Christian Troll, Jesuit und Islamwissenschaftler, am 18. September 2014 in Frankfurt.
Vatikan

«Die Reform des Islam ist in vollem Gange» – auch dank Papst Franziskus

Der Islamwissenschaftler und Jesuit Christian Troll (84) sieht starke Impulse für religiöse Reformen in der islamischen Welt. Der geistige Wandel sei dort in vollem Gange und werde durch das Internet und den globale Austausch befeuert. Gerade Papst Franziskus habe den interreligiösen Dialog gefördert.

«Die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Krise in den islamischen Ländern ist ein starker Antrieb, nicht nur für Intellektuelle und Religionsgelehrte, um religiöse Traditionen und problematische, sekundäre Regeln etwa der Scharia in Frage zu stellen», sagt Troll in einem jüngsten Interview.

Islam im Westen oft nur «starres Gebilde»

Im Westen werde der Islam oft als starres Gebilde gesehen, mit fliessenden Übergängen zum Extremismus. Dabei spürten im Zeitalter der Migration immer mehr Musliminnen und Muslime, dass sie sich anpassen müssten und Dialog mit Andersgläubigen ihren Glauben bereichert, betonte Troll.

«Wo immer ich mit Muslimen tiefer ins Gespräch kam, ging es ihnen primär um diese Glaubensinhalte.»

Christian Troll, Islamexperte und Jesuit

Das Ziel der Islamisten, die ganze Welt in einen frühislamischen Gottesstaat zu verwandeln, hielten die meisten weder für realistisch noch erstrebenswert. Vielmehr stehe bei ihnen der Glaube an einen barmherzigen Gott und die Pflicht zu einer ethischen Lebensführung im Vordergrund.

Pro-Islam-Kundgebung in der Schweiz
Pro-Islam-Kundgebung in der Schweiz

«Wo immer ich mit Muslimen tiefer ins Gespräch kam, ging es ihnen primär um diese Glaubensinhalte», so Troll, der am 25. Dezember 85 Jahre alt wird und viele Jahre in islamischen Ländern gelebt und gelehrt hat.

Islamische Theologie an europäischen Universitäten

Wichtige Impulse für eine Reform des Islam sieht der Jesuit durch den Ausbau der islamischen Theologie an europäischen und deutschen Universitäten. «Hier herrscht ein Klima der Meinungs- und Debattenfreiheit – offenen Diskussionen können muslimische Gelehrte hier nicht ausweichen und müssen sie aushalten.»

Diese Lehrstätten bildeten auch ein Gegengewicht zu manchen engstirnigen Moscheevereinen in Deutschland, die eher Parallelgesellschaften förderten als eine geistige Öffnung des Islam.

Historische Leistung des Papstes

Der verstärkte interreligiöse Dialog mit dem Islam zählt für Troll zu den historischen Leistungen von Papst Franziskus. Zusammen mit dem Grossimam der Kairoer Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb, habe er dem Austausch zwischen Christen und Muslimen eine neue Dynamik verschafft. Ihre gemeinsame Unterzeichnung eines Dokuments über die Geschwisterlichkeit aller Menschen 2019 in Abu Dhabi bezeichnete Troll als umwerfenden Moment.

Papst Franziskus und Ahmad al-Tayyeb
Papst Franziskus und Ahmad al-Tayyeb

«Das ist gerade auch von den Muslimen ein grosses Zeichen, das ich für aufrichtig halte.» Leider werde das Dokument von Politikern kaum wahrgenommen und seine Kraft für den Dialog zwischen dem Westen und der islamischen Welt wenig genutzt.

Zu Trolls beruflichen Stationen zählten Lehraufträge in Neu-Delhi, Ankara und am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom. Zwölf Jahre lang war er Mitglied der Päpstlichen Kommission für religiöse Beziehungen zu den Muslimen, daneben beriet Troll die Deutsche Bischofskonferenz zu interreligiösen Fragen. (kna)


Christian Troll, Jesuit und Islamwissenschaftler, am 18. September 2014 in Frankfurt. | © KNA
15. Dezember 2022 | 12:26
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