Elisabeth Moltmann-Wendel im Jahr 1997.
Schweiz

Elisabeth Moltmann-Wendel – «Leuchtfigur der feministischen Theologie»

Zürich/Tübingen, 14.7.16 (kath.ch) Sie war eine prägende Figur der feministischen Theologie und zog sich nach der Entscheidung für eine Familie aus der wissenschaftlichen Tätigkeit zurück. Dank diesen Erfahrungen konnte Elisabeth Moltmann-Wendel der Theologie für Frauen und Männer ganz bedeutende Impulse geben. Zwei Theologinnen erinnern sich an die am 7. Juni verstorbene Moltmann-Wendel.

Martin Spilker

Sie war eine «Leuchtfigur», eine der wichtigen Theologinnen der Anfangszeit des Feminismus, die «nun langsam gehen und im Himmel Frauenzimmer bereiten». Mit diesen Worten blickt Regula Grünenfelder, Beauftragte für Kirche, Religion und Spiritualität beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF, dankbar auf Leben und Werk der 1926 geborenen Elisabeth Moltmann-Wendel zurück.

«Sie haben zu uns gehört»

Auch wenn sie die Verstorbene nicht persönlich gekannt habe, so Regula Grünenfelder, habe Elisabeth Moltmann-Wendel wie manche andere feministische Theologin während ihrer Studienzeit und später im beruflichen Alltag einfach «dazugehört». Für Grünenfelder ist sie eine Theologin, die «unser Denken prägt», auch über den Tod hinaus.

Auch für die evangelische Theologin Reinhild Traitler, lange Jahre verantwortlich für den Bereich Frau-Theologie-Gesellschaft im evangelischen Tagungs- und Studienzentrum Boldern in Männedorf ZH, war Elisabeth Moltmann-Wendel eine nicht wegzudenkende Fachperson für Theologie und Bibelwissenschaft.

Kirche gewinnt Körperlichkeit zurück

Traitler weist darauf hin, dass Moltmann-Wendel zusammen mit anderen Theologinnen als eine der ersten im deutschsprachigen Raum Texte des Neuen Testaments aus der Sicht der Frauen in der Bibel neu interpretiert habe. «Das hat zu einem eigentlichen Perspektivenwechsel geführt», sagt die Theologin. Als Beispiel erwähnt sie die neuen Einsichten zur Stellung der Frauen in den ersten christlichen Gemeinden nach dem Tod Jesu. Das hat damals viele Frauen begeistert und selbstbewusst gemacht. Immer ging es Moltmann-Wendel um die Verbindung zum Leben von Frauen heute. Der Titel ihres wichtigen Buches ‹Ein eigener Mensch werden› war Programm.

Reinhild Traitler spricht weiter von einer «geerdeten Theologie», welche Elisabeth Moltmann-Wendel entwickelt  habe: «Sie hat begonnen, Körper und Körperlichkeit von Frauen als theologische Inhalte zu denken.» Dies sei eine zentrale Errungenschaft der feministischen Theologie, die auch Regula Grünenfelder ins Feld führt: Als Ehefrau – Elisabeth Wendel heiratete den evangelischen Theologen Jürgen Moltmann – habe sie in der damaligen Zeit in Theologie und Kirche andere Wege gehen müssen, als Wissenschaftlerinnen heute offen stehen. «Barfuss-Theologie», nennt dies Grünenfelder, ein Begriff, der übrigens 1985 an einer Theologinnentagung auf Boldern geprägt wurde.

Verschiedenheit radikal verbunden

«Aus der eigenen Erfahrung war für sie der Begriff ‹Verbindung› viel direkter erlebbar geworden», so die SKF-Mitarbeiterin. «Verbindung» habe sie in allen Formen radikal gedacht: Himmel und Erde; Mann und Frau; Geist und Körper. Damit sei nicht eine Vermischung oder Vereinheitlichung gemeint, so Grünenfelder. Vielmehr sei es das Verdienst von Theologinnen wie Elisabeth Moltmann-Wendel, dass Unterschiede – wie zwischen Geschlechterrollen – klar benannt wurden.

Sie stellt allerdings auch fest, dass diese Denkhaltung weder in der Wissenschaft noch im kirchlichen Alltag richtig angekommen sei. Reinhild Traitler erklärt dies damit, dass Frauen ihre Kompetenzen gerade in der Kirche in einer ganz anderen Art und Weise einbringen würden. «Allerdings», so die evangelische Theologin, «gibt es ihnen gegenüber gerade in höheren Führungsebenen noch sehr viel Misstrauen.»

Feministisch-theologischer Aufbruch ist vorüber

Mit der feministischen Theologie wurde in Forschung und Kirche ein Stein ins Rollen gebracht, darüber sind sich die beiden von kath.ch befragten Theologinnen einig. In der theologischen Lehre und Forschung gehören Denkansätze wie die von Elisabeth Moltmann-Wendel zum Alltag, auch vertreten viele Gemeindeleiterinnen und Pfarrerinnen in ihrer Verkündigung einen befreienden, vielfältigen und sinnlichen Glauben. Doch der feministisch-theologische Aufbruch sei vorbei.

