Driessen-Reding: «Wir brauchen Kirchen als Nahrungsstätten für die Seele – in aller Offenheit»
Die Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen-Reding findet: Zürich brauche eine Debatte zur Zukunft der Kirche. Ihr gehe es nicht darum, wie mit weniger Geld die Leistungen aufrechterhalten bleiben könnten. Sondern: «Was ist überhaupt der Sinn von Kirche in einer nicht mehr kirchlich geprägten Welt?»
Raphael Rauch
Laut einer Studie werden bis 2045 nur noch zehn Prozent der Bevölkerung einer der grossen Konfessionen angehören. Macht Ihnen das Angst?
Franziska Driessen-Reding*: Keiner Konfession anzugehören heisst ja nicht, dass diese Menschen nichts mehr glauben. Dass man, sobald man nicht mehr Mitglied einer grossen Kirche ist, sich plötzlich von einem spirituellen Leben abwendet. Wie also können wir sicherstellen, dass auch künftig die Menschen Zugang dazu bekommen? Das Vertrauen in die katholische Kirche ist bei vielen Menschen nicht mehr da. Die Institution ist für die Jungen zu konservativ, rückwärtsgerichtet, autoritär. In manchen Pfarreien sieht es anders aus. Seelsorgende, die ihre Vorbildfunktion wahrnehmen, die Hirtinnen und Hirten im Sinne unseres Evangeliums sind, gibt es immer noch. Dort gelingt das kirchliche Leben auch heute noch.
Religionssoziologen sagen, die Kirchen seien weitgehend machtlos, was Austrittszahlen betrifft. Umgekehrt gibt es, wie im Erzbistum Köln, auch noch zusätzliche Faktoren. Wie sehen Sie das?
Driessen-Reding: Dass wir im Jahre 2023 nicht mehr so an Institutionen gebunden sind, wissen wir alle. Wir konnten unseren Horizont erweitern. Da verstehe ich die Aussage der Machtlosigkeit. Aber zur Macht… Da hätten wir ein anderes Problem. Missbrauch von Macht, sexueller und spiritueller Missbrauch – da haben wir leider einen grossen Erfahrungsschatz. Muster brechen ist das Schlüsselwort. Auch im Erzbistum Köln, mit Kardinal Nebel. Oder wie heisst er schon wieder?
Seit Jahren treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Wenn Sie ohnehin weitgehend machtlos sind: Warum haben Sie eine theologische Studie in Auftrag gegeben?
Driessen-Reding: Wir verfügen über Datenmaterial aus einer Studie von Ecoplan zur Entwicklung der Kirchenfinanzen in den verschiedenen Regionen des Kantons. Es war die logische Folge, dass wir diese Daten von einer Top-Theologin analysieren liessen. Regula Grünenfelder zeigt uns auf, wie wir künftig agieren können. Es ist wichtig, dass wir jetzt diese Diskussionen führen, nicht erst, wenn es zu spät ist.
«Unsere Kirchengebäude sind ein unermesslicher Schatz für die ganze Gesellschaft.»
Was überrascht Sie an der Studie?
Driessen-Reding: Dass Kirche sehr wohl auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen kann und soll. Nur eben ganz anders als heute. Unsere Kirchengebäude sind ein unermesslicher Schatz für die ganze Gesellschaft. Das ist uns im kirchlichen Alltag viel zu wenig bewusst.
Kirche ganz neu denken: Wie könnte das aussehen?
Driessen-Reding: Regula Grünenfelder nennt in der Studie Vorschläge für die Umsetzung. Wir müssen mit unseren Kirchenfinanzen jetzt anfangen neu zu denken. Wenn wir so weiterfahren, werden unsere Bischöfe und Pfarrstiftungen vielleicht schon bald auch keine Alternativen mehr haben, als Kirchen zu verkaufen, auf den Markt zu bringen. Beispiele aus den Niederlanden, Belgien, oder Frankreich gibt’s genug. Wie also können wir sicherstellen, dass unsere Kirchenräume auch künftig für alle Menschen zur Verfügung stehen können? Dass quasi die Kirche im Dorf, bei den Menschen bleibt.
