Die Gründung des Vereins Al-Rahman verzögert sich

Aarau, 13.8.17 (kath.ch) Die auf den 12. August geplante Gründung des Vereins «Al-Rahman» wurde verschoben, weil weiter an den Statuten gefeilt werden müsse. Das teilt der muslimische Mathematiker Kerem Adıgüzel (30) mit. Er tritt als Initiant des Vorhabens auf. Ziel des Vereins ist es, eine inklusive, offene Moschee zu gründen, in der Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Herkunft keine Rolle spielen sollen.

Sylvia Stam/Regula Pfeifer

Es habe sich zwar eine Gruppe von 17 Personen am 12. August 2017 in Aarau unter Ausschluss der Öffentlichkeit getroffen, mit der Absicht, den Verein zu gründen, heisst es in der von Adigüzel verfassten Mitteilung vom 13. August. Bei der Besprechung der Statuten und weiterer Zusatzdokumente sei aber nach sechs Stunden klar geworden, dass die Vereinsgründung an diesem Tag nicht erfolgen konnte, präzisierte Adigüzel gegenüber kath.ch.

Die Gruppe will sich mehr Zeit nehmen, um die inhaltliche und formelle Qualität der Vereinsdokumente umfassend sicherstellen zu können, wie es in der Mitteilung weiter heisst. Die Gründung werde innerhalb der nächsten zwei Monate erfolgen, versprach Adıgüzel.

Demokratisierung angestrebt

An der Sitzung habe man mit der Wortwahl in den Statuten gerungen, fügte er an. Aber auch die Organisation des Vereins gab zu reden. Man habe gewisse Kompetenzen, die üblicherweise dem Vorstand zukommen, der Mitgliederversammlung zuschreiben wollen, so Adigüzel. «Wir wollen den Verein also demokratisieren.»

Das Treffen fand nicht wie geplant in Olten, sondern in Aarau statt. «Wir wollten sichergehen, dass wir bei der Gründungsversammlung keinen externen Ablenkungen ausgesetzt sind», heisst es in der Mitteilung.

Die Idee zur Offenen Moschee hatte Kerem Adigüzel bereits im St. Galler Kulturmagazin «Saiten» geäussert. Gegenüber kath.ch erklärte er nun: «Wir möchten ‘Gottergebene’, das ist die deutsche Übersetzung von ‘Muslime’, im ganzen deutschsprachigen Raum ansprechen.» Gemeint sind vor allem jene, «die sich bisher keiner Gemeinschaft angeschlossen haben, weil die bestehenden ihnen zu konservativ sind».

Der geplante Verein soll «Al-Rahman – mit Vernunft und Hingabe» heissen. Al-Rahman sei ein Name Gottes und bedeute «der Erbarmer», erklärte Adıgüzel. Die in der Gruppe Engagierten wohnten in der Schweiz und Deutschland, vereinzelt in Österreich, sie seien Schweizer, Deutsche, aber auch Ägypter, Serben und Afghanen. Insgesamt seien es zwischen 15 und 20 aktive Personen, zur Kerngruppe gehörten rund 10 Personen. Die Umgangssprache sei deutsch.

Plattform für logisch-kritische Diskussionen

Der Verein strebt eine «auch im Gebet deutschsprachige, offene und inklusive Moschee» an, sagte Adıgüzel im Interview mit «Saiten». Geschlecht, sexuelle Orientierung oder kultureller Hintergrund spielten keine Rolle. «Primär geht es darum, eine Plattform für Diskussionen und Debatten zur Verfügung zu stellen, wo sich alle logisch-kritisch mit den verschiedenen Aspekten des Islam auseinandersetzen können». Auch der Imam oder die Imamin soll allen anderen gleichgestellt sein.

Mit Dachverbänden wie der Fids oder der Vioz hat die Gruppe bislang nicht zusammengearbeitet, weil diese eine gewisse sunnitische Strömung verträten, die ihnen zu traditionell sei. «Daher suchen wir den Kontakt zu ihnen derzeit nicht aktiv», so Adigüzel. Dies bestätigt auch Önder Güneş, Mediensprecher der Fids: «Wir kennen Herrn Adıgüzel nur aus den Medien.»

Gemeinschaft mit eigener religiöser Praxis

Mit dem «Forum für einen fortschrittlichen Islam» wäre laut Adigüzel eine Zusammenarbeit grundsätzlich denkbar, insbesondere was den Austausch betrifft. Das Forum sei jedoch keine Religionsgemeinschaft mit eigener religiöser Praxis.

Auch die «Offene Moschee Schweiz» sei ein möglicher Ansprechpartner, so Adıgüzel. Diese strebe allerdings eine Wandermoschee mit einzelnen Gebeten an. «Unser Verein will mehr: Wir möchten beispielsweise auch gemeinsame Fastenbrechen anbieten, Seminare über Homosexualität, Frauenrechte oder Tiere im Islam, eine soziale Beratungsstelle für Menschen aus dem muslimischen Umfeld aufbauen oder Diskussionen etwa zur Frage ‘Was hat Salafismus mit dem Islam zu tun?’», zählt Adıgüzel auf.

Raum für Moschee gesucht

Was den Raum der neuen Moschee betrifft, gibt Adıgüzel sich bedeckt: Anfragen im Raum Bern und Zürich seien am Laufen. Man habe auch Kirchen angefragt, von der Kirche offener St. Jakob in Zürich habe man aus Platzgründen eine Absage erhalten.

Wie gross das Bedürfnis nach einer solch offenen Moschee ist, kann Adıgüzel schwer abschätzen. Er geht von unter 1000 Personen aus. «Wir sind aktuell eine kleine Gruppe», gibt er zu. Er erwähnt aber Interessenbekundungen von Muslimen, die noch nie in einer Moschee waren. Die Zeit werde zeigen, wie gross die Zahl der Interessierten tatsächlich sei.

Negative Reaktionen seitens konservativer Muslime habe er bisher nicht erhalten. «Wir würden auf diese Leute zugehen, weil wir Ängste abbauen möchten.» Dies gelte auch für Christen, mit denen sie eine friedliche Auseinandersetzung suchten, so Adıgüzel, der selber beim interreligiösen Gebet der Haldenkirche St. Gallen mitwirkt.

Kerem Adigüzel | © zVg
13. August 2017 | 16:50
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Islamwissenschaftler sehen Bedürfnis nach offener Moschee

Laut Einschätzungen von Islamwissenschaftlern ist das Bedürfnis nach einer solchen Moschee unter Muslimen in der Schweiz durchaus vorhanden. Gemäss Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler an der Universität Bern kann eine solche offene Moschee unter den Musliminnen und Muslimen in der Schweiz «durchaus gemeinschaftsbildend» wirken. Er gibt allerdings zu bedenken, dass für die Mehrheit der Muslime die bestehenden Gemeinden wichtig bleiben, weil sie deren Bedürfnis nach sprachlich-ethnischer Solidarität entgegenkämen. «Erst wenn es einer progressiven Moschee-Gemeinde gelingt, auch dieses Solidaritätsbedürfnis anzusprechen, darf erwartet werden, dass sie sich zu einer Gemeinde von nennenswerter Grösse entwickelt.»

Auch Jürgen Endres von der Universität Luzern hält das Bedürfnis nach einer solchen Moschee derzeit für eher klein, deswegen jedoch nicht unbedeutend. Er hält es für möglich, dass sich mit einer solch offenen Moschee zu einer weiteren institutionalisierten Stimme mehr im innerislamischen Diskurs der Schweiz würde. (sys)