Früher lief im Vatikan vieles anders, aber nicht besser.
Theologie konkret

Das Zentrum der Weltkirche hat sich verschoben

Papst Franziskus will an die Ränder der Welt und nutzt das wichtigste Instrument, mit dem er das verwirklichen kann: Die Ernennung von neuen Kardinälen. Diese Ereignisse verdienen daher mehr Aufmerksamkeit. Papst Franziskus bricht dabei mit einer Tradition. Doch: es gibt zwei Probleme.

Francesco Papagni

Am 23. November 2023 meldete die katholische Nachrichtenagentur CNA, dass der US-amerikanische Bischof Christopher Coyne dem Papst raten würde, «die Kirche aus Rom herauszuholen». Damit meint er ganz handfest, der Papst solle den Hauptsitz der Kirche an einen anderen Ort verlegen, denn die Kirche sei «zu römisch». Papst Franziskus verfolgt ein solches Programm, wenn auch die Verlegung des Vatikans nicht zur Diskussion steht. Aber der Reihe nach.

Während wir noch die Bilanz der Weltsynode zu ziehen versuchen und unter dem Eindruck der verschiedenen Missbrauchsberichte stehen, gehen Veränderungen in der katholischen Kirche vonstatten, die wenig Beachtung finden. Papst Franziskus verändert die Kirche auch dadurch, dass er bevorzugt Kardinäle aus der Peripherie kreiert.

Eine Kirche, die an die Ränder geht und von den Rändern lebt

Nun sind Konsistorien – Anlässe, an denen Kardinäle nominiert oder eben kreiert werden – courant normal in Rom. Sie sind notwendig, um das Kardinalskollegium, das bekanntlich den Papst wählt, zu erneuern. Mit der Kreation neuer Kardinäle kann jeder Papst den Kurs der Kirche über seinen Tod hinaus beeinflussen, deswegen verdienen diese Ereignisse mehr Aufmerksamkeit.

Papst Franziskus, der von sich selber sagt, vom Ende der Welt nach Rom gekommen zu sein, will, dass die Kirche an die Ränder geht. Also keine Bischöfe als Kirchenfürsten, die sich in Palästen bedienen lassen, sondern Hirten, die hinausgehen zu den Bedürftigen und sich auch die Schuhe dreckig machen.

Papst Franziskus winkt am Fenster des Apostolischen Palastes beim Angelus-Gebet.
Papst Franziskus winkt am Fenster des Apostolischen Palastes beim Angelus-Gebet.

Dieses «an die Ränder gehen» ist einerseits geographisch gemeint: in die Armenviertel, in die entlegenen Dörfer gehen. Andererseits ist es religionssoziologisch gemeint: eine Kirche, die ihr Zentrum nicht in Rom, nicht in Europa oder Nordamerika hat, vielmehr in den Peripherien dieser Welt. Dass dies ekklesiologische Folgen hat, liegt auf der Hand.

Europäische Irritationen

Ein italienischer Vatikanist hat irritiert dagegengehalten: Nicht die Peripherie ist das Zentrum, das Zentrum ist das Zentrum, hat er bemerkt. Klar, für Italien wie für ganz Europa hat diese tektonische Verschiebung massive Folgen, glaubten doch viele bewusst oder unbewusst, dass Europa der Nabel der Christenheit sei. In Italien war diese Einstellung besonders ausgeprägt, da die Päpste über Jahrhunderte Italiener waren und die Kurienadministration bis in die Gegenwart von Italienern dominiert wird.

Bischöfe und Kardinäle in Rom.
Bischöfe und Kardinäle in Rom.

Aber der jetzige Papst spricht nicht nur so, er handelt eben auch. Und das wirksamste Instrument, mit dem er dieses veränderte Kirchenbild verwirklichen kann, ist das Konsistorium, das heute 242 Kardinäle umfasst, von denen 137 unter achtzig und somit in einem Konklave wahlberechtigt sind. In der Gruppe der Wahlberechtigten sind 99 von Bergoglio kreiert worden, was aber nicht heisst, dass es alles Bergoglianer wären. Kardinal Becciu, der vom Papst allen Ämtern enthoben wurde, wird nicht mehr zu den Wahlberechtigten gezählt.

