Schwester Christiane Jungo: Ihr Lieblingsort auf dem Klosterhügel ist die Krypta.
Schweiz

«Der Klosterhügel bei Brunnen wird immer ein Kraftort sein»

23.4.18 (kath.ch) Am vergangenen Samstag fand im Kloster Ingenbohl in Brunnen (SZ) ein gut besuchtes Podium zum Thema «Veränderung als Chance» statt. Es ging um die Geschichte des Klosters und die anstehenden baulichen Veränderungen. Christiane Jungo, in der Gemeinschaft für die Klosterführungen verantwortlich, spricht im Interview über bewegte Zeiten in diesem Kloster.

Vera Rüttimann

Schwester Christiane, in wenigen Tagen tauchen auf dem Klosterhügel in Ingenbohl Bagger auf. Welche baulichen Veränderungen kommen auf das Kloster zu?

Christiane Jungo: In der Tat stehen auf dem Klosterhügel Veränderungen an. Im eigentlich geschlossenen Teil des Klosters gehen mittlerweile viele weltliche Mitarbeitenden ein und aus. Wir möchten jedoch wieder einen Ort haben, wo wir für uns sein können. Das heisst nicht, dass wir uns verschliessen möchten.

Die zweite grosse Neuerung wird der Rückbau des Alters- und Pflegeheims St. Josef sein, der den heutigen Anforderungen nicht mehr genügt. An seiner Stelle wird ein Alterszentrum errichtet. Ein Architekturwettbewerb ist in Vorbereitung. Durch den Rückbau wird eine Parkanlage entstehen und das Kloster wird wieder mehr sichtbar sein. Weiter wird die Verwaltung voraussichtlich ins nicht mehr voll genutzte Exerzitienhaus ziehen. Zudem wird der Verkehr künftig um den Hügel herumgeleitet. Schliesslich wird es einen Liftturm geben, der die Leute direkt zur Krypta und ins Café fährt.

Wie geht die Ordensgemeinschaft mit diesen Veränderungen um?

Jungo: Erst einmal war da ein grosses Staunen über den Mut unserer leitenden Mitschwestern, dass sie in der jetzigen Zeit solche Bauvorhaben an die Hand nehmen. Auf der anderen Seite war auch die Frage: Übernehmen wir uns nicht? Veränderungen aber gehören zur Geschichte unseres 160 Jahre alten Klosters.

Da war ein grosses Staunen über den Mut unserer leitenden Mitschwestern.

Jede Generation hat sich diesen Veränderungen nicht verschlossen, sondern mutig gestellt. Die Geschichte dieses Ortes zeigt: Daraus sind meist mehr Möglichkeiten und Chancen entstanden. Zudem werden wir stets konfrontiert mit dem Leitwort unseres Gründers Pater Theodosius, der sagte: «Das Bedürfnis der Zeit ist der Wille Gottes.»

Sie haben im Kloster Ingenbohl schon früh stürmische Zeiten erlebt.

Jungo: Ja! Das begann schon 1964, dem Jahr meiner Profess, als sich mit dem Konzil grosse Veränderungen in der Kirche anbahnten. Das Konzil hatte auch für uns Schwestern Auswirkungen. Plötzlich war das Mitspracherecht der einzelnen Schwester ausdrücklich erwünscht. Es herrschte eine unglaubliche Freude am Mitreden und Mitgestalten. Schwestern begannen, den Gottesdienst selber zu gestalten und wurden in Synoden und Pfarreiräte gewählt. Es wurde ein ganz neues und bewegtes Leben für uns möglich.

Allerdings gingen die Eintrittszahlen seit dem Konzil wider Erwarten kräftig zurück. 

Jungo: Ja. Seit drei Jahrzehnten erlebe ich gewisse Konzentrationsprozesse. Eigentumshäuser des Klosters wurden in Stiftungen und Aktiengesellschaften umgewandelt. Ein Beispiel ist das Theresianum, das seit 1997 unter einer Stiftung geführt wird. Zwischen der Mutterprovinz Schweiz und der Provinz Westschweiz gibt es Bestrebungen, sich zusammen zu schliessen.

Plötzlich war das Mitspracherecht der einzelnen Schwester ausdrücklich erwünscht.

Ich erlebte weiter mit, wie sich im Laufe der Zeit auch unsere Arbeitseinsätze veränderten. Wir sind nicht mehr nur in der Pflege und in der Bildung tätig, sondern engagieren uns auch in Projekten wie etwa im «Frauenhaus» in Allschwil, das für Frauen und Mütter in Not da ist. Weltweit engagieren wir uns gegen Frauenhandel, für Menschenwürde.

Stürmisch wurde es auch im Jahr 2010, als gegen die Schwestern schwere Vorwürfe bezüglich ihrer Betreuungstätigkeiten in Kinderheim in den Jahren 1930 bis 1970 erhoben wurden. Wie gingen Sie damit um?

