Armenienreise des Papstes 2016. Hier zusammen mit Katholikos Karekin II.
Vatikan

Die «Genozid»-Aussage des Papstes in Armenien verärgert Ankara

Rom, 28.6.16 (kath.ch) Es ist eine bittere Ironie, dass das zentrale Wappensymbol Armeniens, der Berg Ararat, auf türkischem Gebiet liegt. Im Rückblick auf die Papstreise in die Kaukasusrepublik scheint es, als sei auch deren zentrales Thema in der Türkei angesiedelt: Nichts beherrschte den Besuch von Franziskus am vergangenen Wochenende so sehr wie die Frage der Armenien-Massaker im Osmanischen Reich. Wie es aussieht, wird der Heilige Stuhl bei der Nachbereitung der Reise mehr mit Ankara als mit Eriwan zu tun haben.

Burkhard Jürgens

Der Vatikan bemühte sich im Vorfeld, die Völkermord-Debatte nicht aufkochen zu lassen. Angesichts wiederholter Nachfragen, ob Franziskus in Armenien das Wort «Genozid» verwenden werde, hatte Pressesprecher Federico Lombardi schon leicht genervt von einer «Obsession» gesprochen. Die historischen Fakten seien hinreichend bekannt, sagte er wenige Tage vor der Reise. Er verwies auch darauf, dass Franziskus den Begriff ja bereits bei einer Gedenkmesse im April 2015 gebrauchte.

Damals zitierte er Johannes Paul II. (1978-2005). Dieser hatte 2001 während seines Armenien-Besuchs in einer Erklärung mit dem armenisch-apostolischen Katholikos Karekin II. bekundet: «Die Ermordung von eineinhalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird.» Allein wegen des Zitats bestellte Ankara vergangenes Jahr den Nuntius ein und zog seinen Botschafter ab, Präsident Recep Tayyip Erdogan schalt die Predigt als «Unsinn».

Jetzt verwendete Franziskus das Reizwort abermals. Sein Skript für die Rede im Präsidentenpalast von Eriwan sah folgende Formulierung vor: »Diese Tragödie eröffnete leider die traurige Reihe der entsetzlichen Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts.» Hinter «Tragödie» fügte Franziskus ein: »dieser Genozid». Medienvertreter im Pressezentrum applaudierten, das Wort wurde noch am Freitagabend zur Nachricht in armenischen und türkischen Medien.

Ein bisschen hatte Armeniens Präsident Sersch Sargsjan den Papst in die Richtung gedrängt. Pointiert nannte er in seinem Grusswort die Gedenkmesse vom April 2015 einen «Triumph der Gerechtigkeit»: Aus dem Herzen der katholischen Welt sei die Klarstellung ergangen, «dass die ersten Massengräuel der Menschheit, der armenische Genozid, eine historische Tatsache und unleugbare Wirklichkeit ist».

Der Papst «kannte kein anderes Wort»

Franziskus liess sich offenbar von der Dynamik des Augenblicks mitnehmen. Auf dem Rückflug von Armenien erklärte er, in Argentinien habe man immer selbstverständlich von einem «armenischen Genozid» gesprochen. «Ich kannte kein anderes Wort», so Franziskus. In Eriwan, angesichts des Duktus der Präsidentenrede und des Umstands, dass er, Franziskus, vergangenes Jahr dieses Wort benutzt hatte, «wäre es sehr merkwürdig gewesen, es nicht auch selbst zu sagen».

Der Papst betonte vor den mitreisenden Journalisten auch, ihm sei es um etwas anderes gegangen als um eine Schuldzuweisung an die Türkei. Erstens, so Franziskus, habe er immer von «den drei Völkermorden» gesprochen – dem armenischen, dem Holocaust und Stalins Massenvernichtung in der Ukraine -, und zweitens wollte er nach eigenen Angaben an die Verantwortung der Weltgemeinschaft erinnern: In allen drei Fällen hätten «die Grossmächte weggeschaut – das war die Anklage».

Vorwurf aus der Türkei: Kreuzzugmentalität

In Ankara hörte man es anders. Vize-Ministerpräsident Nurettin Canikli nannte die Äusserung des Papstes «sehr unglücklich» und sprach von «Kreuzzugmentalität». Der Vatikansprecher hielt dagegen: «Der Papst versucht nicht Kriege zu organisieren, sondern Frieden zu schaffen», beteuerte Lombardi. Ihm gehe es darum, «Brücken zu bauen und keine Mauern».

In der Tat rief Franziskus bei einem Friedensgebet in Eriwan zu Versöhnung zwischen Armeniern und Türken auf, ebenso zu Frieden in Berg-Karabach. Wie klar das bei den Nachbarstaaten ankam, steht dahin. Während der Feier thronten die Kirchenoberhäupter vor einer Foto-Kulisse des Ararat, und zum Schluss gossen beide einen jungen Weinstock, der in Erde aus der der armenischen Diaspora gepflanzt war. Wer böse wollte, konnte darin Gebietsansprüche sehen.

Auf dem Rückweg beteuerte Franziskus, er habe das Genozid-Wort «nie in verletzender Absicht gesagt». Tags darauf mutmassten Medien, der Geschäftsführer der Nuntiatur in der Türkei könne bald ins Aussenministerium einbestellt werden. «Recht zum Protest haben wir alle», hatte Franziskus noch im Flieger gesagt; er bezog sich auf den letzten Zwist mit Ankara nach seiner Völkermord-Aussage 2015. (cic)

Armenienreise des Papstes 2016. Hier zusammen mit Katholikos Karekin II. | © Keystone
28. Juni 2016 | 16:01
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