Live-Übertragung des Sturms auf das US-Kapitol
International

Die Rolle christlicher Nationalisten beim Sturm auf das Kapitol

Die unheilvolle Verbindung zwischen rechten Christen und weissen Nationalisten erreichte beim Aufstand im Kapitol ihren Höhepunkt. Und wirft die Frage auf, wer der Erlöser ist: Jesus Christus oder Donald Trump?

Thomas Spang

Sie hielten «Jesus2020»-Schilder in die Luft, schwenkten Fahnen mit einem Baum und dem Slogan «An Appeal To Heaven» und untermalten das Schreien der Trump-Rebellen beim Sturm auf den Kongress mit dem Klang der «Schofar» genannten Hörner, die schon die Israeliten bei ihren Feldzügen gebrauchten.

Die massive Präsenz evangelikaler Fundamentalisten unter den Aufständischen am vergangenen Mittwoch vor einer Woche war nicht zu übersehen und zu überhören.

Fundamentalistische Gewaltbereitschaft

Überrascht hat die Vehemenz und Gewaltbereitschaft der rechten Christen viele Amerikaner dennoch. «Das haben manche unterschätzt», sagt Professorin Kristin Kobes Du Mez, die sich an der «Calvin University» in Grand Rapids in Michigan mit der Schnittmenge zwischen weissem Nationalismus und der evangelikalen Bewegung befasst. Die Autorin des Buchs «Jesus und John Wayne» weiss, dass der Boden dafür «über Jahrzehnte» bereitet worden ist.

Zum Beispiel von Predigern wie Eric Metaxas, der kein Geheimnis aus seiner Bereitschaft macht, sein Leben für den geliebten Präsidenten zu geben. «Ich bin bereit im Kampf für ihn zu sterben», sagte der evangelikale Führer Ende November, als es an dem Sieg für Joe Biden schon keinen echten Zweifel mehr geben konnte.

Neue Mission

Statt die Fakten zu akzeptieren, sprang Metaxas auf den Lügenzug Tumps auf und behauptete, der Präsident sei um den Sieg bei den Wahlen betrogen worden. Er mobilisierte für den Aufstand am 6. Januar, der darauf abziele, die Abgeordneten im Kongress mit Gewalt daran zu hindern, den Wahlsieg Bidens zu zertifizieren.

«Fundamentalisten zogen siebenmal um das Kapitol.»

Tags zuvor zog er mit fragwürdigen Akteuren wie Michael Flynn und anderen protestantischen Fundamentalisten im Gefolge siebenmal um das Kapitol. Eine bewusste Anspielung auf die im Alten Testament überlieferte Umkreisung der Stadt Jericho durch die Israeliten. Bei der siebten Runde zerbrachen die Mauern.

«Gott ist mit uns»

Im Kongress halfen beim «Marsh to save America» selbsternannte «Patrioten» nach, als sie Scheiben zerschlugen und Türen auframmten, während einige skandierten «Gott ist mit uns». Der Aufstand gegen gewählte Volksvertreter als göttliche Mission? So sehen es viele evangelikale Pastoren, die am Sonntag danach versuchen, die Gewalt anderen in die Schuhe zu schieben.

Metaxas sagt, Provokateure der linken Antifa-Bewegung hätten sich unter die Menge gemischt. Eine falsche Aussage, die nicht einmal der Trump-Gefolgsmann an der Spitze des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, teilt. Der hilflose Erklärungsversuch ist das Ergebnis einer giftigen Mischung aus Personenkult, Nationalismus und autoritärem Religionsverständnis.

König David im Weissen Haus

«In den vergangenen fünf Jahren hat sich dieser ‘Gott-und-Vaterland-Nationalismus’ in der Figur Donald Trumps vereinigt», sagt Du Maz dem «Religion News Service». Historisch gibt es genug vergleichbare Fälle, in denen konservative Christen zweifelhafte Figuren an der Spitze des Staates unterstützten.

«Eskalation der Gewalt ist politisch und theologisch unterfüttert.»

Andrew Whitehea

«Spirituelle Berater» Trumps wie der Führer der «First Baptist»-Megakirche in Dallas, Robert Jeffres, priesen den «modernen König David» im Weissen Haus. Ein nicht immer tugendhafter Mann, aber einer, den Gott als sein Werkzeug auserwählt hat. Der Aufstand im Kongress bringt Jeffres in Erklärungsnot. Gewalt, sagt er, habe nichts mit Christentum zu tun.

Der Soziologe Andrew Whitehead von der «Purdue University» in Indianapolis widerspricht. «Sie können nicht verstehen, was hier passiert ist, ohne sich mit dem Christlichen Nationalismus auseinanderzusetzen», sagte Whitehead der «New York Times». Evangelikale hätten die Eskalation der Gewalt «politisch und theologisch unterfüttert».

Vor dem Sturm das Gebet

Das Spektrum der Verführten reicht von gewöhnlichen Mitläufern, die naiv der Behauptung vom Wahlbetrug glauben, über Prediger, die ihre Gemeinden manipulieren, bis hin zu den rechtsextremen «Proud Boys».

Diese knieten betend vor dem Sturm auf den Kongress. Sie dankten Gott «für die wundervolle Nation, in der wir gesegnet sind zu leben». Danach stürmten die Trupps zusammen mit anderen christlichen Nationalisten in das Allerheiligste der US-Demokratie. (kna)


Live-Übertragung des Sturms auf das US-Kapitol | © Screenshot cnn
14. Januar 2021 | 12:02
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Päpstliche Universität zieht Preis für Trump-Anhänger zurück

Die römische Ordensuniversität der Legionäre Christi zieht eine Preisverleihung für den US-amerikanischen Priester und Lebensschutz-Aktivisten Frank Pavone zurück. Der Geistliche hätte die Auszeichnung «Una vita per la vita» (Ein Leben für das Leben) für sein Engagement gegen Abtreibungen am 25. Januar erhalten sollen.

Die päpstliche Hochschule «Regina Apostolorum» erklärte in einer Stellungnahme (Mittwoch), maßgeblich für die Absage seien «Gesichtspunkte, die bei der ursprünglichen Entscheidung nicht berücksichtigt wurden».

Pavone tritt in Podcasts und auf Twitter als glühender Unterstützer von US-Präsident Donald Trump auf. Noch nach dem Sturm von Trump-Anhängern auf das Washingtoner Kapitol bezeichnete er den gewählten Präsidenten Joe Biden als Betrüger und seine Partei, die Demokraten, als Heuchler. (cic)