Demonstrantinnen fordern Gleichstellung - Frauenstreiktag, 14. Juni 2011, Zürich.
Schweiz

«Das Thema Gender scheint sich gut für Polemik zu eignen»

Luzern, 30.11.18 (kath.ch) An der Universität Luzern findet am Freitag die Tagung «Gender no/w! Zur aktuellen Debatte um Gender in Kirche und Theologie» statt. Monika Jakobs organisiert den Anlass gemeinsam mit der Vereinigung «European Society of Women in Theological Research». Die Professorin und Leiterin des Religionspädagogischen Instituts wundert sich darüber, dass der Begriff  im kirchlichen Umfeld erst jetzt zu erhitzten Debatten führt.

Regula Pfeifer

Der Forschungsansatz «Gender» führt zu «erbitterten Kontroversen in Kirche und Gesellschaft», heisst es in der Tagungseinladung.

Monika Jakobs: Es ist erstaunlich, dass diese Kontroverse in der Bevölkerung erst jetzt aufkommt. In der Wissenschaft ist «Gender» bereits seit 30 Jahren ein viel diskutierter Ansatz.

Weshalb diese Kontroversen?

Jakobs: Das Thema scheint sich besonders gut für Polemik zu eignen, vor allem wenn man es auf die Rolle der Frauen beschränkt. Der unsägliche Begriff «Genderismus» ist erwiesenermassen von äusserst traditionalistischen religiösen Gruppierungen geprägt worden. Dass das Thema aktuell so stark diskutiert wird, hängt wohl mit der allgemeinen Polarisierung in der Gesellschaft zusammen.

«‹Genderismus› ist von traditionalistischen religiösen Gruppierungen geprägt worden.»

Wo verlaufen die Fronten? Zuerst: Was vertreten die Befürworter von Gender?

Jakobs: Einerseits steht da der wissenschaftliche Begriff «Gender». Damit stellen Forscherinnen und Forscher gewisse Fragen. Etwa: Ist es sinnvoll, die Bibel zum Thema Geschlechterverhältnis zu befragen? Oder: Von welchen Kriterien hängt Unterdrückung in einer Gesellschaft ab – etwa auch vom Frau- oder Mannsein?

«Der Begriff ist für Gegner eine Chiffre für alles, was ihnen verhasst ist.»

Und was kritisieren die Gegner?

Jakobs: Die Gegner kümmern sich nicht um die Diskussionen zu «Gender». Der Begriff ist für sie eine Chiffre für alles, was ihnen verhasst ist. Nämlich die Vielfalt von Lebensanschauungen und Lebensformen. Oder die Tatsache, dass Frauen ihre Rechte auch in der Kirche einfordern. Sie ziehen daraus abstruse Schlüsse, beispielsweise die Familie werde zerfallen. Das gibt aber dieser Begriff gar nicht her.

Mit der Tagung möchten Sie die Debatte versachlichen…

Jakobs: Ja, wir wollen mit unserer Tagung die Frage klären: Worum handelt es sich bei «Gender» und worum nicht? Da ist es wichtig zu schauen, woher Gender kommt. Tatsächlich kommt dieser Ansatz aus der feministischen Bewegung – und Feministinnen sind ein Feindbild für alle, die finden, dass Frauen ihre Rechte nicht einfordern sollen. Ausgehend davon wollen wir die weitere Entwicklung aufzeigen. Etwa, was auf Seiten der Männer passiert ist. Auch das Männerbild hat sich verändert.

«Ich glaube, dass es den einen oder anderen Aha-Effekt geben wird.»

Was ist der Gender-Ansatz denn?

Jakobs: Forscht man beispielsweise mit dem Genderansatz zu Unterdrückung in der Gesellschaft oder in der Kirche, fragt man: Wie ist dabei das Verhältnis der Geschlechter? Wir wollen aufzeigen, dass das eine sehr gute Fragestellung ist. Ich glaube, dass es da den einen oder anderen Aha-Effekt geben wird.

Haben Sie auch Gender-Gegner als Referierende eingeladen?

Jakobs: Wir streben eine Vielfalt an. Deshalb sind die Referentinnen und Referenten der Tagung nicht alle derselben Meinung. Wir haben auch überlegt, eine Person anzufragen, die explizite Gegenposition beziehen würde. Das Problem ist: Die Argumente der Gender-Gegner bewegen sich auf einer weltanschaulich-politischen Ebene, nicht auf einer wissenschaftlichen. Also würde sich nur eine polarisierte, polemische Diskussion ergeben – und das bringt nichts, die Leute würden nur aneinander vorbeireden.

«An der theologischen Fakultät gibt es regelmässig Lehraufträge zu Gender.»

Welchen Platz hat die Genderforschung an der Universität Luzern – in den Bereichen Theologie und Religionspädagogik?

Jakobs: An der theologischen Fakultät gibt es seit drei Jahrzehnten regelmässig Lehraufträge zum Thema. Diese wurden damals von engagierten Studentinnen eingefordert. An den Lehraufträgen wird die Geschichte von Gender gut nachvollziehbar. Damals war die feministische Theologie das Thema. Es ging um den Stellenwert der Frau, ihre Sichtbarkeit, ihre Rechte in der Theologie und in der Kirche. Das hat sich inzwischen geändert. Der Gender-Ansatz findet: Man kann nicht über Frauen reden, ohne über Männer zu sprechen. Es geht um das Verhältnis, in dem sie zueinanderstehen, nicht nur persönlich, sondern in der ganzen Gesellschaft. Deshalb wurde der Lehrauftrag umbenannt in Genderforschung.

Ansonsten spielt Gender bei einigen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern der Theologischen Fakultät eine Rolle, bei anderen nicht. Ich habe mich in der Religionspädagogik schon damit beschäftigt und dazu publiziert.

Geben Sie das Wissen auch weiter?

Jakobs: Naja, ich habe keine eigene Lehrveranstaltung dazu durchgeführt. Das Thema kommt als eines von vielen vor. Es ist eine von vielen Fragen, die man an Themen stellen kann.

Was wäre ein Beispiel aus der Religionspädagogik?

Jakobs: Aus der Perspektive der Katechese kann ich als Forscherin fragen: Was lernen die Kinder über den Glauben? Aus der Perspektive von Gender kann ich fragen: Spielt es eine Rolle, ob diese Kinder Mädchen oder Buben sind? Interessieren sie sich in unterschiedlicher Weise für Religion und wenn ja, warum? Manchmal ist diese Perspektive produktiv, manchmal nicht.

«Es freut mich, dass das Interesse über die Universität hinausgeht.»

Welches Publikum erwarten Sie an der Tagung?

Jakobs: Wir erwarten ein breites Publikum. Und an den Anmeldungen habe ich gemerkt: Es sind viele kirchlich engagierte Leute dabei. Es freut mich, dass das Interesse über die Universität hinausgeht. Das war auch unsere Absicht. Dementsprechend werden die Vorträge gut verständlich sein.

Link zur Veranstaltung

Demonstrantinnen fordern Gleichstellung – Frauenstreiktag, 14. Juni 2011, Zürich. | © Keystone/Steffen Schmidt
30. November 2018 | 07:37
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