Christian Rutishauser, Ex-Provinzial der Schweizer Jesuiten
Schweiz

«Ritual der Beschneidung ist wichtig für unser Gottesbild»

Jesus war bereits beschnitten, als die Heiligen Dreikönige nach Bethlehem kamen. Der Schweizer Jesuit Christian Rutishauser fordert eine Aufwertung des Festes zur Beschneidung des Herrn. Und sieht gewisse Parallelen zwischen Jesus und Greta.

Raphael Rauch

Christian Rutishauser ist Provinzial der Schweizer Jesuiten. Er engagiert sich im christlich-jüdischen Dialog und gehört zu den Beratern des Papstes für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum.

Sie setzen sich für die Wiedereinführung des Beschneidungs-Festes ein. Hat die Kirche keine dringenderen Probleme?

Christian Rutishauser: Lex orandi, lex credendi – so wie wir beten, so glauben wir auch. Symbole sind ganz wichtig. Das Christentum ist nicht etwas nur Spirituelles, sondern auch etwas zutiefst Leibliches. Es geht um die Inkarnation: Geistige Werte zeigen sich in sichtbaren, leiblichen Zeichen. Deswegen feiern wir die Eucharistie mit Brot und Wein, taufen mit Wasser. Es braucht die Materie.

Beschneidung Jesu, gemalt von Ambrosius Skeit
Beschneidung Jesu, gemalt von Ambrosius Skeit

Und die Beschneidung werten Sie auch als wichtigen körperlichen Akt?

Rutishauser: Genau! Jugendliche lassen sich heute tätowieren. Sie tragen ein Statement auf ihrer Haut. Im Judentum steht die Beschneidung für Gottes Bund. Die jüdische Identität wird in den Leib geritzt. Für uns Christen geht es letztlich um die Frage, ob wir Weihnachten verstehen wollen: darum, dass Gott ganz konkret Mensch wird.

Weihnachten als Fest der Liebe – das reicht Ihnen nicht?

Rutishauser: Weihnachten ist weit mehr als ein nettes Familienfest. Wir machen es uns zu bequem, wenn wir nur das niedliche Kind in der Krippe sehen. Gerade die Beschneidung zeigt: Am achten Tag fliesst Blut. Das verweist auf das Ende von Jesu Leben, dann fliesst wieder Blut – bei der Kreuzigung. Allein uns vom Kind berühren zu lassen, reicht nicht. Auch wenn Kinder etwas erreichen, wozu Erwachsene nicht in der Lage sind. Das zeigt auch Greta Thunberg.

Sie vergleichen Greta mit Jesus?

Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg
Die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg

Rutishauser: Es gibt gewisse Parallelen. Greta Thunberg funktioniert als Phänomen, weil sie als Mädchen ganz anders wirkt als ein Klimaforscher an einer Universität. Ihre Ohnmacht und Verletzlichkeit werden durch ihren Autismus verstärkt. So wirkt ihre Botschaft besonders glaubwürdig. Aus Schwäche wird Stärke.

Warum sind Ihnen ein paar Millimeter Vorhaut so wichtig?

Rutishauser: Mir geht es nicht um die Vorhaut, sondern um den Akt der Beschneidung. Also um das Verb, nicht um das Objekt. Das Ritual der Beschneidung ist wichtig für unser Gottesbild: Gott steigt hinab bis in den Körper des Menschen. Mit der Beschneidung tritt Jesus in den Bund mit dem Volk Israel ein, in den nie gekündigten Bund, wie wir Katholiken bekennen. Für das jüdisch-christliche Verhältnis ist das Erinnern an Jesu Beschneidung von zentraler Bedeutung.

«Beschneidung wird als etwas Archaisches wahrgenommen.»

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil argumentierte die Kirche umgekehrt: Sie sah im Erinnern an die Beschneidung Jesu eine Quelle für den Antijudaismus.

Rutishauser: Hier hat die Kirche das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Beschneidung wird heutzutage oft als etwas Archaisches, Zurückgewandtes, Fremdes wahrgenommen. Antijudaismus bekämpfen heisst nicht das Jüdische des Christentums zu verdrängen, sondern es positiv anzunehmen.

