Kardinal Lorenzo Baldisseri bei der Präsentation des Abschlussdokuments der Vorsynode
Vatikan

«Die Spontaneität der Jugendlichen hat mich überrascht»

Rom, 11.4.18 (kath.ch) Selten wurde eine Bischofssynode so breit vorbereitet wie die Jugendsynode im Oktober. Nach einer Onlineumfrage und einem Symposium 2017 gab es vor Ostern eine einwöchige Vorsynode mit 300 jungen Teilnehmern. Im Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur in Rom (CIC) zieht Kardinal Lorenzo Baldisseri, Generalsekretär der Bischofssynode, eine Zwischenbilanz.

Roland Juchem

Herr Kardinal, Sie haben sich schon viel mit den Themen der Jugendsynode befasst. Gibt es im Abschlussdokument der Vorsynode Ende März etwas, die Sie noch überrascht hat?

Kardinal Baldisseri: Überrascht hat mich vor allem die Spontaneität, mit der sich die jungen Leute geäussert haben. Die zweite wichtige Beobachtung ist für mich, wie wichtig ihnen Familie ist. Das mag ungewöhnlich erscheinen. Doch auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit fühlen sich viele Jugendliche allein. Daher suchen sie Unterstützung, oft zuerst bei ihren Eltern. Darüber hinaus erstaunt mich ihr Gefühl für Gemeinschaft – ob in Schule, Elternhaus, Vereinen oder Kirche.

«Die zweite wichtige Beobachtung ist für mich, wie wichtig ihnen Familie ist.»

Auf ihrem Weg in die Zukunft wollen junge Menschen begleitet werden. Dies ist ein Schlüssel, sie zu verstehen. Begleitung heisst aber, neben ihnen zu gehen, nicht vor und nicht hinter ihnen. Diese Haltung wird zu einem pädagogischen Prinzip, wenn der Jugendliche dem jeweiligen Begleiter vertraut.

Es gab auch eine Online-Umfrage. Welches waren dort die für Sie überraschendsten Ergebnisse?

Baldisseri: Zunächst die Tatsache, dass es überhaupt so viele Kontakte gab. Insgesamt waren das fast eine halbe Million. Etwa 110’000 haben angefangen, den Fragebogen zu beantworten, 80’000 haben dies komplett getan …

«Viele waren einfach neugierig, was die Kirche hier zu bieten hat.»

Und inhaltlich?

Baldisseri: Für uns war es eine erstmalige Erfahrung, eine Website zu eröffnen, um mit Jugendlichen zu interagieren. Zudem haben wir gesehen, dass die Mehrheit von ihnen sich schon in der Kirche engagiert. Viele waren einfach neugierig, was die Kirche hier zu bieten hat. Die Jugendlichen heute sind es ja gewohnt, sich alle Optionen anzuschauen – darunter eben auch die Kirche.

Also ist für Sie die Kontaktaufnahme an sich wichtiger als der Inhalt der Antworten?

Baldisseri: Ja in gewisser Weise schon. Auf diesem Gebiet müssen wir einfach weitere Schritte unternehmen.

Etliche Teilnehmer der Vorsynode waren skeptisch, wie viel von dem, was sie bewegt, bei den Bischöfen in der Synode ankommt. Wie genau fliesst ihr Dokument in das Arbeitsdokument für die Bischöfe ein? Wer macht das?

Baldisseri: Das Arbeitsdokument der Synode speist sich aus vier Quellen: erstens die Antworten der Bischofskonferenzen. Denen hatten wir ebenfalls einen Fragebogen geschickt. Von den 114 Bischofskonferenzen haben bisher 80 Prozent geantwortet. Das ist für uns ein Rekord zu diesem Zeitpunkt einer Synodenvorbereitung. Von den 15 orientalischen Kirchen haben schon zwölf geantwortet. Zusätzlich sind Kurie, Orden und nichtkatholische Institutionen angefragt.

«15 bis 20 Prozent der Teilnehmer der Vorsynode haben wir ausserhalb der Kirche gesucht.»

Die zweite Quelle ist ein Symposium über jugendliche Lebenswelten, das im vergangenen Herbst stattgefunden hat. Die dritte Quelle ist die Website zur Jugendsynode und der Online-Fragebogen, die vierte schliesslich das Abschlussdokument der Vorsynode. Dazu kommen Zusammenfassungen der diversen Eingaben während der Vorsynode. Aus all diesem Material erstellen unsere Fachleute jetzt eine Synthese, die das «Instrumentum laboris» darstellt.

Wann wird das fertig sein?

Baldisseri: Mitte Mai soll es hier intern vorgestellt werden. Im Juni wird es dann weltweit verschickt.

Wie werden junge Menschen an der Synode selbst beteiligt – als Auditoren, Gäste, Sprecher?

Baldisseri: Nach den Statuten der Synode sind etwa 40 Auditoren vorgesehen, die das Thema der Synode repräsentieren sollen. Die können dort reden, aber nicht mit abstimmen. Ausgewählt werden sie mit Hilfe der Bischofskonferenzen aus verschiedenen Teilen der Welt.

Dabei wollen wir eine möglichst breite Auswahl, auch von Nicht-Glaubenden. Die können einmal in der Aula sprechen, sich aber auch in den Sprachgruppen äussern.

Werden die Auditoren unter den Teilnehmern der Vorsynode ausgewählt?

Baldisseri: Wir sind frei und offen, von denen der Vorsynode jemanden auszuwählen oder andere. Wir wollen auch anderen die Chance geben, sich einzubringen, wollen selbst andere hören. Daher können bei der Synode im Oktober Teilnehmer der Vorsynode dabei sein – und andere.

«Das Thema Sexualität wird vorkommen.»

Wie genau wurden überhaupt die 300 Teilnehmer der Vorsynode ausgewählt?

Baldisseri: Zunächst haben wir die 114 Bischofskonferenzen angeschrieben, sie mögen eine Person delegieren, die grösseren Konferenzen zwei. Die Ostkirchen ebenso. Dann haben wir die wichtigsten katholischen Bewegungen und Verbände gebeten, einen Vertreter zu schicken. 15 bis 20 Prozent der Teilnehmer der Vorsynode haben wir ausserhalb der Kirche gesucht, über Sportverbände, Gewerkschaften und andere Organisationen. Deren Beiträge waren oft sehr bewegend und bereichernd.

Einige junge Menschen kritisieren, die Kirche vernachlässige das Thema Sexualität. Welche Rolle wird das im «Instrumentum laboris» spielen?

Baldisseri: Das Thema Sexualität wird vorkommen wie andere – etwa Erziehung – auch. Es stimmt auch, dass bei dem Symposium im Herbst diese Kritik angebracht wurde. Das war aber, weil der entsprechende Referent kurzfristig ausfiel.

Zum Schluss eine ganz andere Frage: Es gibt Kreise, die vermuten oder argwöhnen, die Jugend-Synode sei auch ein Vorwand, um über das Thema Sexualität die kirchliche Lehre aus «Humanae vitae» zu verändern oder abzuschwächen. Ihr Kommentar dazu?

Baldisseri: Das ist für mich völlig absurd. Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Natürlich behandeln wir, wie gesagt, das Thema Sexualität insgesamt. Aber in eine derartige Debatte werden gar nicht einsteigen. (cic)


Kardinal Lorenzo Baldisseri bei der Präsentation des Abschlussdokuments der Vorsynode | © Jacques Berset
11. April 2018 | 12:18
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