Pfarrer Marcel von Holzen begeistert sich für das Handläuten in seiner Kirchgemeinde in Wipkingen.
Schweiz

Der «Glöckner von Wipkingen» lässt die Glocken der Kirche von Hand läuten

Der legendäre Filmklassiker «Der Glöckner von Notre-Dame» ist weltbekannt. Ganz so viel Renommee kann Marcel von Holzen, Pfarradministrator der Zürcher Kirchgemeinden Wipkingen und Höngg, noch nicht verbuchen. Auf jeden Fall hat er das Handläuten in der Guthirt-Kirche wieder eingeführt. Zum 100-jährigen Patrozinium steht eine Seilschaft bereit.

Wolfgang Holz

«Ich möchte das Zusammenspiel von Mensch und Kult mehr betonen und wiederbeleben», erklärt der Wipkinger Pfarrer.

Pfarradministrator Marcel von Holzen schwärmt von der physischen und spirituellen Beziehung zwischen Glocke und Gläubigem. «Wenn der Klöppel anschlägt, geht der Klang durch Mark und Bein.» Die Schwingung sei in der Magengrube spürbar. «Das Handläuten ist ein äusserst sinnliches Erlebnis.»

Zum 100-jährigen Patrozinium eingeführt

Jüngst hat er das Handläuten zum 100-jährigen Patrozinium neu eingeführt. Am Samstagabend, 29. April, um 17 Uhr ist es so weit.

Die Glockenstube in der Guthirt-Kirche in Wipkingen. Die Seile fürs Handläuten wurden neu installiert.
Die Glockenstube in der Guthirt-Kirche in Wipkingen. Die Seile fürs Handläuten wurden neu installiert.

Rund zehn Personen werden sich dann in der Läutestube unterhalb des Glockenstuhls im Kirchturm der Guthirt-Kirche ans Seil hängen. So viele sind nötig, um die sechs tonnenschweren Glocken aus den 1930-er Jahren in Gang zu setzen.

Damit ihm genügend Personen für das kräfteraubend Ritual zur Verfügung stehen, hat Marcel von Holzen zuvor «Hobby-Glöckner» angeworben. Und der 52-jährige Seelsorger brauchte nicht lange warten, bis er fündig wurde.

Gilde der Glockenfans

Denn allein in der «Gilde der Carillonneure und Campanologen der Schweiz» finden sich zahlreiche Glocken-Freaks. Diese pilgern durch die Schweiz und sind auch darüber hinaus auf Tour, um ihrem Hobby, dem Glockenläuten per Hand, nachzugehen.

Insgesamt 13'807 Kilogramm wiegen die sechs Glocken im Wipkinger Glockenturm in Zürich.
Insgesamt 13'807 Kilogramm wiegen die sechs Glocken im Wipkinger Glockenturm in Zürich.

Unter den zehn Personen, die am Samstag das Wipkinger Geläut am Seil haben, zählen auch Mitglieder der Gilde, wie von Holzen verrät. «Zusätzlich beteiligen sich noch Freiwillige aus unserer Gemeinde. Zwei weitere Personen haben sich infolge der Berichterstattung im Vorfeld gemeldet.»

«Es ist wirklich ein Kraftakt.»

Marcel von Holzen, Pfarrer von Wipkingen

Die Glocken-Crew ist also fix für Samstagabend. Wobei es ziemlich anstrengend ist, die Glocke am Seil zu haben. Gute körperliche Fitness ist gefragt. «Es ist wirklich ein Kraftakt. Zehn Minuten Glockenläuten per Hand ist mit 30 Minuten Joggen durchaus vergleichbar», ist der Wipkinger Pfarrer überzeugt. Und nicht nur das. Es braucht auch Mut und Geschick.

«Denn am Ende des Geläuts muss man sich auch etwa einen Meter von der Glocke hochziehen lassen und dann abspringen. So kommt die tonnenschwere Masse der Glocken allmählich wieder zum Stillstand.» Zusätzlich brauche es robuste Handschuhe und einen guten Gehörschutz.

Erlitt Tinnitus vor 25 Jahren

Die katholische Guthirt-Kirche in Zürich-Wipkingen.
Die katholische Guthirt-Kirche in Zürich-Wipkingen.

Im Glockenturm wird es nämlich sehr laut, wie von Holzen versichert. Der Pfarrer selbst hat bei einem elektrisch geläuteten Glockenschlag in einer Betonkirche vor rund 25 Jahren einen Tinnitus erlitten. «Das knallte wie ein Kanonenschuss auf mein Gehör.» Doch inzwischen stört ihn der permanente Summton zum Glück kaum noch.

Als Theologe ist das Handläuten für Pfarrer Marcel von Holzen eine spezielle Form, eine religiöse Botschaft in die Welt zu tragen. Nicht zuletzt als kleiner Mensch, der eine grosse Masse bewegt. Dabei können auch romantische Gefühle entstehen.

«Das nutzlos Schöne»

Denn für ihn bedeutet das Handläuten so etwas wie «das nutzlos Schöne» in einer durchtechnisierten Welt, in der alles effizient sein und einen Nutzen haben muss. «Jede Glocke hat ihren ganz eigenen Klang, ihre eigene Persönlichkeit. Man spürt dies einfach.» Bevor das Handläuten losgeht wird übrigens ein Gebet gesprochen: «Mir lüüted zu Gottes Ehr, / erbittet Sege für Volk und Land / und Friede für die ganzi Welt. Amen.»

Pfarrer Marcel von Holzen
Pfarrer Marcel von Holzen

Die Wipkinger Guthirt-Kirche hat sechs bronzene Glocken im Turm: Die Guthirt-Glocke ist die grösste. Sie ist mehr als fünf Tonnen schwer. Die kleinste Glocke wird Schutzengel-Glocke genannt. Sie weist einen hellen Ton auf und verfügt über ein Gewicht von rund 600 Kilogramm. Insgesamt wiegt das Guthirt-Geläut 13’807 Kilogramm und ist das drittschwerste Geläut in der Stadt Zürich.

Nachts ruhig schlafen

Obwohl Marcel von Holzen ein Glockenfan ist, der auf der Strasse aufgrund seiner Glockenbegeisterung hin und wieder als «Glöckner von Notre-Dame» angesprochen wird, will er durch das Handläuten das Glockengeläut gewiss nicht ausdehnen.

Er findet er es völlig in Ordnung, dass es eine klare Läuteordnung gibt. «Nachts schlafe ich auch gerne ruhig. Es müssen nachts wirklich keine Glocken mehr schlagen. Wir wollen maximal zwei, drei Mal pro Jahr die Glocken bei uns mit der Hand läuten», sagt er. Und dies dann anstelle des elektrischen Läutens. «Die Läutedauer bleibt also gleich, oder nimmt – je nach Fitness der Glöckner – sogar etwas ab.» Dingdong.


Pfarrer Marcel von Holzen begeistert sich für das Handläuten in seiner Kirchgemeinde in Wipkingen. | © zVg
28. April 2023 | 15:36
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!