Ein Herz und eine Seele: Rischer Pastoralraumleiterin Michèle Adam mit Hündin Kayra in der holzgetäferten Stube mit historischem Kachelofen
Schweiz

«Das Pfarrhaus hat eine Seele und erzählt mir seine Geschichten»: Michèle Adam in Risch

Man muss sich kurz die Augen reiben. Wer vor dem katholischen Pfarrhaus in Risch steht, wähnt sich im Ballenberg-Freilichtmuseum: So idyllisch wirkt das historische Ensemble aus dem denkmalgeschützten Holzhaus und der St. Verena-Kirche. Kein Wunder, dass Pastoralraum- und Gemeindeleiterin Michèle Adam, ursprünglich Luxemburgerin, sich hier sehr heimisch fühlt.

Wolfgang Holz

Kayra ist ein lieber Hund. Kaum hat der Besucher die Schwelle des historischen Pfarrhauses in Risch überschritten und im holzgetäferten Besprechungszimmer Platz genommen, kommt die Terrierhündin herangeschnuppert und leckt dem Gast zur Begrüssung niedlich die Finger ab. Kayra ist nicht das einzige Haustier im Rischer Pfarrhaus. «Es gibt noch den anderen Terrier Clarus», sagt Michèle Adam und lächelt.

Erste Frau in dieser Funktion

Die Pastoralraumleiterin und Gemeindeleiterin für Risch, Rotkreuz und dem benachbarten luzernischen Meierskappel hat ihren Dienst im August 2020 begonnen. Offiziell ad interim. Sie ist die erste Frau in dieser Funktion. Seit drei Jahren lebt sie mit ihrem Mann hier und fühlt sich pudelwohl. Und nicht nur das.

Das historische katholische Pfarrhaus in Risch
Das historische katholische Pfarrhaus in Risch

Man spürt sofort, dass die Gemeindeleiterin dem historischen Gebäude, in dem auch das katholische Pfarramt untergebracht ist, eine häusliche, familiäre Note beschert. Eine Aura, die dem dunklen Holzhaus eine Art Wärme und Helligkeit verleiht – so offen und unkompliziert, wie sie den Besucher an der Tür empfangen hat.

Studierte zuerst klinische Heilpädagogik

«Wir sitzen hier im offiziellen Besprechungszimmer, in dem früher Religionsunterricht erteilt wurde», erklärt Adam, die Doktorin für Theologie ist. «Das historische Pfarrhaus hat eine Seele und erzählt mir seine Geschichten», sagt sie.

Kirche und Pfarrhaus in Risch
Kirche und Pfarrhaus in Risch

Doch wie verschlägt es einen eigentlich vom grossherzoglichen, mondänen Luxemburg ins ländliche Risch in der Schweiz? «Als ich 19 Jahre alt war, wollte ich studieren, doch das war damals in Luxemburg nicht möglich», erinnert sich Michèle Adam. Wobei sie aus ihrem heutigen Alter ein Geheimnis macht. An der Universität Fribourg studierte sie dann zunächst klinische Heilpädagogik.

Hat vier Söhne

Doch eigentlich schlug ihr Herz für die Theologie. «Theologie wollte ich immer schon studieren», bekennt Michèle Adam. Ein Wunsch, den sie sich schliesslich Jahre später erfüllte.

Lauschig direkt neben der St. Verena-Kirche gelegen: Das Rischer Pfarrhaus.
Lauschig direkt neben der St. Verena-Kirche gelegen: Das Rischer Pfarrhaus.

Denn zunächst brachte sie vier Söhne zur Welt – die sich jetzt alle im Erwachsenenalter befinden. Seit Ende der 1980-er Jahre war sie bereits in verschiedenen Pfarreien in der Seelsorge tätig. Zuerst als Pastoralassistentin, später als Gemeindeleiterin ad interim des Bistums Basel – zuletzt in Muri und Merenschwand im Kanton Aargau.

Dissertation: «Pfarrei und Kirchgemeinde»

Zwischendurch war sie an der Universität. 2007 schloss sie ihren Master in Theologie an der Universität Luzern ab. Ihre Dissertation im Jahre 2012 trägt den Titel «Pfarrei und Kirchgemeinde». Seit 2013 ist Adam Dozentin im Fach Kirchenrecht an der Universität Fribourg.

