Die Arche Noah rettete alle Tiere – die Religionen pflücken einzelne heraus

Zürich/Chur, 23.8.17 (kath.ch) Die Arche Noah rettete alle Tier-Arten. Aber nur auserlesene Tiere geniessen in den Religionen einen besonderen Status. Zu diesem Widerspruch nehmen ein Zoodirektor und ein Theologe Stellung. Ein Beitrag der Sommerserie «tierisch heilig».

Georges Scherrer

Heilige Tiere gibt es in vielen Religionen, sagt Christian Cebulj, Professor für Religionspädagogik und Katechetik an der Theologischen Hochschule in Chur (THC). Er nennt zwei Gründe, warum Tiere eine religiöse Bedeutung haben: «Einerseits sind sie Spiegel der Seele des Menschen, andererseits stellen sie eine Brücke zwischen Gott und Mensch her.»

In den verschiedenen Religionen haben einzelne Tiergattung eine besondere Bedeutung. Cebulj nennt einige Bespiele. Die Ägypter verehrten den Himmelsgott Horus als Falke, den Totengott Anubis als Schakal und die Göttin Sachmet als Löwin. Dies seien gefährliche und unberechenbare Tiere, betont der Rektor der THC. Die Menschen der Antike hatten Angst vor diesen Tieren, aber besänftigten sie rituell im Rahmen der kultischen Verehrung.

Tradition und Transzendenz

Die Hindus halten bis heute heilige Kühe und Elefanten, den heiligen Affen Hanuman, heilige Ratten und den elefantenköpfigen Gott Ganesha. Diese Verehrung gehe auf das indische National-Epos «Ramayana»  zurück, wo sie als Erzählfiguren auftreten. Die mythologischen Erzählungen wurden über Generationen weitergetragen, weil diese Tiere als weise und als hilfreiche Gefährten des Menschen angesehen wurden. Daher gelten sie den Hindus als heilig und müssen geschützt werden.

Wir verehren aber diese Tiere nicht, deshalb sind sie auch nicht heilig.

Schaue man sich den Beginn der jüdisch-christlichen Religion an, dann kämen zwar in der Bibel zahlreiche Tiere vor. «Wir verehren aber diese Tiere nicht, deshalb sind sie auch nicht heilig», betont Cebulj. Vielmehr sei die Symbolik der Tiere wichtig. In den Psalmen gibt es Vergleiche mit Löwen, Tigern und Panthern. Dies sei als Ausdruck des menschlichen Wunschs zu verstehen, ebenso schnell und stark zu sein. Im Buch Genesis ist die Schlange das Symbol der Versuchung. Sie steht zugleich für Weisheit wie für Bosheit.

Der Mensch wählt Tiere aus

Einen etwas anderen Zugang zu den Tieren hat der Direktor des Zoos Zürich. In einem Zoo stelle sich die Frage nicht, ob ein Tier mehr wert und somit «heilig» sei. «Unsere Tierpfleger kümmern sich nach bestem Wissen und Gewissen um alle Tiere, ob Gespensterschrecke oder Tiger», erklärt Alex Rübel gegenüber kath.ch. Eine höhere Wertschätzung beim Menschen können ein Tier jedoch haben, wenn dieses einen Dienst erfülle.

Die Natur kennt keine besonderen Tiere.

In verschiedenen Kulturen habe der Mensch die Vorstellung, dass man als Tier «aufersteht». Andere Tiere haben wie die Taube im Christentum eine symbolische Bedeutung. «Diese Bedeutungen werden ihnen aber ganz vom Menschen zugeteilt. Die Natur kennt keine besonderen Tiere», bemerkt Alex Rübel. Es sei menschlich vermessen, einzelne Tierarten in irgendeiner Weise über andere zu setzen. «In der Natur hat jedes Lebewesen seinen Platz und kann ihn trotz den Menschen hoffentlich halten.»