Im 13. Jahrhundert hat ein österreichisches Bauernmädchen behauptet, sie empfinde beim Empfang der Eucharistie die «Vorhaut Christi in ihrem Munde». Manche verehren die angebliche Vorhaut Jesu als Reliquie. Was halten Sie davon?

Rutishauser: Diesen Vorhaut-Kult finde ich sehr befremdlich. Mir geht es darum, die Tradition mit dem Judentum und den Bund Gottes zu betonen.

Was sagen Sie feministischen Theologinnen, die Mühe haben mit der Knabenbeschneidung oder dem Begriff «Herrenfest»?

Rutishauser: Zentral ist, dass Jesus beschnitten wurde. Und er wurde beschnitten, weil er ein Mann war. Das sind die historischen Vorgaben der Inkarnation. Das rechtfertigt aber weder patriarchale Strukturen noch den Ausschluss von Frauen.

Porträt von Huldrych Zwingli
Porträt von Huldrych Zwingli

In einem bald erscheinenden Buch schreiben Sie: «Für Zwingli war die christliche Taufe der Ersatz für die jüdische Beschneidung. Taufpredigten am Neujahrstag haben daher in Zürich eine grosse Tradition.» Haben die Reformierten die Beschneidung besser verstanden?

Rutishauser: Die Zwingli-Tradition hat hier etwas Schönes aufgenommen. Zur Beschneidung gehört die Namensgebung – was für uns Christen ja bei der Taufe geschieht. Zwingli erkannte die Parallele von jüdischer Beschneidung und christlicher Taufe. Aus christlicher Sicht treten Juden durch die Beschneidung in den «alten», aber ungekündigten Bund ein. Und durch die Taufe treten Christen in den neuen Bund ein.

Kardinal Reinhard Marx
Kardinal Reinhard Marx

Schon 2009 waren Sie massgeblicher Autor einer Petition, die das Beschneidungs-Fest am 1. Januar wieder einführen will. Hat sich seither etwas getan?

Rutishauser: Das Thema ist zurück in der kirchenpolitischen Debatte. In dem genannten Buch ist das Vorwort von Kardinal Kasper. Auch Kardinal Marx spricht sich für eine positive Neubewertung aus.

Sie sind 54 Jahre alt. Die Uhren in Rom ticken langsam. Denken Sie, Sie werden eine Änderung des Liturgiekalenders erleben?

Rutishauser: Nein, das glaube ich nicht. Es wäre auch nicht sinnvoll, so eine Änderung von oben schnell durchzudrücken. Das muss als Prozess geschehen. Jetzt ist die Debatte wichtig, damit auf breiter Ebene ein neues Bewusstsein und eine Vertiefung des Glaubens geschieht.

«Wir brauchen keine Turteltauben, sondern ein klares Bekenntnis.»

Was hindert Sie, bereits jetzt am 1. Januar die Beschneidung des Herrn zu feiern?

Rutishauser: Der 1. Januar ist das Hochfest der Gottesmutter Maria mit den entsprechenden Texten. Das Evangelium thematisiert aber auch die Beschneidung. Insofern gibt es die Möglichkeit, auch am 1. Januar über die Beschneidung zu predigen. Das hat meistens einen positiven Effekt: Dann werden die müden Neujahrsgesichter schnell wach.

Wäre es nicht konsequent, den Neujahrstag auch mit Turteltauben zu feiern? Die gehören laut Evangelium ja auch zur Beschneidung Jesu.

Rutishauser: (lacht) Wir spielen ja nicht die jüdische Beschneidung am 1. Januar nach, sondern feiern die Inkarnation Gottes in den konkreten jüdischen Mann. Wir brauchen keine Turteltauben, sondern ein klares Bekenntnis zu unseren jüdischen Wurzeln in der Liturgie.

Für März ist das Buch «Beschneidung Jesu: Was sie Juden und Christen heute bedeutet» im Herder-Verlag angekündigt. Herausgeber ist Jan-Heiner Tück. Der Sammelband enthält unter anderem Aufsätze des Jesuiten Christian Rutishauser (Zürich), des jüdischen Religionshistorikers Alfred Bodenheimer (Basel) und des Kunsthistorikers Bodo Brinkmann (Basel).

Christian Rutishauser, Ex-Provinzial der Schweizer Jesuiten | © Vera Rüttimann
10. Januar 2020 | 12:35
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