Allerdings beschränke sich dies nicht allein auf die Kirche: Frauenbewegungen seien grösstenteils verschwunden; Feminismus werde heute von jungen Frauen eher belächelt, stellt Reinhild Traitler fest. Zu Unrecht, wie die Theologin betont: «Nach wie vor bestehen zum Beispiel in der Arbeitswelt grosse Unterschiede zwischen Frau und Mann.» Und Regula Grünenfelder stellt fest: «Heute ist auch die Kirche herausgefordert durch Fragen wie Globalisierung, Migration oder interreligiöses Zusammenleben – auch hier sind die ‹Frauenthemen› aktuell: Es sind Frauen, die als Freiwillige bei der Integration helfen und Sprachunterricht anbieten – im interreligiösen Schweizerischen Rat der Religionen sitzen hingegen Männer.»

Einladung zum «aufrechten Gang»

Beide Theologinnen sehen dahinter Machtstrukturen, die die Ebenbürtigkeit der Frau in Kirche und Gesellschaft beeinträchtigen, zu denen Frauen beitragen, wenn sie sich klein machen. «Frauen neigen dazu, sich kleiner zu machen, dagegen hat Moltmann-Wendel ermutigt, sich aufzurichten und sich zu zeigen», hält Regula Grünenfelder fest. Und Reinhild Traitler erklärt: «Im Bild unserer Gesellschaft muss die Frau heute alles miteinander können: Beruf, Familie und gleichzeitig Unabhängigkeit bewahren. Aber wem nützt das?»

Stimmen wie die von Elisabeth Moltmann-Wendel, da sind sich die katholische und die evangelische Theologin einig, waren grundlegend und wichtig für einen neuen Blick auf die frühen Jahre des Christentums und die Entwicklung der Kirche heute. Diese Gedanken seien eine «Einladung zum aufrechten Gang» an alle Frauen in der Kirche gewesen, sagt Regula Grünenfelder. – Eine Einladung, die nach wie vor gelte. (ms)

Ausgewählte Buchtitel von Elisabeth Moltmann-Wendel:
Frauenbefreiung – Biblische und theologische Argumente, München 1976
Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus, Gütersloh 1980
Das Land, wo Milch und Honig fliesst, Gütersloh 1985
Als Frau und Mann von Gott reden, München 1991
Wer die Erde nicht berührt, kann den Himmel nicht erreichen, Zürich 1997 (Autobiografie)

 

Elisabeth Moltmann-Wendel im Jahr 1997. | © Keystone
15. Juli 2016 | 10:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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«Ich bin gut, ich bin ganz, ich bin schön»

Die positive, bejahende Art und Weise, wie Elisabeth Moltmann-Wendel den neuen Ansatz der feministischen Theologie in die Diskussion eingebracht hat, ist für Regula Grünenfelder in diesem kurzen Programm der verstorbenen Theologin zusammengefasst: «Ich bin gut, ich bin ganz, ich bin schön». Als Widerstand gegen eine erniedrigende Struktur habe sie Frauen bestärkt, aus Gottes Liebe frei und selbstbewusst zu leben.

Feministische Theologie kritisiert laut Grünenfelder die Fixierung auf «Herr-Gott», denn: Unterschiedlichste Menschen, Frauen wie Männer, prägten und fänden aus ihren Erfahrungen Gottessprache. Schon in der Bibel sei die Rede von Gott vielfältiger, als beispielsweise die Einheitsübersetzung glauben lasse. Feministische Theologie setze bei den eigenen Erfahrungen an, reflektiere sie und interessiere sich für die Erfahrungen der Anderen. So habe sich beispielsweise die Schuldfrage differenziert, sie sei nicht geschlechtslos: Frauen, die sich nicht zuständig fühlten, sich nicht einmischten, «mit einem Täter handeln», machten sich schuldig, wenn sie sich kleinmachten und Entscheidungen anderen überliessen. In den vergangenen vierzig Jahren hätten sich verschiedene Diskussionen entwickelt, Unterschiede zwischen Menschen in die Ethik einzutragen. Dies wurde laut Gründnefelder möglich, da Frauen bei ihrer Arbeit in Theologie und Kirche von ihren eigenen Erfahrungen ausgegangen seien und diese eingebracht hätten.

Dass Frauen Glaube und Kirche prägen und eigentlich aufrechterhalten, das zeige sich letztlich in jeder Pfarrei und Kirchgemeinde tagtäglich, sagt Reinhild Traitler und lenkt den Blickt zum Thema Frauen und Kirche noch einmal auf einen ganz anderen Punkt. Und genau diese Erkenntnis könnte, so die evangelische Theologin, in der katholischen Kirche auch auf Leitungsebene ganz neue Impulse verleihen. Als Beispiel nannte sie die Synode zu Ehe und Familie im vergangenen Jahr: «Wenn Frauen bei diesem Thema mitdiskutieren, kommen mit Sicherheit noch andere Dinge auf andere Art zur Sprache, und das kann doch nur eine Bereicherung sein!» (ms)