Im Berner Münster entsteht ein Lichtkreuz für den Frieden.
Schweiz

«Der radikale Friedenswunsch ist jesuanisch»: Wie unpolitisch muss ein Friedensgebet sein?

Es soll ein Friedensgebet werden, das Solidarität mit den Menschen in der Ukraine ausdrückt. Aber es soll nicht zu politisch werden. «Das ist ein Drahtseilakt», sagt der Walliser Generalvikar Pierre-Yves Maillard über das nationale Friedensgebet. Die AGCK habe gute liturgische Vorschläge erarbeitet. Mit diesen könnten die Pfarreien in der ganzen Schweiz auch noch kurzfristig ein Gebet organisieren.

Annalena Müller

Am Freitag sollen in der gesamten Schweiz um 8.55 Uhr die Glocken läuten. Um 9 Uhr folgt eine landesweite Schweigeminute. Was sollen Pfarreien machen, bei denen um 9 Uhr eigentlich die Werktagsmesse beginnt?

Pierre-Yves Maillard*: Das können die Pfarreien vor Ort am besten entscheiden. Wichtig ist nicht, wann wir beten, sondern dass wir für den Frieden beten. 

Generalvikar Pierre-Yves Maillard
Generalvikar Pierre-Yves Maillard

Die AGCK hat ein Liturgieprogramm für Freitag ausgearbeitet. An wen richtet sich dieses?

Maillard: An alle Christinnen und Christen. Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK.CH) arbeitet dezidiert ökumenisch: Hier kommen Vertreterinnen und Vertreter der katholischen, reformierten, christkatholischen, freikirchlichen und auch orthodoxen Kirchen zusammen. Es war uns wichtig, einen liturgischen Ablauf zu gestalten, der für alle nutzbar ist. Wir laden alle Pfarreien und alle Gemeinschaften in der Schweiz ein, am Jahrestag des Krieges Gebetswachen zu halten. Wir wünschen uns, dass alle für den Frieden beten. 

Für den Frieden in der Ukraine: Schwester Christa Haslimann zündet im April 2022 in Einsiedeln eine Kerze mit Ölzweig-Motiv.
Für den Frieden in der Ukraine: Schwester Christa Haslimann zündet im April 2022 in Einsiedeln eine Kerze mit Ölzweig-Motiv.

Manche Pfarreien scheinen überfordert zu sein. Können diese noch kurzfristig einen Gottesdienst stemmen?

Maillard: Das wäre schön. Wir von der AGCK haben eine liturgische Vorlage erarbeitet, die einfach und kurzfristig umsetzbar ist. Verschiedene Liedtexte und Gebete können auf der Website heruntergeladen werden. Die Gemeinden können auch den liturgischen Ablauf nehmen, den wir für die grosse Feier im Berner Münster festgelegt haben. Und wenn jetzt eine katholische Pfarrei sagt: Wir möchten keinen Extra-Gottesdienst machen, sondern die Elemente in die Werktagsmesse integrieren, dann geht das auch.

Wladimir Putin bekreuzigt sich in der Osternacht 2022.
Wladimir Putin bekreuzigt sich in der Osternacht 2022.

Für was beten Sie am Freitag genau? Für einen Rückzug Russlands aus der Ukraine?

Maillard: Wir beten für den Frieden – ohne politisch Stellung zu beziehen. Es liegt nicht an uns zu sagen, wer Recht hat und wer im Unrecht ist. Es geht darum, den Frieden zu erbitten. Und genau das wollen wir am Freitag tun, wenn wir die Welt zum Gebet einladen.

«Das zentrale Motiv sind die Friedensgebete.»

Die zentrale Veranstaltung findet um 16 Uhr im Berner Münster statt. Wie wird sie ablaufen?

Maillard: Das zentrale Motiv sind die Friedensgebete. Dies wird zweisprachig auf deutsch und französisch geschehen. Wir werden Lieder von Taizé singen und in einer Schweigeminute den vielen Opfern des Krieges gedenken. Auch symbolische Gesten sind geplant. So werden Kerzen in der Form eines Kreuzes aufgestellt und entzündet werden.

Bischof Joseph Bonnemain
Bischof Joseph Bonnemain

Haben Sie die Botschafter der Ukraine und Russlands eingeladen?

