Weihe von Elisabeth Vaterodt (rechts) am 21. Mai 2016 zur Äbtissin des 
Zisterzienserinnenklosters Marienthal in Ostritz.
Schweiz

Frage, ob ein Laie Generalvikar werden kann, wird konkret

In Bolivien steht einem Bischof eine Generalvikarin zur Seite, sagt die Ordensfrau Birgit Weiler. Der Kirchenrechter Urs Brosi begrüsst diese Entwicklung. Die Frage, ob ein Laie Generalvikar werden könne, werde konkret. Der deutsche Kardinal Reinhard Marx und Bischof Felix Gmür seien bereits daran, die Grenzen, welche das Kirchenrecht setze, auszuloten.

Georges Scherrer

Diese Frage ist kirchenrechtlich nicht neu, sagt Brosi. Er ist Generalsekretär der Katholischen Landeskirche des Kantons Thurgau und Dozent für Kirchenrecht im Studiengang Theologie des Theologisch-pastoralen Bildungsinstituts der deutschschweizerischen Bistümer.

Urs Brosi
Urs Brosi

Unterscheidung von Weihe und Leitungsgewalt

Offenbar habe ein Bischof die bestehende Grenze des aktuellen Kirchenrechts überschritten. Konkret stelle sich darum die Frage: Können Laien Anteil an der kirchlichen Leitungsgewalt (Jurisdiktion) haben? Im Hochmittelalter begann die Kirche zwischen einer Gewalt, die sich von der Weihe herleitet, und einer zweiten Gewalt, der «Leitungsgewalt», zu unterscheiden. Letztere wird nicht durch ein Sakrament, sondern durch eine Beauftragung, insbesondere durch ein kirchliches Amt verliehen.

Die Frage, ob auch Laien diese Leitungsgewalt erhalten und ausüben können, habe die Kirche über Jahrhunderte beschäftigt. «Sie ist also gar nicht so modern, wie wir vielleicht meinen.» Brosi weist auf die «Fürstbischöfe» hin. Diese verfügten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zum Teil über keine Priester-, geschweige denn Bischofsweihe. Sie hatten aber dennoch die Leitungsgewalt in ihren Bistümern inne.

Äbtissinnen nahmen eine bischofsähnliche Stellung ein.

Als weiteres Beispiel nennt Brosi Äbtissinnen, die selbstverständlich über keine Priesterweihe verfügten. Einige waren aber trotzdem weisungsbefugt über Priester, die in den Pfarreien der Territorial-Abtei angestellt waren, und nahmen eine bischofsähnliche Stellung ein. Diese Aussage stützt auch die Historikerin Annalena Müller. In einem Gespräch mit kath.ch wies sie darauf hin, dass Frauenklöster wirtschaftlich, juristisch und politisch unabhänig und sehr einflussreich waren.

Stellvertreter des Bischofs

Auf dieser Grundlage argumentierte ein Kirchenrechtler im 19. Jahrhunderts, dass jemand als Generalvikar eingesetzt werden könne, auch wenn diese Person nicht zum Priester geweiht worden sei. Der Generalvikar leite die Diözese stellvertretend für den Bischof im Verwaltungsbereich, ein Weihbischof kümmere sich derweil um die sakramentalen Aufgaben, welche einem Bischof vorbehalten seien. Nicht aus kirchenrechtlichen Gründen, sondern nur um der Würde des Amts willen, sei es angemessen, dass der Generalvikar Priester sei.

Das Konzil schränkte den Spielraum für Laien ein.

Diesen Freiraum hat die katholische Kirche jedoch in den letzten hundert Jahren zurückgesetzt. Die Frage der Laien in höheren kirchlichen Funktionen sei am Zweiten Vatikanischen Konzil am Rande diskutiert worden. Das Konzil neigte dazu, die Unterscheidung zwischen Weihe- und Leitungsgewalt aufzugeben und in der Folge den Spielraum für die Laien einzuschränken. Papst Johannes Paul II. zeigte sich in der Sache «sehr restriktiv».

"Dei verbum" ist eine der vier Konstitutionen des Zweiten Vatikanischen Konzils.
"Dei verbum" ist eine der vier Konstitutionen des Zweiten Vatikanischen Konzils.

«Das Ergebnis ist aber nicht eindeutig», sagt Brosi. Die Kommission zur Reform des «Codex Iuris Canonici», des Kirchengesetzbuchs, habe sich nach dem Konzil der Sache angenommen. Die Stellung der Laien sei zu einer «viel diskutierten Schlüsselfrage» geworden. Sie habe ihre Spuren im Kirchenrecht hinterlassen, so Brosi.

Mehr Rechte bei Priestermangel

Bereits in den 1970er Jahren führten Laien in Afrika, Ozeanien oder Lateinamerika katholische Gemeinden. Die Reformkommission hat verschiedene Sonderrechte aus dem früheren Missionsrecht in den neuen Codex aufgenommen. Bei Priestermangel darf der Bischof den Laien mehr Rechte gewähren.