Niemand wird mehr automatisch befördert

Bezeichnend ist die Herkunft der Purpurträger. Hatten bis zum Pontifikat Benedikts XVI. die Erzbischöfe von Mailand, Turin, Genua, Neapel und Palermo sowie der Patriarch von Venedig ein ungeschriebenes Anrecht auf den Kardinalshut, so hat Papst Franziskus mit dieser Tradition gebrochen. Dafür hat er beispielsweise den jungen Missionar Giorgio Marengo, der in Ulan Bator eine Gemeinschaft von tausend Seelen betreut, in dieses exklusive Gremium berufen.

Und schon im 2020 wurde Cornelius Slim, ein Indigener aus Borneo, der im Sultanat Brunei zwanzigtausend Gläubigen vorstand, zum Kardinal kreiert. Leider ist er schon 2021 verstorben. Hingegen bleibt der Mailänder Erzbischof Delpini, Oberhaupt der grössten Diözese der Welt, momentan aussen vor. Herkömmliche innerkirchliche Mechanismen der Kaderselektion werden so auf den Kopf gestellt.

Bischof Giorgio Marengo (2.v.l.), Apostolischer Präfekt von Ulaanbaatar (Mongolei)
Bischof Giorgio Marengo (2.v.l.), Apostolischer Präfekt von Ulaanbaatar (Mongolei)

Es ist immer weniger wahrscheinlich, dass ein Kardinalskollegium, in dem Afrika, Südamerika und verstärkt auch Asien Gewicht haben, einen Eurozentriker zum künftigen Papst wählen wird. Zudem wird ein solches Kollegium andere Sensibilitäten, andere Theologien, andere Themen auf die weltkirchliche Agenda setzen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Mitteleuropa dies noch nicht zur Kenntnis genommen haben. Denn wie der genervte italienische Vatikanist schon festgestellt hat: es wird mehr und mehr zur Tatsache, dass sich das kirchliche Schwergewicht in den Süden verlagert.

Die innerkirchlichen Spannungen nehmen zu

Nun gibt es aber ein Problem – oder eher zwei. Finanziert wird die Kurie von der deutschen und der US-amerikanischen Bischofskonferenz. Diese haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten diametral auseinanderentwickelt. Während die deutsche Bischofskonferenz fortschrittlicher wurde, hat ihr amerikanisches Gegenstück den umgekehrten Weg beschritten, sie wurde immer konservativer.

Die jüngste Mitteilung des Vatikans an die deutschen Bischöfe, dass es beim kommenden Treffen mit Delegierten des synodalen Weges keine Gespräche über Homosexualität und Weihe von Frauen geben wird, müssen auch auf diesem Hintergrund gesehen werden. Wer zahlt, will mitreden. Und hier gibt es zwei Zahler, die sich in vielen Fragen in den Haaren liegen.

Papst Franziskus lacht mit Kardinal Reinhard Marx (l.), Erzbischof von München und Freising, beim Ad-limina-Besuch. Im Hintergrund Rainer Maria Woelki.
Papst Franziskus lacht mit Kardinal Reinhard Marx (l.), Erzbischof von München und Freising, beim Ad-limina-Besuch. Im Hintergrund Rainer Maria Woelki.

Die Fliehkräfte innerhalb der Weltkirche nehmen zu. Der globale Süden hat zunehmend Gewicht und dadurch Mitsprache, aber der Norden bezahlt nach wie vor, wobei er sich in vielen Fragen nicht einig ist. Es ist noch nicht absehbar, was dies für die Zukunft der katholischen Kirche tatsächlich bedeutet. Nur eines lässt sich heute schon sagen: Europa verliert aus weltkirchlicher Perspektive an Bedeutung.

Dies hat demografische Gründe, hängt jedoch auch damit zusammen, dass Papst Franziskus die Europa-zuerst-Strategie seines Vorgängers Benedikts XVI. auf den Kopf gestellt hat. Damit holt er die katholische Kirche aus Rom heraus, ohne den Vatikan zu verlegen.

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Früher lief im Vatikan vieles anders, aber nicht besser. | © Annalena Müller
31. Dezember 2023 | 07:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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