Doris Reisinger
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Doris Reisinger kritisiert Benedikt XVI.: «Mir ist schlecht ob so viel Selbstgefälligkeit»

Benedikt XVI. äussert sich zum Münchner Missbrauchskomplex. Sein Brief sorgt bei Betroffenen für Empörung. Auch der Jesuit Hans Zollner kritisiert den Ex-Papst. In Italien jedoch werde sein Brief als beeindruckendes Schuldbekenntnis gelesen.

Als «wirklich unsäglich» wertet der Sprecher des Münchner Betroffenenbeirats, Richard Kick, den Brief von Benedikt XVI. Der ehemalige Papst kenne nur seine eigene Sichtweise und flüchte sich zuletzt in den Glauben, dass der «endgültige Richter» über ihn befinden werde, sagte Kick.

Fehlendes «empathisches Gegenübertreten»

Was dem Brief völlig fehle, sei ein «wirklich empathisches Gegenübertreten» jenen Hunderttausenden von Menschen, die in ihrer Kindheit weltweit in der Kirche sexuell missbraucht, geschlagen und gedemütigt worden seien, erklärte Kick. Zudem bemängelte er, dass es vom amtierenden Papst bisher kein Statement zum Münchner Missbrauchsgutachten gebe. Das zeige den «völlig desolaten Zustand» der Kirche und die Hilflosigkeit der Oberen.

Die Theologin Doris Reisinger kritisierte vor allem die von Benedikt im Brief gewählten Bezeichnungen für Jesus als «Freund», «Bruder» und «Anwalt». In den Ohren Betroffener klinge das so, als stünde Jesus «nicht auf ihrer Seite, sondern auf der Seite derer, die sie all die Jahrzehnte gequält, ignoriert und verletzt haben», so die Autorin über Twitter.

Der Brief sei eine «bodenlose Verhöhnung der Betroffenen», und ihr selbst werde «schlecht ob so viel Selbstgefälligkeit im frommen Mäntelchen».

Kritik an mangelnder Aufarbeitung

Die Betroffenenorganisation Eckiger Tisch sieht in der Erklärung des früheren Papstes einen weiteren Beleg für die «permanenten Relativierungen der Kirche in Sachen Missbrauch». Statt selbst die Verantwortung zu übernehmen, werde diese den Opfern aufgehalst, «wenn sie diese Art von Betroffenheitsbekundungen nicht angemessen zu würdigen vermögen». Die Organisation erneuerte zudem ihre Kritik daran, dass die Kirche die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen weiterhin nicht abgeben wolle.

Jesuit Hans Zollner
Jesuit Hans Zollner

Am Dienstag hatte Benedikt XVI. persönlich zu den Vorwürfen Stellung genommen und eine Mitschuld der kirchlichen Verantwortlichen eingeräumt. In einem zweieinhalbseitigen Brief äusserte er «tiefe Scham» und eine «aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs». Zugleich wehrt sich der frühere Papst gegen den Vorwurf, als Erzbischof von München (1977-1982) Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. Auch habe er in seiner Einlassung zu dem Ende Januar veröffentlichten Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) weder getäuscht noch gelogen.

Zollner: Erklärung zu allgemein gehalten

Unterdessen bemängelte der Kinderschutz-Experte Hans Zollner, dass die Erklärung zwar sehr persönlich, aber zu allgemein gehalten sei. Zudem habe der emeritierte Papst die falsche Reihenfolge bei den Adressaten gewählt. Hätte Benedikt zuerst sein Bekenntnis gegenüber Betroffenen und dann erst den Dank an Freunde geäussert, käme sein Brief sicher besser an, so Zollner.

Zugleich verwies der Leiter des bisherigen Kinderschutzzentrums und neuen Safeguarding-Instituts in Rom auf die unterschiedliche Wahrnehmung der Stellungnahme: In Deutschland werde sie vielfach als ungenügend beurteilt, während sie in Italien zumeist als beeindruckendes Schuldbekenntnis gelesen werde, sagte Zollner. (kna)


Doris Reisinger | © KNA
8. Februar 2022 | 18:17
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