Auch in einem kirchlichen Gericht dürfen Laien wirken.

Auch dürfen in einem kirchlichen Kollegialgericht Laien als Richterinnen und Richter wirken; früher durfte maximal einer von drei Richtern Laie sein (Kanon 1421, Paragraph 2), seit Papst Franziskus muss nur noch der vorsitzende Richter Priester sein, die Übrigen dürfen Laien sein (Kanon 1673, Paragraph 3).

Dennoch behauptet das geltende Kirchenrecht, dass Laien nicht Träger von Leitungsgewalt sein könnten. Die grundlegenden Normen über die Leitungsgewalt und die konkreten Bestimmungen zu einzelnen Aufgaben und Ämtern, die Laien übernehmen dürfen, passen also nicht zusammen.

Einsatz und Dienst von Frauen anerkennen

Die ambivalente Situation hat vermutlich vierzig Bischöfe aus Südamerika ermutigt, am vergangenen Wochenende in Rom in Erinnerung an den «Katakomben-Pakt» eine Vereinbarung zu schliessen. Darin verpflichten sie sich unter anderem, den vielfältigen Einsatz und Dienst von Frauen, die Gemeinschaften in Amazonien leiten, anzuerkennen. Daher wollen die Bischöfe Frauen, die eine Dorfgemeinschaft und Gemeinde de facto leiten, «mit angemessenen Diensten und Ämtern stärken».

Diese Bestimmung lässt aufhorchen.

So fern ist das, was im Amazonas-Gebiet geschieht, nicht von Gepflogenheiten, wie sie in Deutschland oder der Schweiz bekannt sind. Der Präsident der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat das Generalvikariat der Erzdiözese München-Freising neu bestellt. Eine Bestimmung lässt aufhorchen.

Generalvikar und Amtschefin

Christoph Klingan wird neuer Generalvikar des Erzbischofs von München und Freising. Er wird sein Amt am kommenden 1. Januar gemeinsam mit Stephanie Herrmann antreten. Sie wird Amtschefin im Ordinariat. So weit so gut, wird man sagen. Des Generalvikars Befugnisse gegenüber der Amtschefin sind jedoch eingeschränkt.

Seelsorgerin
Seelsorgerin

«Die Neuordnung sieht vor», schreibt das bayrische Bistum, «dass der Generalvikar künftig zwar eine dienstliche Aufsicht über die Amtschefin ausübt, in Fragen der Verwaltung aber nicht deren unmittelbarer Dienstvorgesetzter ist.» Bislang habe ein geweihter Priester im Amt des Generalvikars als allgemeiner Vertreter des Erzbischofs auch als oberster Chef des Erzbischöflichen Ordinariats gewirkt. «Diese damit verbundenen Aufgaben und Funktionen sind nun fortan mit der neuen Struktur neu geordnet», betont das Bistum.

Das Bistum Basel kennt Frauen in der Regionalleitung.

Das Bistum Basel ist in drei Bistumsregionen eingeteilt. Diese Einheiten werden von einem Bischofsvikar geführt. Ihm zur Seite stehen Theologinnen und Theologen ohne Priesterweihe, vorzugsweise Frauen, verfügte der Basler Bischof Felix Gmür. Der Bischofsvikar und die Regionalverantwortlichen vertreten den Bischof in der jeweiligen Bistumsregion, heisst es im Aufgabenheft des Bistums.

Auch Verwaltungserfahrung verlangt

Kirchenrechtlich handeln der bolivianische Bischof, Kardinal Marx, der Basler Bischof Felix Gmür und die vierzig südamerikanischen Bischöfe nicht ausserhalb der Regeln, welche das Kirchenrecht setzt, sagt Urs Brosi. In Kanon 478, Paragraph 1, steht, dass ein Generalvikar und Bischofsvikar Priester sein müssen. Der Passus nennt aber als Anforderung auch «praktische Verwaltungserfahrung». Heute werde es jedoch aufgrund des Priestermangels immer schwieriger, einen Priester zu finden, der diese Auflage erfülle.

Zusammenfassend erklärt Brosi: Der Druck auf die Kirche, Frauen besser in Leitungsfunktionen einzubinden, wächst. Seiner Ansicht nach loten der bolivianische Bischof, die vierzig Bischöfe aus Lateinamerika und sowie Marx und Gmür aus, inwieweit ihnen das Kirchenrecht gestattet, bei der Einbindung von ungeweihten Männern und Frauen in kirchliche Führungsaufgaben zu gehen.

Beitrag zum Thema in der «Herder Korrespondenz»

Weihe von Elisabeth Vaterodt (rechts) am 21. Mai 2016 zur Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters Marienthal in Ostritz. | © KNA
23. Oktober 2019 | 10:47
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