Papst Franziskus in Genf
Schweiz

Das Verlustgeschäft der Ökumene und der Gewinn von Glaubwürdigkeit

Genf, 21.6.18 (kath.ch) Im Anflug auf Genf, Zentrum der christlichen Ökumene, dreht Papst Franziskus Warteschleifen: Über den schneebedeckten Hochalpen des Wallis, über den sonnigen Genfer See. Ist dieser Papst zu schnell unterwegs in Sachen Ökumene? Mancherorts mag man derzeit nicht dieser Meinung sein. Es gibt andere, für die Ökumene immer noch nach Irrlehre schmeckt, die sich entsprechend abschotten.

Roland Juchem

Für solche Ängste und Eigeninteressen hat der Papst gleich zu Beginn seines Besuchs beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) starke Worte: Man könne meinen, Ökumene sei «ein grosses Verlustgeschäft». Aber um der Einheit willen, die ein Gebot Jesu ist, gelte es eigene Zwecke aufs Spiel zu setzen, «die oftmals eng an ethnische Zugehörigkeiten oder überkommene Vorstellungen gebunden sind, seien sie mehrheitlich ‹konservativ› oder ‹fortschrittlich›».

Viele ökumenische Bremser

Einige Teilnehmer des Gottesdiensts in der Kapelle des Ökumenischen Zentrums in Genf zeigen ein verstehendes Lächeln oder Nicken. Es sind nicht nur nationalistische Züge bei orthodoxen Kirchen oder charismatisches Elitebewusstein einzelner Freikirchen, auf die der Papst hier anspielt. Fast jede der 350 Mitgliedskirchen des Weltkirchenrates sowie die römisch-katholische hat eigene ökumenische Bremser.

Der dritte Besuch eines Papstes in Genf – nach Paul VI. 1969 und Johannes Paul II. 1984 – gilt allein dem ÖRK zu dessen 70-jährigem Bestehen. «Ich wollte persönlich an den Feierlichkeiten teilnehmen, auch um den Einsatz der katholischen Kirche für die ökumenische Sache zu bekräftigen», so Franziskus. Die Gastgeber anerkennen das ausdrücklich: Agnes Abuom, Vorsitzende des ÖRK-Zentralausschusses, spricht von einem «Zeichen der Hoffnung und Ermutigung» und einer «neuen Qualität der Zusammenarbeit», Metropolit Gennadios davon, dass Franziskus’ Visionen die Zusammenarbeit der Kirchen inspirieren und stärken.

Ausdrücklich dankt der Papst jenen, «die uns auf dem Weg vorausgegangen sind, indem sie den Weg des Verzeihens wählten». Jenen, «die mit der unbewaffneten Kraft des Evangeliums den Mut hatten, die Richtung der Geschichte umzukehren». In der Tat.

Dialog in der Stadt Calvins

Jahrhundertelang war Genf, einst Stadtkirchenstaat des Reformators Jean Calvin, aus römischer Sicht eine Brutstätte der Häresie. Und umgekehrt. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg und dem teilweisen Versagen der Kirchen (ein Kreuz aus Bombensplittern hängt in der Kapelle des ökumenischen Zentrums), erhielt die Idee der Ökumene frische Kraft. So entstand die Zentrale des innerchristlichen Dialogs in Genf, der Welthauptstadt der Diplomatie.

In der einstigen Hochburg der calvinistischen Reformation bilden heute Konfessionslose die Mehrheit, gefolgt von den Katholiken, die die reformierten Christen überholt haben. Eine starke Triebfeder der Ökumene heisst eben auch Säkularisierung. Nicht nur deswegen spricht Franziskus am Nachmittag auch von seiner Sorge, dass Ökumene und Mission nicht mehr so eng miteinander verbunden seien wie am Anfang.

Neuer Schwung gefragt

Die Kirche sei mehr als nur Sozialarbeit und Entwicklungshilfe. «Was wir wirklich brauchen, ist ein neuer Schwung bei der Evangelisierung», fordert der Papst. Dass dies heute nicht mehr gegen andere Kirchen gehen kann und darf, hat er mehrfach deutlich gemacht. Immer wieder argumentiert Franziskus mit der gegensätzlichen Logik des Evangeliums und gegen die Weltlichkeit. Ebenso fordert ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit von den Kirchen «eine Antwort, die sich von der Antwort der Machthabenden unterscheidet und die nicht unsere eigenen Interessen in den Vordergrund stellt.»

Es gehe darum, Christus in den Mittelpunkt zu stellen. Tveit verweist auf den Wandteppich im Kongresssaal. Dieser zeigt Christus inmitten der Schöpfung und vieler Kirchen mit seinem auf Griechisch geschriebenen Gebot «Dass alle eins seien». Tveit wendet sich gegen die lapidare Pragmatik mancher Ökumene-Skeptiker, ob man nicht einfach getrennt voneinander leben könne. Die Antwort, so Tveit, ist ganz einfach: «Die Liebe Christi verpflichtet uns dazu.» Liebe sei «die Realpolitik der Kirche Jesu Christi».

Klare politische Zeichen gesetzt

Zu dieser Realpolitik gehören auch politische Themen. Dass der Papst an diesem Tag eine achtköpfige Gruppe süd- und nordkoreanischer Christen trifft, unterstreicht das gemeinsame Anliegen. Agnes Abuom erhebt in ihrer Rede am Nachmittag einen dringenden Appell zum Einsatz der Kirche für Frauen. Wie viele Frauen trägt sie an diesem Donnerstag Schwarz; «Black Thursday» ist eine Aktion der Kirche gegen die Gewalt an Frauen.

Die schwierigen Begriffe der Ökumene – die Fragen von Amt und Eucharistie – sowie die zwischen etlichen Kirchen strittigen Auffassungen etwa zu Frauenordination, Sexualmoral kommen an diesem Tag nicht vor. Franziskus betont die Notwendigkeit des weiteren theologischen Dialogs. Auf jeden Fall brauche es immer wieder gegenseitige Vergebung, sagt er am Ende des Besuchstages bei einer Messe mit 41’000 Gläubigen in einer Halle des Messegeländes Palexpo.

Das Ziel bleibt klar: «Dies ist eine Reise in Richtung Einheit», hatte Franziskus schon kurz nach dem Start in Rom erklärt. Warteschleifen oder Zwischenstopps sollen die Ökumene da nicht aufhalten. (cic)

Papst Franziskus in Genf | © Bernard Hallet
22. Juni 2018 | 06:07
Lesezeit: ca. 3 Min.
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