Die Arche Noah

Berühmt ist die Geschichte von der Arche Noah. Noah wählte nicht gemäss religiösen Vorgaben einzelne Tiere aus, die er vor der Sintflut retten wollte, sondern von jeder Tierart zwei. Darum geht folgende Frage an den Zoo-Direktor: Entspricht das biblische Bild der Arche Noah am meisten dem Umstand, dass in einem Zoo alle Tiere gleichwertig sind? «Das ist sicher ein wichtiges Bild», antwortet dieser.

Interpretiere man das «Herrschen» in der Genesis auch mehr als «Sorgen für» (Moses 1,28), wie das im hebräischen Text auch gesehen werden könne, gebe es ein treffendes Bild. Der Direktor des Zoos Zürich meint zusammenfassend: Statt Tiere zu Heiligen zu machen, «erwarte ich von den Menschen etwas mehr Demut vor den Wundern der Natur.»

So wie Mensch und Tier in der Sintflut zugrunde gehen, werden sie gemeinsam vor der Flut gerettet.

Diesen Wunsch äussert auch der Rektor der THC. Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier schwanke in der Bibel zwischen einem Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis und der Tatsache, dass beide aufeinander angewiesen seien. Gemäss Cebulj wurde der Auftrag «Macht euch die Erde untertan» in der ersten biblischen Schöpfungsgeschichte im Lauf der Geschichte gründlich missverstanden.

Ein neues Verhältnis zu Tieren

Er sei als Freibrief für den Menschen angesehen worden, die Tier- und Pflanzenwelt auszubeuten. «Dabei geht es in den Schöpfungsgeschichten gerade nicht um gewaltsame Herrschaft, sondern um die Sorge für einen gemeinsamen Lebensraum von Mensch und Tier», warnt der Theologe.

In den Schöpfungsgeschichten geht es um die Sorge für einen gemeinsamen Lebensraum von Mensch und Tier.

Die Erzählung von der Arche Noah nennt Cebulj eine Spiegel-Geschichte zur Schöpfungserzählung. Gott schaffte die Tierwelt als einen Teil des bewohnbaren Kosmos, in den hinein Adam, «der Erdling», gesetzt wurde. Landtiere und Mensch gehörten eng zusammen. Sie wurden beide am 6. Schöpfungstag erschaffen. Und so wie Mensch und Tier in der Sintflut zugrunde gehen, werden sie gemeinsam vor der Flut gerettet.

«Ich meine, wir brauchen keine Heiligsprechung von Tieren, sondern ein neues Verhältnis zu ihnen.» Einerseits seien die Tiere dem Menschen zugewiesen, andererseits hätten sie ihre eigene Existenzberechtigung und Würde. Zu einem christlichen Engagement für die Bewahrung der Schöpfung zähle deshalb auch der natürliche Umgang mit Tieren.

Das Tier am Ende der Tage

Dieser beinhalte, «dass wir die Tiere artgerecht leben lassen und sie nicht zum teuren Hobby und zu Objekten menschlicher Verhätschelung machen». Er habe keinerlei Verständnis dafür, dass jeden Tag überall auf dem Globus Kinder an Unterernährung sterben, während in Europa «Riesensummen für den Hundecoiffeur und hochwertiges Bio-Katzenfutter ausgegeben werden».

Sowohl der Jesuit Teilhard de Chardin als auch der reformierte Theologe Leonhard Ragaz hätten in ihre Vorstellungen vom Reich Gottes am Ende der Tage die Tierwelt explizit einbezogen. Vielleicht werde im Reich Gottes dann Friede herrschen zwischen Mensch und Tier beziehungsweise zwischen Tier und Tier, wie es schon beim Propheten Jesaja heisst: «Dann liegen Kalb und Löwe beieinander und der Säugling spielt am Schlupfloch der Natter…» (Jes 11,9). Und Cebulj schliesst: «Von dieser Weisheit der Tiere können wir lernen.»

Alex Rübel | © zVg
23. August 2017 | 14:35
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