Heiligenfigur im Besprechungsraum des katholischen Pfarramts in Risch
Heiligenfigur im Besprechungsraum des katholischen Pfarramts in Risch

Für ihre Aufgabe als Pastoralraumleiterin in Risch erteilte ihr der Bischof die «missio canonica».  Der frühere langjährige Pfarrer Thomas Schneider, der rund 20 Jahre lang in Risch Seelsorge betrieb und bei den Leuten beliebt war, hatte zuvor übrigens seine «missio» verloren. Weil er geheiratet hatte.

Corona lähmte Gemeindeleben

Michèle Adam kam auch aus anderen Gründen unter schwierigen Umständen nach Risch. Denn just Corona lähmte zu diesem Zeitpunkt das Leben in der Kirchgemeinde.

Pastoralraumleiterin Michèle Adam mit Hündin Kayra
Pastoralraumleiterin Michèle Adam mit Hündin Kayra

«Ich musste Regeln festlegen, das war ganz schwierig. Denn als Seelsorgerin lebt man ja schliesslich von den Beziehungen zu den Menschen – doch diese wurden durch Corona enorm eingeschränkt», berichtet sie. Erst jetzt, drei Jahre danach quasi, habe sie allmählich das Gefühl, dass sich das kirchliche Leben wieder normalisiert habe. «Wir haben sicher Leute aus der Kirchgemeinde verloren.»

Auch Daniel Vasella zählt zu den Gläubigen

Grundsätzlich sei die Kirchgemeinde Risch sehr kontaktfreudig. «Die Rischer freuen sich, wenn jemand da ist für sie. Wir pflegen einen guten Austausch untereinander», sagt Michèle Adam. «Ich bin eigentlich sehr zufrieden mit dem kirchlichen Leben.»

Leicht "spooky": Auf einem der zahlreichen Estriche des katholischen Pfarrhauses
Leicht "spooky": Auf einem der zahlreichen Estriche des katholischen Pfarrhauses

Auch Daniel Vasella, der ehemalige Novartis-CEO, der in Risch ein grosses Anwesen besitzt, ist in ihrer Pfarreikartei aufgeführt. «Ich habe ihn allerdings noch nie persönlich getroffen.» In Risch leben viele gut betuchte Zuger. Sogar der deutsche Tennisstar Boris Becker verfügte jahrelang über eine Alibi-Steuerdomizil-Adresse in Risch.

«Bei Beerdigungen ist die Kirche manchmal so voll, dass die Leute bis draussen vor die Tür stehen.»

Michèle Adam

Zu den Gottesdiensten in der St. Verena-Kirche, die aufgrund ihrer karolingischen Fundamente aus dem 8. Jahrhundert zu den ältesten Kirchen im Kanton Zug gehört, kommen je nach Gottesdienst unterschiedlich viele Kirchgängerinnen und Kirchgänger.

Zwei junge Fischerinnen auf dem Zugersee: Deckengemälde im Rischer Pfarrhaus
Zwei junge Fischerinnen auf dem Zugersee: Deckengemälde im Rischer Pfarrhaus

«Bei Beerdigungen ist die Kirche manchmal so voll, dass die Leute bis draussen vor die Tür stehen. Bei normalen Sonntagsmessen erscheinen rund 60 Personen», berichtet Michèle Adam. Für das kleine barocke Gotteshaus anno 1680 ist das nicht wenig.

«Chilesofa-Kafi»

Um das Leben in der Kirche anzukurbeln, gibt es seit drei-vier Jahren beispielsweise auch einmal im Monat den «Chilesofa-Kafi» in der Pfarrei Rotkreuz. «Dorthin kommen Gläubige, die mit uns Seelsorgern über alles sprechen können», erklärt die Rischer und Rotkreuzer Gemeindeleiterin. In den Sommermonaten stelle man das Sofa sogar vor die Kirche – um besser gesehen zu werden.

«Ein bis zwei Kirchenaustritte pro Monat»

Und doch verliert die Kirche in Risch, die finanziell durch die sprudelnden Kirchensteuereinnahmen von juristischen Personen gut gestellt ist, ständig Kirchenmitglieder. Das beunruhigt Michèle Adam. «Wir verzeichnen etwa ein bis zwei Kirchenaustritte pro Monat», sagt die Seelsorgerin. Insgesamt umfasst der Pastoralraum Zugersee Südwest rund 7500 Gläubige.

Christus-Statue im Flur im Rischer Pfarrhaus
Christus-Statue im Flur im Rischer Pfarrhaus

«Warum die Leute aus der Kirche austreten, erfahre ich meistens nicht – aber manchmal frage ich doch nach», sagt sie. Dabei ist sie neulich richtiggehend erschrocken. Denn unter den Kirchenaustritten sei eine Familie gewesen, die gerade erst das Kind taufen liess. «Man habe die kirchliche Taufe nur der Grossmutter zuliebe gemacht, lautete die Antwort», berichtet Michèle Adam. Selbst spüre besagte Familie keinen persönlichen Bezug zu Kirche und Religion.

