patientin im Kinderspital Bethlehem.

Jesus hat nicht nur gepredigt, sondern auch geheilt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Bandak: Wir fühlen uns auch Jesu Heilungsauftrag verpflichtet. Jesus hat sich um alle Menschen gekümmert. Auch um die Armen und Schwachen, die keinen Arzt bezahlen konnten. Dieser Geist treibt uns an – auch unsere muslimischen Kolleginnen und Kollegen.

Hiyam Marzouqua: Chefärztin aus Leidenschaft.
Hiyam Marzouqua: Chefärztin aus Leidenschaft.

Ihre Chefärztin ist eine Frau. Geht das in einer patriarchal geprägten Gesellschaft ohne Probleme?

Bandak: Moment Mal! In der Leitung sind die Männer in der Minderheit. Ich habe in der Schweiz zwei Chefinnen: Sibylle Hardegger, die Präsidentin der «Kinderhilfe Bethlehem», und Sybille Oetliker, die Geschäftsführerin. In Bethlehem besteht unsere Geschäftsleitung aus drei Frauen und zwei Männern. Wir haben im Nahen Osten viele Probleme – aber ich finde, Gender-Fragen sind wirklich kein Problem mehr. Das haben wir hinter uns gelassen.

Die Theologin Sibylle Hardegger ist Präsidentin der Kinderhilfe Bethlehem.
Die Theologin Sibylle Hardegger ist Präsidentin der Kinderhilfe Bethlehem.

Wie haben Sie es geschafft, drei Frauen für die Geschäftsleitung zu rekrutieren?

Bandak: Wir haben drei exzellente Frauen im Führungsteam: eine ärztliche Direktorin, eine Pflegedirektorin und eine Finanzdirektorin. Sie überzeugen durch ihre Expertise und ihre Führungsqualitäten. Sie waren bei der Bewerbung mit Abstand die besten – besser als die männliche Konkurrenz. Natürlich ist Geschlechtergerechtigkeit ein strategisches Ziel von uns. Bei uns herrscht Lohngleichheit. Wir bezahlen nach Leistung und Erfahrung, nicht nach dem Geschlecht.

Weihnachtsstimmung im "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
Weihnachtsstimmung im "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Gibt’s im Nahen Osten keine Macho-Kultur?

Bandak: Nicht bei uns im Spital. Ich erlebe aber auch sonst die Frauen hier in Palästina als sehr, sehr stark. Wir leiden seit 74 Jahren unter der Besatzung. Der Druck von aussen hat die Frauen sehr stark gemacht. Aber klar, wir sind noch lange nicht am Ziel. Die Regierung in Ramallah besteht aus drei Frauen und 15 Männern. Trotzdem: Wer hier etwas erreichen will, muss das Vertrauen der Frauen gewinnen.

Issa Bandak ist CEO des «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem.
Issa Bandak ist CEO des «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem.

Jesus hat sich auch um Lepra-Kranke gekümmert. Gibt es Krankheiten, die mit einem Stigma verbunden sind – und gegen das Sie ankämpfen müssen? Zum Beispiel Affenpocken oder HIV/AIDS?

Bandak: Ich kann mich an kein Kind erinnern, das Mpox hatte oder HIV/AIDS. Aber ein schwieriges Thema sind Erbkrankheiten. Hier müssen wir besonders sensibel vorgehen, denn die Eltern machen sich grosse Sorgen um die Familienehre. Sie befürchten, dass ihre Kinder auf dem Heiratsmarkt keine Chance haben, wenn die Erbkrankheit bekannt würde. Das ist etwa bei Behinderungen oder chronischen Krankheiten wie Muskelschwund der Fall.

Lucia Corradin, franziskanische Elisabethenschwester aus Padua, vor dem Caritas Baby Hospital in Bethlehem.
Lucia Corradin, franziskanische Elisabethenschwester aus Padua, vor dem Caritas Baby Hospital in Bethlehem.

Vor welchen Herausforderungen stehen Sie – abgesehen vom Geld?

Bandak: Ehrlich gesagt ist Geld die einzige wirkliche Herausforderung. Mit klugem Management können wir das Spital noch besser machen. Aber dafür brauchen wir Geld. Wir wollen den Babys und Kindern den besten Standard bieten, den es gibt. Und das ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht. Wenn Sie es mit einem kleinen, verletzlichen Baby zu tun haben, können Sie nicht sagen: Wir geben uns mit 90 Prozent zufrieden. Wir müssen mindestens 100 Prozent liefern. Aber das kostet Geld.

Benedikt XVI. 2009 im "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
Benedikt XVI. 2009 im "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Also sollen die Menschen in der Schweiz mehr spenden?

Bandak: Wir haben von der Schweiz die Vorgabe, mehr eigene Gelder zu generieren. Wir sind auf gutem Weg. Das ist für uns auch sehr wichtig und wertvoll – es stärkt unsere lokale ownership, unsere Teilhabe. Wir haben es geschafft, dass unser Budget nicht mehr zu über 90 Prozent subventioniert wird, sondern nur noch zu 63 Prozent. 37 Prozent der Kosten können wir über lokale Einnahmen decken. Trotzdem sind wir auf die Spenden aus der Schweiz dringend angewiesen. Wir brauchen mehr Geld.

Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Warum brauchen Sie mehr Geld?

