Pater Theo Theiler zeigt eine "Weltsensation" aus Disentis: eine Mariendarstellung aus dem 8. Jahrhundert.
Schweiz

Die verborgenen Schätze von Disentis

Disentis ist für seine Barockkirche bekannt. Das Benediktinerkloster hat auch andere Schätze zu bieten. Warum sich ein Forscher für Keramik interessiert – und Pater Theo von einer Weltsensation spricht.

Raphael Rauch

Pater Theo Theiler (64) vom Kloster Disentis hat viele Talente. An der Klosterschule unterrichtet er Naturlehre. Er ist Kantor und Bibliothekar. Und als Leiter des Museums hütet er die Schätze der Benediktinerabtei.

Wildbienen und Tiba

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Diese Zeitebenen laufen bei Pater Theo zusammen. Er schützt die Schätze der Vergangenheit für die Zukunft – und macht sie der Gegenwart zugänglich. Gegenwart meint nicht nur Touristen und Pilger, sondern auch Forscher.

Immer wieder erhält der Benediktiner Anfragen. Von Hobbyforschern, die sich für Bündner Münzen interessieren. Von Museen, die Ausstellungen planen: «Haben Sie etwas zu Wildbienen?» Oder: «Haben Sie eine Tiba?» Gemeint ist ein Holzblasinstrument aus der Surselva.

Keramik im Keller

Manchmal muss Pater Theo passen. 1799 steckten die Franzosen Disentis in Brand, vom alten Kloster ist fast nichts übriggeblieben. Meistens findet er aber trotzdem etwas. Seine Vorgänger waren fleissige Sammler – und machten das Kloster zu einer Fundgrube.

Keramik-Experte Andreas Heege
Keramik-Experte Andreas Heege

Kürzlich war der Archäologe Andreas Heege (62) im Kloster Disentis. Er nimmt für die Ceramica-Stiftung in Basel Töpfereien im Kanton Graubünden unter die Lupe. «Graubünden war nie eine Töpferhochburg», sagt Heege. Trotzdem hat ihm Pater Theo 300 Objekte bereitgestellt.

Laptop und Fotoausrüstung

Am Ende landen die Keramik-Fotos im Internet, zugänglich für alle. «Die Keramik erzählt uns, womit sich die Menschen hier beschäftigt haben», sagt Heege. Mit Laptop und Fotoausrüstung ist er im Klosterkeller. Er richtet einen Zahnbürsten-Behälter ins rechte Licht und drückt auf den Auslöser der Kamera.

Es ist ein Serienmodell von Villeroy und Boch von 1875. Serienmodell heisst: ohne kunsthistorischen Wert. Trotzdem war es für die Benediktiner wichtig, den Behälter in die Klostersammlung aufzunehmen.

Brautschmuck mit Keramik und Glas

Eine Rarität ist ein Tonkasten für Brautschmuck. «Das sehe ich zum allerersten Mal», sagt der Keramik-Experte. «Auch heute heben viele den Brautschmuck auf. Aber nicht in einem Kasten aus Ton und Glas.»

Sakrale Keramik aus Disentis
Sakrale Keramik aus Disentis

Pater Theo freut sich, dass sich jemand für Keramik interessiert. Andere Klosterschätze sind gefragter. Die frisch renovierte Barockkirche ist ein Selbstläufer. Das Klostermuseum zeigt sakrale Schätze der letzten Jahrhunderte. Und deutet die Anfänge des romanischen Klosters an.

Romanische Anfänge

«Wir haben 12’000 Fragmente der ehemaligen Kirchenmauern aus dem 8. Jahrhundert. Sie haben überlebt, weil sie in der Krypta als Füllmaterial gebraucht wurden», sagt Pater Theo.

Ein Fragment liegt ihm besonders am Herzen. Im Museum steht eine Kopie, das Original schlummert in einer Schublade im Keller. Pater Theo spricht von einer «Weltsensation», als er die Figur auspackt.

Entschlafung Mariens

«Für Katholiken ist klar, was am 15. August ist: Mariä Himmelfahrt. Die Ostkirchen gehen von Mariä Entschlafung aus, von der Koimesis. Maria wird nicht in den Himmel aufgenommen, sondern sie liegt im Sterbebett, wie in einem Sofa.»

Sakraler Kitsch
Sakraler Kitsch

Von der alten Figur ist nur ein Teil des Kopfes übriggeblieben. Der Mund fehlt, die Nase ist abgeschlagen. Doch Pater Theo ist überzeugt: «Das ist bildlich die älteste Fassung dieses wichtigen Marienfestes.»

Sakraler Kitsch

Pater Theo verstaut den Schatz in der Schublade. Nur wenige Meter entfernt stehen Figuren aus Keramik – kunterbunt und glänzend. «Kitsch hat früher funktioniert und funktioniert heute noch.» Und fügt diplomatisch hinzu: «Es gibt viele Formen, wie sich religiöse Geheimnisse zeigen können.»


Pater Theo Theiler zeigt eine «Weltsensation» aus Disentis: eine Mariendarstellung aus dem 8. Jahrhundert. | © Raphael Rauch
16. Juli 2020 | 16:42
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