Pfarrhaus mit Stutzwalmdach

Sehr inspirierend ist der Durchgang durch das barocke Rischer Pfarrhaus mit Stutzwalmdach. Es steht unter Denkmalschutz. 1705 wurde es im Stil eines Bauernhauses, das recht elegant wirkt und der Zeit voraus ist, erbaut. Im grossen Gewölbekeller fanden beispielsweise Naturalien Platz, die Bestandteil der pfarrherrlichen Einkünfte bildeten.

Privilegiert: Sicht vom Pfarrhaus in Risch auf den Zugersee
Privilegiert: Sicht vom Pfarrhaus in Risch auf den Zugersee

Die Stube ist mit einem Parkett aus über Eck verlegten Quadraten verschiedener Holzarten ausgestattet. Die Wandtäfer-Felder sind in gelb-brauner Farbe maseriert. Dazu kontrastiert das üppig geschnitzte Einbaubuffet. Nobel, nobel lebten die Rischer Pfarrer früher.

Kachelofen im Jugendstil-Dekor

Im Esszimmer überrascht ein von der Küche aus beheizbarer, grosser Kachelofen im Jugendstil-Dekor. Man entdeckt auch ein museales Metallwaschbecken: Handhygiene vor dem Essen war offensichtlich schon in Vor-Corona-Zeiten sehr wichtig. Die Holzschränke in den Stuben wirken durch teils gedrechselte Oberschrankstützen verspielt.

Michèle Adam führt den Besucher gerne durch ihre privaten Räume. Einige Heiligenfiguren sind in den Räumen zu entdecken. Etwa in einem Schrank in einem oberen Stock versteckt, weil offensichtlich nicht mehr gebraucht: grosse Krippenfiguren von Maria und Josef. Bukolische, neubarocke Deckengemälde zieren manche Zimmer.

Historisches Handwaschbecken im Esszimmer, Pfarrhaus Risch
Historisches Handwaschbecken im Esszimmer, Pfarrhaus Risch

In einer holzgetäferten Stube steht ein weiterer wunderschöner, alter Kachelofen. Er datiert von 1777 und ist mit reizvoll bemalten Veduten-Kacheln ornamentiert. «Die Kachelöfen dürfen wir allerdings aus feuerpolizeilichen Gründen nicht benützen», sagt Michèle Adam. Beheizt wird das Rischer Pfarrhaus deshalb mit Zentralheizung.

Mehrere Estrich-Geschosse

Ungewöhnlich, ja im wahrsten Sinne des Wortes Atem (be-)raubend sind die vielen Holzstiegen in dem mehrgeschossigen Holzhaus. Dabei gibt es sogar mehrere Geschosse im Estrich, wo jüngst ein historischer Fund gemacht wurde: die Rischer Heilig-Grab-Kulissen. Diese wurden inzwischen archiviert und werden voraussichtlich restauriert.

Ein "Kraftbaum" direkt vor dem Rischer Pfarrhaus: eine 200-jährige Thuja
Ein "Kraftbaum" direkt vor dem Rischer Pfarrhaus: eine 200-jährige Thuja

Draussen vor der Tür, zwischen dem Pfarrhaus und der St. Verena-Kirche krümmt sich idyllisch ein rund 200-jähriger Thuja-Baum. «Das ist ein Kraftbaum beziehungsweise ein Kraftort», beschreibt Michèle Adam dieses botanische Juwel. Eine Parkbank zum Verweilen steht davor. Steine mit Wunsch-Aufschriften liegen neben dem Baum.

«Wir bleiben gerne noch länger hier.»

Michèle Adam

Von den Zimmern und Räumen an der Südostfassade, unter anderem von einem Arbeitszimmer und von der Küche aus, eröffnen sich herrliche Panoramen auf den in der Sonne glitzernden Zugersee. Kein Wunder, dass Michèle Adam und ihr Ehegatte sich angesichts dieser Zuger Idylle längst nicht mehr «ad interim» fühlen. «Wir bleiben gerne noch länger hier.»


Ein Herz und eine Seele: Rischer Pastoralraumleiterin Michèle Adam mit Hündin Kayra in der holzgetäferten Stube mit historischem Kachelofen | © Wolfgang Holz
4. August 2023 | 09:00
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