Bandak: Zum einen, weil ein Kinderspital nie seine Kosten selber decken kann. Hier in Palästina haben wir keine Krankenkassen, die Beiträge leisten. Und auch die öffentliche Hand kann uns nicht genügend unterstützen. Zudem müssen wir das Spital laufend weiterentwickeln und auf die Bedürfnisse der Menschen hier anpassen. So haben wir vor Jahren die Intensivstation eingeführt oder führen pädiatrische Subspezialitäten wie Neurologie. Bislang aber haben wir noch keine Chirurgie. Wir können also keine Operationen durchführen. 

Trotz Schmetterlingskrankheit aktiv: Joud (5).
Trotz Schmetterlingskrankheit aktiv: Joud (5).

Was machen Sie, wenn ein Baby operiert werden muss?

Bandak: Wenn eine OP anfällt, müssen wir die Patientinnen und Patienten woanders hinschicken. Das ist nicht optimal, weil für den Heilungserfolg eine gute Betreuung und ein enges Verhältnis zur Pflege und Ärzteschaft wichtig sind. Das wollen wir ändern. 

Wann kann die erste OP stattfinden?

Bandak: Langsam (lacht), wir stehen erst am Anfang. Die Kinderhilfe Bethlehem hat uns grünes Licht gegeben, um Pläne für die Einführung einer pädiatrischen Chirurgie zu erarbeiten. Hier sind wir jetzt dran.

Beschneidung Jesu, gemalt von Ambrosius Skeit
Beschneidung Jesu, gemalt von Ambrosius Skeit

Apropos Chirurgie: Am 1. Januar feiert die katholische Kirche das Fest «Beschneidung des Herrn». Werden Sie künftig Knabenbeschneidungen anbieten?

Bandak: Nein, das ist nicht vorgesehen. Eine Beschneidung hat im Nahen Osten nicht nur eine religiöse, sondern auch eine kulturelle Dimension. Es gibt Christen, die beschnitten werden – je nach Tradition der Familie. Die meisten Muslime werden beschnitten. Die Beschneidungen finden bei uns meistens in der Entbindungsklinik nach der Geburt statt. 

In der Schweiz herrscht Fachkräftemangel bei Medizin und Pflege. Wie schaffen Sie es, gutes Personal zu rekrutieren?

Bandak: Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber. Eine faire Bezahlung ist das eine. Der Team-Spirit ist das andere. Wir geniessen eine hohe Reputation. Das motiviert. Die Menschen arbeiten gerne mit den Besten der Besten zusammen. Sie wissen: Wir tun alles für unsere Patientinnen und Patienten. Wenn Sie in einem Café arbeiten und einen Kaffee verschütten, können Sie sagen: sorry – und einen neuen bringen. Wenn Sie aber einem Baby aus Versehen zwei Milligramm zu viel Medikament verabreichen, können Sie eine Katastrophe anrichten. Wir haben ein strenges Qualitätsmanagement. Das motiviert. Und: Wir haben eine Kinderkrippe für Mütter. 70 Prozent unseres Personals ist weiblich. So können wir die Vereinbarkeit von Beruf und Karriere sicherstellen.

Der Traum von der grossen, weiten Welt: Streetart auf der Sperrmauer in Bethlehem.
Der Traum von der grossen, weiten Welt: Streetart auf der Sperrmauer in Bethlehem.

Viele Palästinenserinnen und Palästinenser träumen von einem Leben im Ausland. Warum haben Sie nach Ihrem Studium in den USA nicht in Amerika Karriere gemacht?

Bandak: Ich habe erst mit 18 Jahren Palästina verlassen. Ich bin fest mit meiner Heimat verwurzelt. Ich bin mir sicher: Hätte ich als Kind Palästina verlassen, wäre ich in den USA geblieben. Aber für mich war immer klar: Ich liebe meine Heimat – und will meinem Volk dienen.

Auch David stammte aus Bethlehem. Hier ein Gemälde von Marc Chagall in der Knesset in Jerusalem.
Auch David stammte aus Bethlehem. Hier ein Gemälde von Marc Chagall in der Knesset in Jerusalem.

Arbeiten Sie mit Israel zusammen?

Bandak: Wir mischen uns nicht in die Politik ein – dann würde es schwierig werden. Auf der medizinischen Ebene ist die Zusammenarbeit einwandfrei. Wir schicken unsere Ärztinnen und Ärzte zu Fortbildungen nach Israel. Das ist gar kein Problem.

Issa Bandak ist CEO des «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem.
Issa Bandak ist CEO des «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem.

Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?

Bandak: Ich wünsche allen Menschen Frieden, Freude und Gesundheit. Und im Namen des ganzen Teams danke ich den Spenderinnen und Spendern in der Schweiz für die Solidarität. Ich garantiere Ihnen, dass wir alles tun, um den Babys in Bethlehem und der ganzen Region die beste Gesundheit zu gewährleisten und ganz im Sinne Jesu zu handeln. 

* Issa Bandak (49) ist CEO des «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem. Der palästinensische Manager hat in Ohio und an der katholischen Georgetown-Universität in der US-Hauptstadt Washington studiert.

Die Kinderhilfe Bethlehem ist ein internationales christliches Hilfswerk, das 1963 auf deutsch-schweizerische Initiative gegründet wurde. Zu den Gründungsmitgliedern gehören die Caritas Schweiz, der Deutsche Caritasverband, das Bistum Basel sowie die Erzdiözese Freiburg. 

Die Kinderhilfe Bethlehem erhält die Kollekte an Weihnachten. Dieses Jahr steht die Kollekte unter dem Motto: «Teilen Sie Ihr Glück mit der kranken Amira». Hier ein Video von Bischof Felix Gmür:


Issa Bandak ist CEO des «Caritas Baby Hospital» in Bethlehem. | © Raphael Rauch
18. Dezember 2022 | 18:17
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