Welche Umnutzung von katholischen Kirchen könnten Sie sich in Zürich vorstellen?
Driessen-Reding: Es geht überhaupt nicht um Umnutzung. Sondern darum, kirchliche Gebäude gemäss ihrem ursprünglichen Sinn und Zweck so zu nutzen, dass sie den Bedürfnissen unserer Zeit gerecht werden. Kirchenräume müssen auch künftig für die Menschen offenstehen. Für alle Menschen. Für suchende Menschen, für verletzte Menschen, für Menschen am Rande der Gesellschaft, für Menschen wie du und ich. Offene Räume als Orte, wo auch nicht-materielle Dimensionen unseres Lebens Platz finden. Für die Gesellschaft, nicht für einzelne auserwählte. Wir brauchen Kirchen nicht als Gourmettempel für Reiche, sondern als Nahrungsstätten für die Seele. In aller Offenheit.
In Innsbruck sorgt Bischof Glettler für spektakuläre Kunst-Aktionen in der Kirche. Spannende Impulse finden in Zürich im reformierten Grossmünster statt. Wo bleiben die katholischen Wow-Effekte?
Driessen-Reding: Was in der Kirche geschieht, entscheiden die Verantwortlichen der Pastoral. Wow-Effekte gibt’s aber alleweil. Ich kenne die Pfarreien Effretikon und Greifensee gut, sie sind solche Leuchttürme. Oder Richterswil: Dort findet am 25. März um 19 Uhr ein Top-Orgelkonzert mit Gesang statt – mit zwei unserer Seelsorger. Aber zugegeben, der ganze Reflexionsprozess zur sinnvollen Nutzung kirchlicher Gebäude in einer säkularen, nicht mehr kirchlich geprägten Gesellschaft, steht bei uns noch ganz am Anfang.
«Es geht nicht darum, das Bestehende mit weniger Mitteln besser verwalten und erhalten zu können.»
Brauchen wir eine Art katholische UNESCO?
Driessen-Reding: Wir haben diese Studien erarbeiten lassen, damit die Debatte in Gang kommt. Und mir ist ganz wichtig, dass sie nicht als billige Sparübung daherkommt oder eine reine Organisationsfrage, um das Bestehende mit weniger Mitteln besser verwalten und erhalten zu können. Es braucht bei der ganzen Übung auch den Geist, die theologische Reflexion. Was ist überhaupt der Sinn von Kirche in einer nicht mehr kirchlich geprägten Welt?
So gefragt, machen doch viele Kirchen in Zürich keinen Sinn mehr! Ich wohne in Wiedikon. Ob ich in die Pfarrei Herz Jesu gehe oder nach Peter und Paul oder Felix und Regula, ist mir geographisch ehrlich gesagt egal. Wie wäre es, eine Kirche zu opfern – und daraus etwas Neues zu machen, etwas ein interreligiöses Diakonie-Zentrum?
Driessen-Reding: Man muss überhaupt keine Kirche opfern! Aber eine bestehende Kirche als interreligiöses Zentrum zu nutzen, wäre wunderbar. Das hat aber mit opfern nichts zu tun. Wir kennen bei uns natürlich die Gemeindeautonomie. Gerne aber würden wir von der Kantonalkirche aus solche Initiativen unterstützen. Das wäre top!
Sie werden im Juni verabschiedet. Was wollen Sie bis zum Ende Ihrer Amtszeit noch erreichen?
Driessen-Reding: Meine Liste ist lang, deshalb hören wir jetzt mit dem Interview auf, damit ich wieder an die Arbeit kann (lacht). Spass beiseite. Die Volksabstimmung vom 18. Juni für unsere revidierte Kirchenordnung steht an. Da werden wir noch ganz schön was zu tun haben. Ein paar Pendenzen werde ich noch abarbeiten, damit ich mit gutem Gewissen übergeben kann.
* Franziska Driessen-Reding ist seit 2018 Präsidentin des Zürcher Synodalrats – als erste Frau in der knapp 60-jährigen Geschichte der Katholischen Kirche im Kanton Zürich, der öffentlich-rechtlich anerkannten Körperschaft der Kirche. Im Juni endet ihre Amtszeit.
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