Jungo: Es war eine schwere und schmerzliche Zeit für die einzelnen Schwestern und die ganze Gemeinschaft. Wir wurden unerwartet getroffen von diesen Vorwürfen. Ich will nichts beschönigen: Unter den Hunderten von Schwestern, die im Laufe der 160 Jahre in den Kinderheimen gearbeitet haben, sind nicht alle immer pädagogisch geschickt vorgegangen. Auch die Vorstellungen von Erziehung haben sich seither grundlegend gewandelt. Es tut uns sehr leid, dass Menschen gelitten haben unter Schwestern und dass sie das erst Jahrzehnte später zum Ausdruck bringen konnten. Durch die Art und Weise, wie diese Vorwürfe in der Öffentlichkeit behandelt wurden, habe ich mich persönlich zutiefst verletzt gefühlt, weil es meine Gemeinschaft ist. Für mich ist sie wie meine Familie.

Der Strom an Gästen, die das Kloster Ingenbohl besuchen, ist dennoch ungebrochen. Was sind das für Leute, die heute das Kloster Ingenbohl besuchen und was bieten sie ihnen?

Jungo: Weil wir nicht mehr so sichtbar sind in den Dörfern und Städten, haben wir hier auf dem Hügel unser Angebot ausgeweitet: Regelmässig findet hier ein Pilgergottesdienst statt. Im Pilgerdienst arbeiten acht Schwestern, die Briefe und Mails beantworten und für persönliche Gespräche da sind. Wir bieten weiter Ferien an für Familien mit Kindern. Wir haben das Angebot «Kloster auf Zeit». Es gibt zudem einen Klosterkreis, in dem interessierte Frauen mit uns ein Stück Weg spirituell gehen können. Der Klosterkreis ist wie ein erweitertes Kloster.

Wir hatten hier auch schon eine hinduistische Beerdigungsliturgie.

Auch in unserer Klosterkirche wird nicht nur gebetet und gesungen. Jährlich findet hier die Vereidigung neuer Polizisten statt, weil sie das Ambiente der Klosterkirche schätzen. Wir hatten hier auch schon eine hinduistische Beerdigungsliturgie. Unser katholisches Denken ist in den vergangenen Jahren wahrlich weiter geworden. Im Kloster finden auch Weiterbildungen statt unter anderem für Mitarbeitende von Spitälern und Pflegeeinrichtungen.

Haben die Gespräche zugenommen?

Jungo: Ja. Mit Seniorinnen hatte ich unlängst ein spezielles Erlebnis: Einige der Frauen waren neu in einem Altersheim. Sie wollten wissen, wie das ist, mit Menschen zu leben, die man sich nicht ausgesucht hat. Da ich das schon jahrelang erlebe, konnten wir einen guten Austausch pflegen.

Wie reagieren die Besucher auf diesen Bau, der von 1966 bis 1973 im  Stil von «art brut» errichtet wurde?

Jungo: Viele sagen mir, dass unser Kloster aussehe wie eine Bank oder ein Versicherungsgebäude. Wenn man aber drinnen ist, staunen viele über die warme Atmosphäre. Unsere Räume sind auch geprägt von Kunstwerken von eigenen Mitschwestern. Das macht mich stolz. Auch wenn ich Gästen die Symbolik einzelner architektonischer Elemente erklären kann, öffnet sich ein ganzer Reichtum an Gedanken.

Ich trete jeweils wie in eine Wolke von Gebeten.

An welchen Orten auf dem Klosterhügel sind Sie besonders gerne?

Jungo: Natürlich nicht nur im Hügel-Cafe! Mein Lieblingsort auf dem Klosterhügel ist die Krypta mit dem Grab von unserer Mitbegründerin Maria Theresia. Seit es hierhin umgebettet wurde, kamen schon tausende Menschen mit all ihren Anliegen hier vorbei. Ich trete jeweils wie in eine Wolke von Gebeten. Auch die sechs Säulen, die einst in der alten Klosterkirche waren und jetzt die neue Klosterkirche tragen, haben für mich eine starke symbolische Kraft. Das Alte trägt das Neue – ein schöner Gedanke! Er zeigt auch: Keine Generation beginnt von vorne, jede baut auf der vorhergehenden auf.

Wie wird es hier in einigen Jahrzehnten aussehen?

Jungo: Es hat bei der Gründung dieses Ordens niemand gesagt, dass wir Jahrhunderte im Dienste der Menschen stehen müssen. Es kann sein, dass es uns eines Tages nicht mehr gibt. Auch das gehört zur Veränderung. Wenn es hier jedoch noch Schwestern auf dem Hügel gibt, werden sie sich gewiss den Bedürfnissen der Menschen der neuen Zeit zuwenden. Zudem glaube ich zutiefst, dass dieser Hügel immer ein Kraftort sein wird.

Schwester Christiane Jungo: Ihr Lieblingsort auf dem Klosterhügel ist die Krypta. | © Vera Rüttimann
23. April 2018 | 14:15
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