Maillard: Alle, die kommen möchten, sind herzlich willkommen. Auch die Botschafterinnen und Botschafter. Aber wir haben bewusst darauf verzichtet, politische Repräsentanten einzuladen. Von den Landeskirchen werden Bischof Joseph Bonnemain, die reformierte Präsidentin Rita Famos und der christkatholische Bischof Harald Rein anwesend sein.

Nazar Zatorskyy
Nazar Zatorskyy

Sind auch ukrainische und russische Priester anwesend?

Maillard: Ja. Zum Beispiel Nazar Zatorskyy. Er ist Ukrainer und Priester der griechisch-katholischen Kirche, die mit Rom uniert ist. Von der russisch-orthodoxen Kirche wird Vladimir Svystun kommen. Er stammt aus der Ukraine. Die griechisch-orthodoxe Kirche ist mit Stefanos Athanasiou vertreten.

Wer ist Vladimir Svystun?

Der Priester Vladimir Svystun stammt aus der Ukraine. Er gehört der russisch-orthodoxen Kirche im Ausland an, einer selbstverwalteten Kirche innerhalb des Patriarchats von Moskau mit Sitz in New York. Russinnen und Russen im Exil haben die Kirche nach der Oktoberrevolution gegründet. 2007 fand die Wiedervereinigung mit Moskau statt.

Wegen Kyrills Nähe zum Kriegstreiber Putin verzichten manche russisch-orthodoxe Priester darauf, den Moskauer Patriarchen Kyrill im Hochgebet zu nennen. Vladimir Svystun sagte zu kath.ch, er erwähne nach wie vor Kyrill im Hochgebet. (rr)

Wie ist es Ihnen gelungen, religiöse Vertreter der beiden Kriegspartien zu gewinnen?

Maillard: Indem wir die Veranstaltung strikt religiös und bewusst apolitisch ausrichten. Ausser Nationalratspräsident Martin Candinas, der am Anfang die Anwesenden begrüssen wird, wird kein Politiker sprechen. Wir wollen am Freitag gemeinsam für den Frieden beten – ohne zu sagen, wer genau für den russischen Angriffskrieg verantwortlich ist. Und auf Frieden können sich alle einigen.

Ende und Aufbruch, Tod und Leben in einem Bild: Ein Foto im "Russian Warcrimes House" in Davos.
Ende und Aufbruch, Tod und Leben in einem Bild: Ein Foto im "Russian Warcrimes House" in Davos.

Kann eine solche Veranstaltung wirklich apolitisch sein? Russland führt einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine und ist für Kriegsverbrechen verantwortlich.

Maillard: Sicher, es gibt einen Aggressor und ein überfallenes Land. Der Konflikt hat in der politischen Welt begonnen. Und mit den Mitteln der Politik muss er beendet werden. Irgendwann muss es Verhandlungen geben. Aber es steht uns nicht an, zu sagen, auf welcher Grundlage diese Verhandlungslösung gefunden werden muss. Wir können nur beten, dass es bald zum Frieden kommt. Wir wollen zu Gott beten, dass es irgendwo in diesem Konflikt einen Raum für die Sehnsucht nach Frieden gibt. Einen Raum für die Stille inmitten des Lärms der Waffen. Dass es irgendwo in diesem Konflikt einen Raum gibt, um dem anderen zuzuhören, sich in die Lage des anderen zu versetzen und zu versuchen, ihn zu verstehen. Die Sehnsucht nach Frieden ist der einzige Weg, wo das Leben und die Hoffnung möglich sind. Damit folgen wir dem gleichen Pfad, den auch Papst Franziskus geht.

Papst Franziskus hält eine ukrainische Fahne, die er aus dem ukrainischen Ort Butscha erhalten hat.
Papst Franziskus hält eine ukrainische Fahne, die er aus dem ukrainischen Ort Butscha erhalten hat.

Aktuell stehen die Zeichen eher auf Eskalation…

Maillard: Die Gewalt muss aufhören. Als Christinnen und Christen warnen wir vor jeglicher Eskalation. Und entsprechend auch vor Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet. Das ist nicht politisch. Der radikale Friedenswunsch ist vielmehr jesuanisch.

* Pierre-Yves Maillard ist Priester des Bistums Sitten und Generalvikar für den französischsprechenden Teil der Diözese. Er engagiert sich in der AGCK.CH.


Im Berner Münster entsteht ein Lichtkreuz für den Frieden. | © Gunda Brüske
23. Februar 2023 | 06:21
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